Klub-WM in den USA
Weltmeisterschaft im Niemandsland

Die neue Klub-WM der Fifa gilt als überteuert, überlang und sportlich irrelevant. Doch wie ist das Turnier wirklich? Unser Reporter fährt nach New Jersey, trifft Fussball-Enthusiasten aus São Paulo und Kairo – und erlebt amerikanisches Chaos mit System.
Publiziert: 16:56 Uhr
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Aktualisiert: 18:09 Uhr
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Palmeiras-Fans am Tag vor dem Spiel: Auf der Fähre passieren sie die Manhattan Bridge. New York als Kulisse, Fussball im Herzen.
Foto: Peter Hossli
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Peter HossliReporter & Leiter Journalistenschule

Einfach ist es nicht, die Klub-Weltmeisterschaft der Fifa zu finden. Von der Wall Street führt die Subway zur Port Authority, zum verkehrsreichsten Busbahnhof der Welt in Midtown Manhattan. Von 223 Gates kommen hier täglich rund 8000 Busse an oder fahren ab.

Welcher Bus fährt zum Metlife Stadium, wo nächstes Jahr der WM-Final stattfindet und heute um Mittag Palmeiras gegen Al Ahly spielt? Der beste brasilianische Klub gegen den besten Klub Afrikas?

Zu wissen scheint es niemand. Es ist halb 9 Uhr, vereinzelt irren Männer und Frauen in roten und grünen Trikots, den Farben der beiden Klubs, durch die Port Authority. Sie fragen Polizisten, Chauffeure und Putzequipen. Die einen schicken sie zur 42. Strasse, andere zur 40. Strasse. Ein Schild verwirrt, statt zu klären. Fifa-Mitarbeiter, die helfen könnten? Fehlanzeige.

Kurz nach 9 Uhr passiert, was in New York oft geschieht: Das Chaos löst sich, wie von Geisterhand geführt, auf. Ein paar Fans bilden vor dem richtigen Gate eine Schlange, andere folgen ihnen. Alle erhalten ein grünes Armbändchen, das nach dem Spiel die Rückfahrt garantiert.

Seit einer Woche läuft in den USA die Fifa-Klub-WM 2025 mit Teams aus allen Kontinenten der Welt. Zumindest in Europa erntet das Turnier mehr Häme als Lob. Es sei sportlich wertlos. In amerikanischen Stadien entstehe keine echte Stimmung. Wer will so viel Fussball schauen?

Besucher aus Brasilien und Ägypten

Drei Generationen in Grün: Die Familie Aimola aus São Paulo reist gemeinsam nach New York, um Palmeiras live zu sehen. Mutter Christiane, Tochter Isabela (14), Vater Neto sowie die Grosseltern Domingos und Ivete warten auf den Bus zum Stadion. «Oh, ich liebe Palmeiras», sagt Isabela. Ihr Vater handelt mit US-Autos – und schätzt das Turnier als «wichtige Bühne für Brasilianer, die sich international messen wollen».
Foto: Peter Hossli

Zum Beispiel Isabela Aimola. Die 14-jährige Schülerin wartet zusammen mit ihren Eltern und Grosseltern auf den Bus. Aus São Paulo ist die Familie nach New York gereist, um ihr Team spielen zu sehen. «Oh, ich liebe Palmeiras», sagt das Mädchen. Hier in den USA sei alles etwas grösser als in Brasilien, dafür weniger gefährlich.

Ihr Vater Neto Aimola (46) verkauft in São Paulo amerikanische Autos. «Dieses Turnier ist sehr wichtig für uns Brasilianer», erklärt er. «Wir messen uns gerne international. Das geht nirgends besser als hier.»

Das war die ursprüngliche Idee von Sepp Blatter (89), als er die Klub-WM vor 25 Jahren erfand. Der damalige Fifa-Präsident wollte der europäischen Dominanz eine globale Champions League entgegensetzen. Das erste Turnier in Brasilien geriet zu einem Fiasko mit finanziellen Problemen und geringer Aufmerksamkeit. Über einen Nischenevent mit einem halben Dutzend Teams kam die Klub-WM nie hinaus.

Jetzt versucht es ein anderer Walliser: Gianni Infantino (55), seit 2016 Fifa-Präsident mit globaler Sicht, macht daraus ein Mammutspektakel mit 32 Klubs in Gruppen- und K.o.-Runde. Finanziert wird es grösstenteils von Saudi-Arabien.

Ob das jemanden stört, kümmert den ägyptischen Arzt Mohammad Attia (49) nicht. Er trägt die roten Farben von Al Ahly. Sechs Tage verbringt er in New York, «ein Lebenstraum geht in Erfüllung», wie er sagt. Wegen des Turniers sei er erstmals in den USA. Er mag die Klub-WM. «Menschen aus aller Welt haben gemeinsam Freude am Fussball – das ist angesichts der vielen Kriege doch wichtig.»

Attia steigt in den Bus und setzt sich neben Matheus Peixoto aus São Paulo, der heute seinen 18. Geburtstag feiert: mit einem Spiel des Klubs, den er schon als kleiner Bub verehrte. Auch er ist erstmals in New York, bleibt sieben Tage, schaut sich zwei Spiele an. Sein Eindruck? «Alles ist gut organisiert», sagt Peixoto. «In Brasilien ist es komplizierter, ein Spiel anzuschauen, die Polizei ist viel strenger.»

Der Bus fährt los, sobald er voll ist. Die Klimaanlage surrt. Es ist bitterkalt, viele binden sich Schals um. Portugiesische Wortfetzen vermischen sich mit arabischen. Im Schritttempo zwängt sich der Bus durch die 41. Strasse, lässt das Empire State Building und die Glastürme entlang des Hudson Rivers hinter sich, taucht in den Lincoln Tunnel ein und fährt nach New Jersey.

Die Fahrt führt durch dunkle Tunnel und über angerostete Brücken durch eine unwirtliche Sumpflandschaft. Ein Niemandsland mit unzähligen Abzweigungen, in dem sich selbst ortskundige New Yorker oft verfahren. Hier verschwanden in der TV-Serie «The Sopranos» die Mafiosi.

Die Fahrt offenbart die brüchige amerikanische Infrastruktur: aufgerissene Strassen, bröckelnde Geländer, billige Motels und fettige Imbissbuden. Nach 20 Minuten hält der Bus auf dem Parkplatz des Metlife Stadiums. Am Himmel hängt fast regungslos ein Helikopter.

Freundliche Kantonspolizisten

Football meets Fussball: Unter dem grossen Banner der New York Giants gruppieren sich Palmeiras-Fans – der amerikanische Kontext bleibt allgegenwärtig.
Foto: Peter Hossli

Die amerikanische Vorstadt bestimmt das Lebensgefühl. Sportfans reisen mit dem Auto an. Buben kicken einen Ball. Familien parkieren ihre Autos. Fans machen Selfies mit Flaggen. Ein Ägypter öffnet seinen Kofferraum und verkauft Al-Ahly-Trikots. Ägypter posieren vor einem schnittigen Dodge-Sportwagen, gespritzt im grellen Rot von Al Ahly.

Pünktlich um 10 Uhr öffnen die Tore. Die Sicherheit ist typisch amerikanisch: freundlich, nicht aufdringlich, aber doch wirksam. Am Eingang schnüffelt ein Spürhund nach Bomben, ein paar bewaffnete State Troopers von New Jersey – Kantonspolizisten – gehen zu Fuss durch die Fans. Sie lachen und lassen sich mit ihnen fotografieren. Die Sicherheitskontrolle dauert knapp 20 Sekunden.

Hinter den Metalldetektoren üben sich die Fans in Aktivitäten, die sie auf Instagram darstellen können: Sie spielen auf Mini-Feldern Fussball, Tischfussball, posieren vor einer Wand mit Vereinszeichen ihrer Teams. Hunger stillen ist teuer: Sandwich 24 Dollar, Burger 20, Bier 15, Softeis 8 Dollar.

Die Fifa kann die Klub-WM gross aufziehen, weil hinter dem Projekt Saudi-Arabiens Public Investment Fund als Hauptsponsor steht. Über eine Milliarde Dollar fliesst in das Turnier, allein die Antrittsprämie beträgt 9,55 Millionen Dollar pro Klub.

Die Klub-WM dient als Generalprobe für die WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada. Erobert werden soll der letzte weisse Fleck auf der Fussball-Landkarte: Nordamerika. Ein wirtschaftlicher Riese, in dem sportlich Basketball, Baseball und Football regieren – in den Stadien wie vor den Bildschirmen.

In Rot und Gold zum Stadion: Adel Nail (38), ein aus Ägypten stammender Fitnesstrainer aus North Jersey, trägt zum Trikot von Al Ahly eine Pharaonenkrone. «Ich will das auf keinen Fall verpassen», sagt er. Auch wenn er im April noch 250 Dollar für sein Ticket bezahlt hat – heute wäre es für 80 zu haben.
Foto: Peter Hossli

Seit sechs Jahren lebt der Ägypter Adel Nail (38) in North Jersey, wo er als Fitnesstrainer arbeitet. Seine Tickets kaufte er im April, als sie für 250 Dollar auf den Markt kamen. «Jetzt kann man sie für 80 Dollar kaufen», sagt er. Da sich die Nachfrage in Grenzen hielt, senkte die Fifa die Preise. «Für mich kein Problem», sagt Nail, der zum roten Trikot eine Nemes trägt, die charakteristische Kopfbedeckung der Pharaonen. «Ich will das auf keinen Fall verpassen, vielleicht spielt Al Ahly ja erst in 20 Jahren wieder in den USA.»

Nicht nur der Parkplatz ist grosszügig angelegt. Das Stadion verfügt über hohe Räume, saubere Toiletten, helle Gänge. Etwas fällt auf: Die Football-Poster der New York Giants und der Jets hängen noch immer. Niemand nahm sich die Mühe, sie durch Fussballbilder zu ersetzen.

Pepsi statt Coca-Cola

Innerhalb des Stadions bieten lokale Imbissbuden amerikanisches Fast Food an: New Yorker Cheesesteaks, Hot Dogs, Nudeln und Dumplings. Den Getränkestand im Bauch des Stadions betreibt Pepsi, nicht der Fifa-Sponsor Coca-Cola. Weil Pepsi immer dort ist.

Fabrizio Ianelli (50), Banker aus São Paulo, vor dem MetLife Stadium in New Jersey. Er reist für seinen Klub um die Welt: «Wo immer Palmeiras spielt, bin ich dabei.» Der Verein wurde – wie seine Familie – von italienischen Einwanderern geprägt.
Foto: Peter Hossli

Der Banker Fabrizio Ianelli (50) aus São Paulo bestellt sich eine Bretzel. «Wo immer Palmeiras spielt, bin ich dabei», sagt er. «Seit ich ein kleiner Junge war, habe ich Palmeiras geliebt. Mein Vater, mein Grossvater: Sie alle jubeln für Palmeiras.» Seine Vorfahren seien aus Kalabrien nach Brasilien ausgewandert, erklärt er seine Verbindung zum Klub. «Palmeiras wurde 1914 von italienischen Einwanderern in São Paulo gegründet.»

Neben ihm steht Michael Moses (39) für ein Wasser an. Seit 19 Jahren lebt der Therapeut in New York, längst ist er Amerikaner geworden. Heute hat er freigenommen, weil sein Herz noch immer für Al Ahly aus Kairo schlägt. «Ich bin ein grosser Fan meines Heimatvereins», sagt er und betont: «Das ist der Klub des Jahrhunderts in Afrika.» Nicht mal Real Madrid habe so viele nationale Titel gewonnen wie Al Ahly. «Wir sind die Nummer 1 in Afrika.»

Vor dem Spiel im MetLife Stadium: Michael Moses (39), Therapeut in New York, lebt seit 19 Jahren in den USA – doch sein Herz schlägt weiter für Al Ahly. «Wir sind die Nummer eins in Afrika», sagt er stolz.
Foto: Peter Hossli

Als eine Stunde vor Spielbeginn die US-amerikanische Nationalhymne erklingt, erhebt sich Moses und singt mit. Die Stimmung ist ausgelassen, friedlich, das Wetter heiss und schwül. Perfekter Sound klingt aus den Lautsprechern. Das Stadion fasst 80'000 Zuschauer, gefüllt sind nur die unteren Ränge. Es wirkt zu einem Viertel gefüllt. 35'179 Fans seien da, sagt der Stadionsprecher.

Um 11 Uhr 17 betreten die Mannschaften das Feld. Die Fans führen Choreografien auf, tanzen, singen, schreien. Obwohl sie 250 Dollar für einen Sitzplatz bezahlt haben, stehen sie 90 Minuten lang.

Nach einer kurzen Zeremonie pfeift der Schiedsrichter an. Eher konzeptlos rennt Al Ahly an. Die erste Torchance hat Palmeiras nach 20 Minuten. Wegen der Hitze verordnet der Schiedsrichter nach 30 Minuten eine Trinkpause. In der 37. Minute zückt er nach einer Grätsche die Rote Karte gegen einen Spieler von Palmeiras. «Das war nicht mal ein Foul», sagt ein Al-Ahly-Fan. Der VAR korrigiert den Schiedsrichter, der wechselt von Rot zu Gelb.

In der Pause eilen viele in einen klimatisierten Raum mit Bar und Essensstand, um der schwülen Hitze zu entkommen.

Durch ein Eigentor gehen die Brasilianer in der 48. Minute in Führung. Das 2:0 fällt in der 61. Minute nach einem Konter.

Rückzug vor Donner und Blitzen: Während der Spielunterbrechung suchen viele Zuschauer Zuflucht entlang der Betonwände des MetLife Stadions.
Foto: Peter Hossli

Bevor der Schiedsrichter wieder anpfeifen kann, erscheint auf Tausenden Handys im Stadion eine Warnung. Über dem Metlife Stadium haben sich dicke Quellwolken gebildet, die sich in Blitz, Donner und starken Regen zu entladen drohen. Die Spieler verschwinden in den Katakomben, die Fans müssen die Ränge verlassen und im Gewölbe des Stadions Schutz suchen.

Nach 25 Minuten kommt die Entwarnung per Handy. Das Stadion füllt sich wieder. Zehn Minuten später pfeift der Schiedsrichter an. Just als die Gefahr vorüber ist, fallen die ersten Regentropfen.

Nach 96 Minuten ist Abpfiff. Palmeiras gewinnt 2:0.

Fussball für die Welt, nicht nur für Europa

Vor dem Stadion warten Taxis, Limousinen und Uber-Autos. Es wirkt amerikanisch organisiert: etwas chaotisch, aber es funktioniert. Zehn Minuten nach Schlusspfiff fahren die ersten vollen Busse weg. Einsteigen darf, wer ein grünes Bändchen am Arm trägt, das der Chauffeur kontrolliert. Ein einfaches, aber hocheffektives System.

Ganz anders der Verkehr. Die Strassen, die nach New York führen, sind verstopft. Über eine Stunde dauert die Rückfahrt. Kaum ist man dem Bus entstiegen, holt einen der New Yorker Alltag wieder ein: hektisch, laut, stinkig. Immer etwas los.

Von der Fussball-WM aber ist in der Stadt nichts zu spüren.

Was bleibt? Globaler Klubfussball ist nicht nur eine europäische Angelegenheit. Die Fans von Al Ahly und Palmeiras sind genauso begeistert wie jene von Barcelona oder Bayern München.

Sicher, der Fussball war auf einem weniger hohen Niveau als in der Champions League, aber die Freude am schönen Spiel war genauso gross.

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