Goalie-Legende und LGBTQ-Ikone Nadine Angerer
«Ich lebe und liebe, wie es für mich stimmt»

Im Tor war sie eine Heldin, neben dem Platz wurde sie zur Ikone. Nadine Angerer (46), die Goalietrainerin der Schweizer Fussball-Nati, schaut auf eine grosse Karriere zurück und lässt einen tiefen Einblick in ihr Innerstes zu.
Publiziert: 12:48 Uhr
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Aktualisiert: 18:00 Uhr
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Nati-Goalietrainerin Nadine Angerer packt im Training an.
Foto: TOTO MARTI

Darum gehts

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Patrick MäderAutor Blick Sport

Treffpunkt ist ein Café in Bad Nauheim im Herzen von Hessen – dort, wo Elvis Presley einst gewohnt hat, wo Kaiserin Sisi oder Otto von Bismarck gekurt haben. Entlang des Parks findet man den Walk of Fame. Auf den im Boden eingelegten Bronzeplatten stehen die Namen der Berühmtheiten, die als Besucher von Bad Nauheim ihre Spuren hinterlassen haben: Max Schmeling, Franz Beckenbauer, Sepp Herberger … der Name Nadine Angerer findet man da nicht.

Dabei wäre es gar nicht abwegig, schaut man sich Angerers sportliche Visitenkarte an. Auszüge: zweifache Fussball-Weltmeisterin mit Deutschland, fünffache Europameisterin, dreifache Olympiamedaillengewinnerin, Europas Fussballerin des Jahres 2013, Weltfussballerin 2013.

Seit März 2024 ist die Torhüter-Legende Trainerin der Schweizer Nati-Goalies. Von ihrem Wohnort Bad Nauheim pendelt sie jeweils in die Schweiz. Ihre Mission ist die EM 2025, ihre Schützlinge heissen Livia Peng, Elvira Herzog, Nadine Böhi.

Nadine Angerer, welcher der vielen Titel ist Ihnen der wichtigste?
Nadine Angerer: Die Europameisterschaft 2013 war schon speziell, weil wir mit einer sehr jungen Mannschaft angetreten sind. Wir hatten während der Vorbereitung einen Rückschlag nach dem anderen. Fast täglich verletzte sich jemand. Wir waren spielerisch auch nicht die Besten, aber wir hatten einen unfassbaren Teamspirit. Ja, und auch die WM 2007 bleibt unvergesslich.

2007 haben Sie im Final einen Elfmeter der Brasilianerin Marta gehalten und das ganze Turnier kein Gegentor zugelassen.
Das war mein erstes Turnier als Deutschlands Nummer 1, nachdem ich zehn Jahre lang bloss Ersatz gewesen bin.

Unglaublich, dass Sie so lange Geduld hatten.
Ich habe mich nie negativ verhalten, war immer loyal und als Spassvogel wichtig für das Team. Aber klar, innerlich habe ich die Faust gemacht, denn ich wollte spielen und habe das schliesslich immer lauter gefordert.

Nadine Angerer Persönlich

Nadine «Natze» Angerer ist am 10. November 1978 in Lohr am Main in Unterfranken (D) zur Welt gekommen. Ihre Fussballer-Karriere startete sie als Stürmerin, wechselte dann 16-jährig ins Tor – der Anfang einer Weltkarriere, welche sie zu grössten Erfolgen (siehe Text) und Engagements in Deutschland, Australien und den USA trug. Angerer ist seit 2016 mit Magdalena Golombek verheiratet. Die beiden leben in Bad Nauheim bei Frankfurt. Seit März 2024 ist Nadine Angerer bei der Schweizer Frauen-Nati als Goalietrainerin tätig. Ihr Vertrag läuft bis Ende 2025.

Nadine Angerer 2011 vor der WM in Deutschland.
Keystone

Nadine «Natze» Angerer ist am 10. November 1978 in Lohr am Main in Unterfranken (D) zur Welt gekommen. Ihre Fussballer-Karriere startete sie als Stürmerin, wechselte dann 16-jährig ins Tor – der Anfang einer Weltkarriere, welche sie zu grössten Erfolgen (siehe Text) und Engagements in Deutschland, Australien und den USA trug. Angerer ist seit 2016 mit Magdalena Golombek verheiratet. Die beiden leben in Bad Nauheim bei Frankfurt. Seit März 2024 ist Nadine Angerer bei der Schweizer Frauen-Nati als Goalietrainerin tätig. Ihr Vertrag läuft bis Ende 2025.

In ihrem Buch «Im richtigen Moment» beschreiben Sie eindrücklich, wie Sie nach dem WM-Titel die Ruhe gesucht haben, weil der Trubel zu viel wurde.
Ich habe mich irgendwann vom Partysaal ins Treppenhaus unseres Hotels in China zurückgezogen, habe eine Zigarette geraucht und mir gesagt: «Du hast nicht versagt, du hast es allen gezeigt.»

Warum diese Versagensängste?
Ich habe vor dem Turnier den Mund aufgerissen, habe gepoltert und meinen Platz im Tor gefordert und musste dementsprechend danach liefern. Der Druck war enorm.

Man hat Ihnen den Druck nie angesehen, nichts schien Sie aus der Ruhe zu bringen.
Ich bin eine gute Schauspielerin. Wenn ich mal keinen guten Tag hatte und ich innerlich zweifelte, dann dachte ich erst recht: «Na komm, schiess doch, ich halt ihn sowieso.» Ich musste mich manchmal selber überlisten. Mit einer selbstsicheren Ausstrahlung kann man sich ein paar Zentimeter grösser machen. Das gibt den Mitspielerinnen ein gutes Gefühl und man verlangt so auch den Gegnerinnen Respekt ab.

Der Schweizer Comedian Bänz Friedli, der gerade mit seinem Programm auf Tour ist, hängt jeden Abend ein laminiertes Foto von Ihnen in der Umkleide auf. Darauf steht: «Diese 45 Minuten …» Offenbar ein Satz von Ihnen, mit dem er sich fokussiert, damit er während der Vorstellung alles andere ausblenden kann und nur an diese eine Hälfte bis zur Pause denkt. War das ihr Erfolgsgeheimnis?
Wie schön, das zu erfahren. Bei mir war das noch viel krasser. Ich habe mir die Spiele manchmal in Zehn-Minuten-Abschnitte aufgeteilt. 2007 war das extrem. Es hat ja überall Stadionuhren. Als ich zehn Minuten ohne Gegentreffer überstanden hatte, sagte ich mir, «geil, nichts passiert, keine Fehler» und nahm mir die nächsten zehn Minuten vor, dann wieder die nächsten. Am Ende waren wir Weltmeister.

Das klingt nach mentaler Höchstleistung.
Es gibt diese Geschichte von Diana Nyad. Sie wollte von Havanna in Kuba nach Key West in Florida schwimmen, 177 Kilometer. 28-jährig versuchte sie es zum ersten Mal und scheiterte. Danach scheiterte sie weitere dreimal. Körperliche Schmerzen, Sturmböen oder Quallenstiche stoppten sie. Doch hat sie nicht aufgegeben, stets nach Lösungen gesucht. Sie sang ihre Lieblingslieder im Wasser, wenn sie mental down war. Im fünften Anlauf schaffte sie es in 53 Stunden – da war sie bereits 64-jährig. Eine solche Geschichte inspiriert und motiviert mich. Es gibt ein Video davon, das ich meinen Torhüterinnen auch gezeigt habe.

Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt, ist das Los aller Torleute. War diese Achterbahn der Gefühle für Sie eher Belastung oder Reiz?
Es hat mich gereizt. Es ist ein unfassbar schönes Gefühl, wenn du beispielsweise einen Elfmeter hältst, dein Team darum gewinnt und am Ende alle jubelnd über dich herfallen und du ganz unten in der Traube nach Luft schnappst. Diese Hochgefühle habe ich genossen. Und dann muss man auch die Enttäuschungen in Kauf nehmen und verarbeiten. Aber danach ist auch mal wieder gut.

Wie meinen Sie das?
Ich habe mich nie nur über den Fussball definiert. Ich habe ein Leben, und mir ist wichtig, immer «open minded» zu bleiben, also interessiert und neugierig. Ich habe während meiner Karriere auch gerne und öfter Partys gefeiert, auf den Putz gehauen oder ich habe nach einem Spiel meinen Rucksack gepackt und bin irgendwo in der Natur zelten gegangen. Raus, den Kopf lüften, an etwas anderes denken, damit man sich danach wieder fokussieren kann.

Damit sind Sie gut gefahren. Viele halten Sie für die beste Torhüterin überhaupt. Andere finden, dieser GOAT-Titel gehöre Hope Solo (43), die über 200 Spiele für das US-Nationalteam gemacht hat und unter anderem dreifache Olympiasiegerin ist. Wie sehen Sie sich in dieser Diskussion?
Ich denke, zwischen 2007 und 2010 waren wir beide auf sehr, sehr hohem Niveau – da oben gab es wohl nur uns. Hope hatte eine krasse Ausstrahlung. Und es war immer interessant, wenn wir gegeneinander spielten. Manchmal war sie besser, manchmal ich.

Wer ist heute die beste Torhüterin der Welt?
Schwierig, es gibt inzwischen eine grosse Zahl an guten Goalies. Englands Mary Earps gehört sicherlich mit zu den besten.

Und bei den Männern?
Bis zu seiner schweren Verletzung war Marc-André ter Stegen für mich der kompletteste. Aber es gibt so viele überragende Torhüter: Gianluigi Donnarumma, Jan Oblak … ich mag diese soliden Goalies, die auf unnötige Showeinlagen verzichten.

Sie wurden 2013 als bis heute einzige Torhüterin zur Weltfussballerin des Jahres gewählt. Hat dieser Pokal einen Sonderplatz in ihrer Sammlung?
Nein, meine Pokale und Medaillen sind bei meiner Mutter zu Hause. Ich mache mir nichts aus ihnen. Ich bin stolz, auf das, was ich erreicht habe, aber das ist vorbei. Ich lebe jetzt und schaue nach vorne. Ich erzähle auch meinen Torhüterinnen nicht, wie das früher bei mir war. Heute ist eine ganz andere Zeit.

Der Frauenfussball entwickelt sich rasend. Auffallend, dass in Europa die ohnehin grossen Klubs wie Arsenal, Bayern, Barcelona immer dominierender werden und sich für den Boom in Position bringen. Klubs wie Turbine Potsdam, den Sie als Spielerin stark mitgeprägt haben, verschwinden zunehmend. Ist das eine gute Entwicklung?
Es geht gar nicht mehr anders. Die Fussballerinnen profitieren extrem von der Infrastruktur grosser Klubs, vom professionellen Umfeld, vom professionellen Personal, von der medizinischen Versorgung, den Trainingsmöglichkeiten und Stadien. Aber emotional ist diese Entwicklung sehr schade. Ich mag Klubs wie Turbine Potsdam, die sich über Jahre eigenständig etwas erarbeitet haben. Das nennt man wohl Fussball-Nostalgie.

Welche Erinnerungen haben Sie an Turbine?
Unser erster Meistertitel gehört zu meinen absoluten Highlights. Wir haben so lange versucht, Meister zu werden, doch war uns stets der FFC Frankfurt im Weg. Dann spielten wir 2004 den Saisonfinal ausgerechnet in Frankfurt, gewannen 7:2 und als wir mit dem Titel im Gepäck nach Potsdam zurückkehrten, haben uns dort 5000 Menschen erwartet und gefeiert. Die Meisterparty war phänomenal. Den Menschen in Potsdam ist dieser Klub ans Herz gewachsen, wenn der jetzt an Bedeutung verliert, schmerzt das sehr – auch mich.

Sie sind immer offen damit umgegangen, dass Sie eine Freundin haben, die seit 2016 auch ihre Ehefrau ist. Sie waren so nicht nur eine Fussballheldin, sondern wurden auch eine Ikone der LGBTQ-Bewegung. Wollten Sie diese Rolle überhaupt?
Ich habe mir nie einen Kopf darüber gemacht. Ich lebe und liebe einfach so, wie ich fühle und es für mich stimmt. Ich habe diese Ikonen-Rolle nicht gesucht. Sollte das aber so sein, dann freut mich das. Wenn ich Frauen oder auch Männern helfen kann, indem ich das vorlebe, was für mich völlig selbstverständlich ist, dann ist das ganz in meinem Sinn.

Sie haben als Torhüterin und Trainerin fast zehn Jahre in den USA gearbeitet und gelebt. Heute wird die LGBTQ-Bewegung von der Trump-Regierung bekriegt. Wo wird das hinführen?
Mir tut das im Herzen weh. Ich kenne so viele tolle Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich schämen für das, was gerade passiert – gerade in Portland, wo ich lebte, eine sehr liberale, tolle Stadt mit einer bunten LGBTQ-Bewegung.

Sie wohnen jetzt mit ihrer Frau in Bad Nauheim und machen bei Promi-Sendungen im TV mit wie kürzlich auf Sat.1 in «Das grosse Promibacken 2025» oder, etwas länger her, bei «Dancing on Ice». Macht das eigentlich Spass oder wird das einfach gut bezahlt?
Beides. Zwischendurch muss ich raus aus meiner Komfortzone. Ganz ehrlich, ich habe in meinem Leben noch nie gebacken, bevor ich beim Promibacken mitgemacht habe. Und als Eiskunstläuferin fühlte ich mich damals wie ein Elefant. Aber beides hat unheimlich Spass gemacht, und ich konnte über mich selber lachen. Ich gehe jetzt übrigens auch auf Tour.

Als Comedian?
Nicht direkt. Am 14. Januar 2026 gehts in Frankfurt los. Das Programm heisst: «Ecken und Kanten». In jeder Stadt wird mich eine prominente Freundin oder ein prominenter Freund auf der Bühne begleiten. Dann wird gequatscht, improvisiert, und hoffentlich viel gelacht – es wird wohl ein liebenswertes Chaos, in das auch das Publikum miteinbezogen wird.

Angerer auf Achse. Haben Sie angesichts ihrer grossen Erfolge in ihrer Karriere genug Geld verdient?
Ich habe geschaut, dass ich mit den Verträgen zufrieden war, bevor ich sie unterschrieb. Doch manchmal habe ich mich auch gegen das Geld und für das Leben entschieden. So nahm ich 2013 nicht das lukrative Angebot aus Russland an, sondern ging nach Australien, wo ich am Ende draufzahlen musste, aber dafür unbezahlbare Erfahrungen machen durfte. Fussballerinnen sind im Vergleich zu den Männern bis heute unverschämt unterbezahlt. Die Angleichung entwickelt sich nur schleichend. Es gibt noch wahnsinnig viel zu tun. Ich hatte Glück, dass ich in den USA arbeiten konnte. Vor allem in den acht Jahren als Torhütertrainerin habe ich gut verdient.

Und trotzdem haben Sie ihre Zelte in den USA abgebrochen, nachdem Sie das Angebot des Schweizer Nationalteams bekommen haben?
Bestimmt nicht wegen des Lohns, ich wollte einfach zurück nach Europa, wieder einmal raus aus der Komfortzone. Und ich bereue den Entscheid nicht. Der Job mit der Nati gefällt mir.

Ihr Vertrag beim SFV läuft bis Ende 2025. Was kommt danach?
Ich habe nun ein Jahr lang das in der Schweiz nötige Goalietrainer-Diplom nachgeholt und erfolgreich bestanden. Nun freue ich mich zuerst mal auf die EM, und danach sehen wir weiter. Ich würde gern hierbleiben. Die Schweiz ist ein traumhaft schönes Land, das Team ist toll und ein bisschen Schwiizertüütsch verstehe ich auch schon.

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