Lieber auf der Tribüne als zu spielen
Weltmeister Mertesacker rechnet mit dem Profifussball ab

Das krasseste Geständnis des Jahres kommt von Arsenal-Verteidiger Per Mertesacker. Im «Spiegel» enthüllt der Deutsche, dass er froh war über das WM-Aus gegen Italien und dass er wegen des Drucks vor jedem Spiel Durchfall hat.
Publiziert: 11.03.2018 um 23:35 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 04:50 Uhr
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Es ist der offenste Fussballer-Auftritt der letzten Jahre. Per Mertesacker, der deutsche Weltmeister mit 104 Länderspielen, legt im «Spiegel» sein Seelenleben dar.
Foto: Getty Images

Es ist der offenste Fussballer-Auftritt der letzten Jahre. Per Mertesacker (33), der deutsche Weltmeister mit 104 Länderspielen, legt im «Spiegel» auf beeindruckende Art und Weise sein Seelenleben dar. Die Reaktionen reichen von Applaus bis Unverständnis. BLICK nennt die spannendsten Passagen des Arsenal-Captains, der seine Karriere im Sommer beendet.

Per Mertesacker über...

... den Brechreiz, der ihn vier bis fünf Sekunden vor Anpfiff packt: «Mir dreht sich der Magen um, als müsse ich mich übergeben. Ich muss dann einmal so heftig würgen, bis mir die Augen tränen.» Er drehe den Kopf immer zur Seite, damit keiner etwas bemerke.

... Durchfall am Morgen eines jeden Spieltags: «Vom Bett muss ich sofort auf die Toilette, vom Frühstück auf die Toilette, vom Mittagessen wieder auf die Toilette, im Stadion wieder auf die Toilette.» Spätestens vier Stunden vor dem Spiel isst er letztmals, damit sein Magen leer ist, wenn der Brechreiz aufkommt.

... das Aus an der Heim-WM 2006 gegen Italien: «Klar war ich auch enttäuscht, als wir gegen Italien im Halbfinale ausgeschieden sind, aber vor allem war ich erleichtert. Ich weiss es noch, als wäre es heute. Ich dachte nur: Es ist vorbei, es ist vorbei. Endlich ist es vorbei. Der Druck hat mich aufgefressen. Dieses ständige Horrorszenario, einen Fehler zu machen, aus dem dann ein Tor entsteht. Die Angst hat man auch bei anderen Spielen, dass du immer wieder zur Anzeigetafel guckst, die Minuten zählst. Aber bei der WM, das war unmenschlich. Aber hätte ich das sagen können? Dass ich froh war, dass wir raus sind?»

... die Zuschauer: «Wenn die Fans dich feiern, ist das unbeschreiblich. Pfeifen sie dich aus, puh, ich versinke da vor Scham.»

... den Selbstmord seines Freundes Robert Enke 2009: «Selbst ich habe nichts davon mitbekommen, wie schlecht es ihm ging. Das sagt einiges aus, oder? Ich war kurz davor, alles hinzuschmeissen. Insbesondere, weil eine Woche später alles war wie zuvor.»

... sein Abschiedsspiel im Mai: «Und dann werde ich mit über 30 zum ersten Mal im meinem Leben frei sein.»

... seine Zukunft, wenn er drei Monate später die Nachwuchs-Akademie von Arsenal übernimmt: «Ich will das System angreifen. Wir sind für die Jungs verantwortlich, die zu uns kommen. Die dürfen nicht alles auf die Fussballkarte setzen, die Schule vernachlässigen.» Weil nur 1 Prozent Profi werde. «Und von den restlichen 99 Prozent sind dann 60 Prozent dauerhaft arbeitslos.»

... seine Zeit jetzt bei Arsenal: «Alle sagen, ich solle das letzte Jahr richtig auskosten, noch mal so viel spielen wie möglich, alles aufsaugen.» Er schüttelt im «Spiegel»-Gespräch den Kopf: «Am liebsten sitze ich auf der Bank, noch lieber auf der Tribüne.»

Matthäus kritisiert ihn

Gerade diese Aussage versteht Deutschlands Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (150 Spiele) nicht: «Er kann ja sagen, ich bin jetzt froh, dass es vorbei ist, ich starte ein neues Leben. Weniger Druck da, vielleicht ein bisschen mehr Zeit für mich, für meine Familie – alles in Ordnung, aber doch nicht so. Wie soll der weiterhin im Fussball tätig bleiben? Wie will er einem Fussballspieler diese Professionalität vermitteln, wenn er sagt, da ist zu viel Druck. Das geht nicht.»

Und weiter: «Für die Nationalmannschaft bist Du ja nicht verpflichtet zu spielen, das hat er ja alles freiwillig gemacht. Der hätt' ja aufhören können, wenn der Druck zu gross gewesen wäre.»

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