Darum gehts
- Neues Buch über Fussballstars behandelt Tabus, Depression, Terror und Tod
- Ehemalige Spieler und Trainer teilen erschütternde persönliche Erfahrungen
- Das 256-seitige Buch erscheint am 18. August im Meyer & Meyer Verlag
Schon der Titel geht unter die Haut. «Mensch Fussballstar. Tabus, Depression, Terror, Tod und grosse Gefühle: Was die gefeierten Helden neben dem Platz erleben», heisst ein neues Buch. Darin öffnen zahlreiche Menschen aus dem Fussballbusiness ihr Herz und reden offen über die Tiefpunkte ihres Lebens.
Dem einen oder anderen Leser wird der Autor dieses Buchs, Andreas Böni, bekannt vorkommen. Während 15 Jahren arbeitete der Ostschweizer für Blick. Seit 2023 ist der 43-Jährige bei Blue Sport Chefredaktor.
In diesem Vorabdruck veröffentlichen wir die eindrücklichsten und beklemmendsten Aussagen des 256-seitigen Buchs, das am 18. August im Meyer & Meyer Verlag erscheint.
Das Buch Mensch Fussballstar erscheint am 18. August im Meyer & Meyer Verlag.
Das Buch Mensch Fussballstar erscheint am 18. August im Meyer & Meyer Verlag.
Roman Bürki über den Terroranschlag auf den BVB-Bus 2017
«Ich erinnere mich noch daran, wie es plötzlich einen Riesenknall gab. Eine regelrechte Explosion. Es dauerte ein paar Momente, bis ich spürte: Wir sind in einer Situation gefangen, die man keinem Menschen auf dieser Welt wünscht. Wir funktionierten wie in Trance, wir warfen uns sofort auf den Boden. Ich packte mir auch Christian Pulisic neben mir und legte mich auf ihn. Zu jenem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, ob noch mehr passiert.»
Roman Bürki (34) spielte damals für Borussia Dortmund. Seit 2023 steht er im Tor von St. Louis City.
Ottmar Hitzfeld über sein Burnout 2004
«Damals verlor ich langsam und kontinuierlich die Kraft: Ich schaffe es nicht mehr abzuschalten. Ich vermag keinen Film über die gesamte Länge zu sehen, ohne mir Gedanken über die Aufstellung oder andere sportliche Dinge zu machen. Gleichzeitig soll weder die Öffentlichkeit noch die Mannschaft etwas merken, wie angeschlagen ich bin. Am Frühstückstisch mit meiner Frau und meinem Sohn spreche ich kaum noch. Gleichzeitig will mich der Deutsche Fussball-Bund als Nationaltrainer holen. Drei Tage lang liege ich fast nur im Bett und grüble. Es ist brutal. Auf der einen Seite ist das Angebot als deutscher Nationaltrainer verlockend. Auf der anderen Seite weiss ich, dass ich keine Kraft habe. Ich hätte am liebsten nur die Decke über den Kopf gezogen und weitergeschlafen. Ich bekomme Rückenschmerzen und Schlafprobleme. Es ist grausam, wenn du plötzlich keine Kraft mehr hast. Mein Schlüsselerlebnis habe ich dabei im Auto. Ich habe plötzlich ganz schlimme Platzangst. Ich bekomme Atemnot, alles wird eng, ein furchtbares Gefühl. Erst durch das Runterkurbeln der Scheiben wird es besser. Da realisiere ich: Ich brauche Hilfe. Ich brauche einen Psychiater. Dieser verschreibt mir Tabletten, Antidepressiva. Sie helfen mir, mich zu beruhigen. Aber für mich ist klar, dass ich das Angebot als deutscher Nationaltrainer ablehne. Für einen neuen Job musst du ausgeruht sein. Und ganz ehrlich: Zu jenem Zeitpunkt will ich nie mehr Trainer sein. Ich ziehe mich eineinhalb Jahre nach Engelberg in die Schweizer Berge zurück. Erst fast drei Jahre später bin ich wieder so richtig bereit zu arbeiten.»
Ottmar Hitzfeld (76) gewann als Trainer mit Dortmund und den Bayern die Champions League.
Gelson Fernandes über Rassismus
«Nach einer Roten Karte auf Schalke schrieb mir einer auf Instagram: ‹Du bist ein Sohn von Affen. Ich hoffe, jemand beendet deine Laufbahn. Du bist nicht wirklich ein Schweizer. Du bist ein verdammter Flüchtling. Sohn einer Affen-Schlampe!› Und als ich bei Chievo Verona spielte, zerkratzte man mir das Auto, schrieb ‹Nigger› drauf und zerschlug die Scheibe. Und man hat mir vor die Haustür gekackt. Ich habe daraufhin meine damalige Freundin in die Schweiz in Sicherheit gebracht. Das sind Dinge, die du als Fussballer und als Mensch nicht erleben möchtest.»
Gelson Fernandes (38) bestritt für die Schweizer Nati 67 Spiele. 2020 beendete er seine Karriere.
Babak Rafati über seinen Selbstmordversuch 2011
«Es ist Freitagabend, als ich im Kölner Hyatt einchecke. Ich habe zu jenem Zeitpunkt noch keine Ahnung, dass ich mich umbringen will. Ich weiss nur, dass es mir beschissen geht. Ich gehe zur Mini-Bar, sehe 13, 14 kleine Flaschen. Ich kippe sie alle weg. Ich schlucke 100 Baldriantabletten hinterher. Ich lasse mir ein Bad ein. Denn in mir kämpfen längst die Dämonen. Ich will, dass dieser Kampf endet. Dass dieses Gedankenkino vorbei ist. Ich schlitze mir in der Wanne beide Unterarme komplett auf, es schmerzt, es brennt, es blutet. Und es geht mir immer noch zu wenig schnell. Ich versuche, mich zu ertränken. Ich schaffe es nicht. Als ein Bademantel in die Wanne fällt, versuche ich, mich mit dem Gurt zu strangulieren, mich selbst zu erwürgen. Ich bin im Wahn, ich will den Kampf gewinnen. Ich schlage mir eine Bierflasche über den Kopf. Irgendwann ist dann plötzlich Filmriss, ich bin ohnmächtig.»
Babak Rafati (55) leitete als Schiedsrichter insgesamt 84 Bundesligaspiele.
Ciriaco Sforza über seinen Zusammenbruch 2006
«Ich unternahm oft lange Spaziergänge. Und unterwegs kamen die Tränen, einfach so. Meine Gefühlswelt war völlig durcheinander, es war eine totale Leere. Manchmal erwachte ich mitten in der Nacht, schweissgebadet, wieder kamen Tränen. Fast ein Jahr lang ging es so. Ich hatte plötzlich grosse Angst. Vor dem Versagen, vor dem Leben, vor einem plötzlichen Herztod wegen des ganzen Drucks.»
Ciriaco Sforza (55) war zuletzt Trainer des FC Schaffhausen.
Valon Behrami über Gräueltaten im Krieg
«Wir kamen mit dem letzten Bus aus dem Kosovo in die Schweiz, als wir merkten, dass es keine Zukunft mehr gibt. Kurz danach ging es los. Unser Haus wurde abgebrannt, wir verloren Freunde und Verwandte, ein Onkel sass im Gefängnis. Jeder von uns hat seine Geschichte. Meine Tante und ein anderer Onkel versteckten sich und wurden dann gefunden. Es passierte Folgendes: Alle Frauen wurden auf der einen Seite aufgestellt. Alle Männer auf der anderen Seite. Und meine Tante musste dann zusehen, wie ihr Mann und alle anderen erschossen wurden. Ein Wahnsinn. Das Schlimmste war die Ungewissheit, weil man wenig erfuhr. Und dann hörtest du im Fernsehen, dass wieder 20 Menschen gestorben sind. Und du wusstest nicht, ob deine Grosseltern tot sind. Ich verstand noch nicht alles, aber für meine Eltern war es wahnsinnig schlimm.»
Valon Behrami (40) bestritt für die Schweizer Nati 83 Spiele. Er arbeitet zurzeit als Sportdirektor bei Watford.