Die in der Schweiz stattfindende Fussball-EM der Frauen wird ein Turnier der Superlative: Schon im Mai waren fast so viele Tickets verkauft wie während der Endrunde in England vor drei Jahren. Die Uefa rechnet weltweit mit über 500 Millionen TV-Zuschauerinnen und -Zuschauern, ein Drittel mehr als bei der EM 2022.
Klingende globale Namen von Amazon bis Playstation zieren die Sponsorenliste. Das Preisgeld wurde fast verdreifacht, von 16 Millionen auf 41 Millionen Euro, und das bei gleichbleibender Teilnehmerzahl.
Noch vor wenigen Jahren bei der Endrunde in Schweden 2013 spielten die besten Fussballerinnen des Kontinents um einen Mini-Prämientopf von 2,2 Millionen. Auch sonst ist deutlich mehr Geld im Spiel: Bei der Frauen-EM 2017 in Holland nahm die Uefa 13 Millionen Euro ein, in England 2022 über 60 Millionen. Heuer wird es noch mehr sein. Allein die Einnahmen aus den Übertragungsrechten belaufen sich auf 85 Millionen Euro, das ist mehr als doppelt so viel wie bei der Rekord-EM vor drei Jahren.
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Challenge League statt Champions League
Doch so eindrücklich die Rekorde auch klingen und so stark das Wachstum auch sein mag: Im Vergleich zu den Männern spielen Frauen finanziell immer noch höchstens in der Challenge League. Die Geldsummen sind aus Männersicht ein Klacks: Die letztjährige Männer-EM in Deutschland etwa bescherte der Uefa Einnahmen in der Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Die Teams spielten um einen Prämientopf von 330 Millionen Euro.
Dabei sind die Preisgelder noch das Feld, auf dem sich die Verhältnisse am ehesten angleichen. Pro Mannschaft erhalten die Männer im Schnitt nur noch fünfmal mehr als die Frauen – nicht mehr das Zwanzigfache. Auch bei Weltmeisterschaften nimmt der Abstand ab.
Fifa-Präsident Gianni Infantino kündigte vor zwei Jahren an, dass Frauen und Männer ab 2026/2027 die gleichen Prämien erhalten sollen. Und auch die nationalen Verbände arbeiten an der Beseitigung der krassen Ungleichheit: Als erstes Land hat 2017 Norwegen bei den A-Teams der Nationalmannschaft die Lohngleichheit verwirklicht.
Davon sind die Vereine noch meilenweit entfernt. Denn dort gelten die Gesetze des Marktes: Die Löhne und Ablösesummen richten sich nach den (potenziellen) Einnahmen. Topspieler garantieren volle Stadien sowie hohe Einschaltquoten und erhöhen die Chancen auf Titel und Siegesprämien. Bei den Frauen werden kleinere Brötchen gebacken, auch wenn die Spielerinnen genauso hart trainieren und sich neunzig Minuten lang abrackern. In der Champions League werden 24 Millionen Euro ausgeschüttet. Bei den Männern sind es 2,5 Milliarden, hundertmal mehr.
Deshalb verdienen selbst die Topverdienerinnen wie Aitana Bonmatí oder Sam Kerr nur einen Bruchteil dessen, was Ronaldo und Co. einkassieren. Nur rund zwanzig Frauen weltweit kommen auf ein Jahreseinkommen über 250'000 Franken. Zwar ist auch bei den Frauen das Lohngefälle gross, doch können anders als bei den Männern nur wenige davon leben. Die grosse Masse ausserhalb der Topligen geht tagsüber einer anderen Arbeit nach.
Im Schatten der Männer
Das alles hängt letztlich mit der geringen Aufmerksamkeit zusammen, obwohl einzelne Spitzenspiele inzwischen über 50'000 Zuschauer anlocken und auch mehr Leute den Fernseher einschalten. «Frauenfussball bekommt weniger Aufmerksamkeit und damit auch weniger Gelder von Sponsoren und aus dem Verkauf von Übertragungsrechten», sagt Jonas Puck, Wirtschaftsprofessor an der Universität Wien und Vizepräsident des Fussballklubs First Vienna FC. «Es geht einzig um die Wahrnehmung des Sports, und daran muss gedreht werden.»
Denn Fussball sei in Europa immer noch männlich konnotiert. Er hat in der Entwicklung fast hundert Jahre Vorsprung auf den Frauenfussball, auch in der Schweiz. Der älteste Männerverein, der FC St. Gallen, ist 146 Jahre alt. Als Geburtsjahr des Frauenfussballs in der Schweiz gilt 1968, das Gründungsjahr des Damenfussballclubs Zürich (DFC Zürich).
Tennis ist eine Ausnahme
Mit dem historischen Erbe als Männerdomäne haben die Frauen auch in anderen Sportarten zu kämpfen. Vor allem Basketball und Eishockey galten ebenfalls lange als Männersportarten, entsprechend gross ist der Gender-Pay-Gap. Bei jüngeren Sportarten ist die Lohnschere tendenziell weniger ausgeprägt.
Nur Tennis passt nicht in dieses Muster: Die Briten erfanden das moderne Rasentennis in den 1870er-Jahren. Schon 1884 wurde das Wimbledon-Turnier mit einem Damenwettbewerb ausgetragen. 1900 war Frauentennis olympisch. Dank des Engagements der WTA-Gründerin Billie Jean King waren die US Open das erste Grand-Slam-Turnier, das Frauen und Männern ab 1973 das gleiche Preisgeld zahlte. Equal Pay gilt hier längst bei allen grossen Turnieren.
Auch was Sponsorengelder anbelangt, haben Männer und Frauen im Tennis ähnliche Erwerbschancen. Beim Skisport sind die Frauen ebenfalls nicht im Nachteil: Die Preisgelder sind in der Regel gleich hoch, und die Tatsache, wer am meisten verdient, hängt nicht vom Geschlecht ab, sondern von den Deals und Social-Media-Aktivitäten.
Über Frauensport wird allgemein viel weniger berichtet
Einfluss auf die Wahrnehmung von Frauensport hat auch die mediale Berichterstattung. Während drei Jahrzehnten dümpelte diese vor sich hin und stagnierte bis im Jahr 2019 bei einem Anteil von 5 Prozent. Seither geht es steil aufwärts. Doch handelt noch immer nur jeder fünfte Sportbeitrag von Athletinnen.
Die TV-Werbung ist ein Spiegelbild davon, und die EM liefert Anschauungsmaterial dafür. Laut den Zahlen der Werbevermarkterin Admeira, die wie dieses Online-Portal zu Ringier gehört, kostet ein Dreissig-Sekunden-Zeitslot im Anschluss an die Hymne beim Länderspiel Schweiz – Finnland sowie Schweiz – Island jeweils 20’250 Franken. Es sind die höchsten Beträge – einzig der Werbeslot vor dem Penaltyschiessen im Final kostet noch 5000 Franken mehr.
Was nach viel klingt, verblasst jedoch im Vergleich zur Männer-EM: Der Preis für einen Dreissig-Sekunden-Spot während des Vorrundenspiels Schweiz – Deutschland betrug bis zu 92'500 Franken, also mehr als viermal so viel. «Vonseiten des Stückpreises kennen wir keine Differenzierung», sagt Admeira-CEO Frank Zelger. Der Bruttogrundpreis pro tausend Kontakte für einen Werbeslot sei bei der Frauen-EM gar bis zu 6 Prozent höher als bei den Männern. Im Durchschnitt betrage dieser 134 Franken, bei den Männern hingegen seien es 125 Franken. Warum also trotzdem der grosse Unterschied?
Werbung ist weniger wert
«Preistreibend ist die Nachfrage respektive die Zuschauerzahl in der werberelevanten Gruppe», sagt Zelger. Die EM der Männer erreichte ein bis zu viermal grösseres Publikum. Das schlägt sich auf den Endpreis für einen Werbespot nieder. Die Schätzungen für den Final der EM der Frauen liegen bei 300'000 Zuschauern, bei den Männern fieberten letztes Jahr rund 1,1 Millionen an den Bildschirmen mit – Faktor 3,7.
Mit Blick auf den gesamten Sportmarkt erklärt Zelger, dass Admeira mit Fussball und den Olympischen Spielen jeweils den grössten Werbeumsatz erreicht. Mit etwas Abstand folgen die jährliche Eishockey-WM sowie die Skirennen. Der Rest falle kaum ins Gewicht – «ausser wenn ein Lokalheld gerade alles gewinnt». Als Roger Federer noch spielte, hätten mehr Leute Tennis geschaut, und Werbung sei ein beliebtes Investment gewesen. Die aktuelle Erfolgssträhne von Skistar Marco Odermatt sei ein weiteres Beispiel.
Die Suche nach einer Lokalheldin
Doch die Regel funktioniert nicht immer: Zwar dominierte der Radfahrer Fabian Cancellara über Jahrzehnte beim Zeitfahren und gewann dreimal die Flandern-Rundfahrt. Richtig gross wurde der Radsport im Schweizer Werbemarkt deswegen aber nicht. Daran wird auch der diesjährige Tour-de-Suisse-Sieg der Schweizerin Marlen Reusser nichts ändern.
Beim Radsport, auch so eine klassische Männerdomäne, harzt es aber sowieso mit der Gleichberechtigung. Erst bei wenigen Rennen, etwa bei der Flandern-Rundfahrt, wurden die Prämien vereinheitlicht. Bei den grossen Touren besteht noch immer eine markante Geschlechterlücke. Die Preissumme bei den Männern ist beim Giro d’Italia und bei der Tour de France sechs- beziehungsweise neunmal höher, was nicht allein durch die höhere Etappen- und Teilnehmerzahl zu rechtfertigen ist. Das durchschnittliche Budget eines World-Tour-Männerteams beträgt 28 Millionen Euro. Die Frauen müssen mit einem Siebtel davon auskommen.
Grosse Fortschritte machen hingegen die Basketballerinnen. Die US-amerikanische WNBA wächst so stark, dass Basketball gemäss Deloitte-Schätzung dieses Jahr global betrachtet Fussball als umsatzstärksten Frauensport ablösen wird. Vom grossen Geld kommt aber noch zu wenig bei den Spielerinnen an, vor allem im Verhältnis zu den Männern, die im Schnitt fast hundertmal mehr verdienen.
Ob Basketball, Tennis oder Fussball. Das Interesse am Frauensport steigt. Das verdeutlicht auch die Sponsorenliste der EM. Das Aufgebot ist immens: von weltweiten Sponsoren wie Volkswagen, Adidas, Amazon, Heineken und Hublot bis zu nationalen Partnern wie Swissquote, Miele und Swisscom. Es sind Firmen, die sich über die letzten Jahre für die Diversität einsetzten. Man munkelt, dass es jetzt fast eine Formsache sei, dass die Firmen ihr Engagement auch im Frauenfussball zeigen.
Dafür fahren sie nun Extrakampagnen wie diejenige der Axa mit dem Slogan «Keep on kicking»: Ein kleines Mädchen fragt sich, warum genau Fussball nur etwas für Männer sei. Im Verlauf des Spots spielen Mädchen und Frauen gemeinsam auf einem Platz – unabhängig vom Alter oder von der Lebenssituation. «Bleib am Ball», so der Tenor.
Die Europameisterschaft als Fördermittel
Es ist ein Credo, das Luana Bergamin freut. Die Co-Präsidentin des Netzwerks Sportif setzt sich für Diversität in Sportgremien und Verbänden ein. Der Utopie, dass die Gleichstellung von heute auf morgen kommt, verfällt sie nicht. Sie kann nicht nachvollziehen, warum die Erwartung vorherrscht, dass eine Frauen-EM bereits heute genauso erfolgreich sein muss wie eine der Männer: «Diese Diskussion ist abstrus», so Bergamin.
«Die Frauen-EM ist ein Fördermittel, um den Sport nachhaltig weiterzubringen. Denn keine andere Sportart, die so lange im Schatten der Männer stand, weist einen derart hohen Qualitätssprung auf in Sachen Sportlerinnen, Training oder Infrastruktur.» Der Anlass sei eine fantastische Bühne, um zu zeigen, was sich die Fussballerinnen in kurzer Zeit erarbeitet haben. «Jetzt muss der Schweizerische Fussballverband diese Chance auch wirklich nutzen.»
Denn Frauenfussball ist nicht langweilig, trotz physischer Unterschiede. «Frauenfussball ist deswegen nicht unattraktiver: Es ist ein anderes Spiel, es geht mehr um die technischen Fähigkeiten, mehr um den Sport selbst», sagt Wirtschaftsprofessor Puck. Um den Gender-Gap etwas zu reduzieren, müsste man versuchen, die Attraktivität des Sports in der Wahrnehmung zu verbessern, ist Puck überzeugt. «Dazu braucht es auch Grundlagenförderung und Investitionen in die Qualität.» Das Geschlecht sei doch kein Grund, eine Sportveranstaltung zu schauen oder nicht. Es gehe doch darum, ob etwas Spannendes passiert, um Geschichten.
Und Geschichten wird die Frauen-EM ab dem 2. Juli schreiben. Solche, die hoffentlich das Interesse weiterer Sponsoren wecken, die Reichweite des Frauenfussballs vergrössern und sämtliche Sportfans begeistern.