Fussball- und Hockey-Pionierin Kathrin Lehmann
«Da war mir klar: Ich brauche Hilfe, ich will mein Leben aufräumen»

Obwohl Kathrin Lehmann erst 45 ist, hat sie schon unglaublich viel erlebt. Ein Gespräch über Vorurteile, Diskriminierungen, den Körper als Ware, eine heimtückische Krankheit und den Tod ihrer geliebten Hündin.
Publiziert: 15:31 Uhr
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Aktualisiert: 20:04 Uhr
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Kathrin Lehmann: Sie feierte sowohl als Fussball-Goalie, als auch ...
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Daniel LeuStv. Sportchef

Frau Lehmann, Sie waren oder sind Fussballerin, Hockeyspielerin, Saxofonistin, Blockflötistin, TV-Expertin, Schiedsrichterin, Podcasterin, Rednerin und Unternehmerin. Gibt es etwas, das Sie nicht können?
Kathrin Lehmann: (Lacht.) Wenn Sie mich zur Weissglut treiben möchten, müssen Sie mir nur ein weisses Blatt Papier und Farbstifte hinlegen. Dann wäre ich komplett überfordert.

Was wollten Sie eigentlich als Kind werden?
Opernsängerin. Als ich zehn Jahre alt war, nahm mich mein Mami mit zum Opernhaus Zürich. Wir hofften an der Abendkasse auf Restkarten für Mozarts «Zauberflöte» und bekamen dann tatsächlich zwei Billette, und zwar für eine Loge! Ich hatte damals bewusst meine schönste grüne Hose und ein grünes Gilet angezogen, an den Füssen trug ich aber Turnschuhe mit Klettverschlüssen …

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Und wie wars?
Unglaublich. Plötzlich tauchte die Königin der Nacht in der Loge nebenan auf und sang ihre Arie. Sie trug einen wunderschönen Rock, hatte unglaublich lange Fingernägel, und beim Singen hat sie vor lauter Kraft und Anstrengung am ganzen Körper gezittert. Ich habe sie damals sogar berührt und war völlig fasziniert von dieser Energie der klassischen Musik. Sehen Sie, wenn ich davon erzähle, kriege ich heute noch Hühnerhaut. Ab diesem Moment war mir klar: Ich will Opernsängerin werden.

Kathrin Lehmann

Die Zürcherin feierte sowohl als Fussballerin als auch als Hockeyspielerin grosse Erfolge. Im Fussball war sie Goalie, gewann mit Duisburg den Uefa-Cup (Champions League), wurde Meisterin mit Bayern München, Seebach und Schwerzenbach und bestritt 31 Länderspiele. Im Hockey war sie Stürmerin, gewann mit Solna den Europacup, wurde Meisterin mit Solna, Kornwestheim und Planegg, nahm zweimal an Olympia teil und gewann WM-Bronze.

Heute lebt die 45-Jährige hauptsächlich in München, hält viele Vorträge, arbeitet für SRF Radio als Nati-Kommentatorin, begleitet bei Magenta die Frauen-Bundesliga und wird während der EM fürs ZDF als Expertin tätig sein.

Die Zürcherin feierte sowohl als Fussballerin als auch als Hockeyspielerin grosse Erfolge. Im Fussball war sie Goalie, gewann mit Duisburg den Uefa-Cup (Champions League), wurde Meisterin mit Bayern München, Seebach und Schwerzenbach und bestritt 31 Länderspiele. Im Hockey war sie Stürmerin, gewann mit Solna den Europacup, wurde Meisterin mit Solna, Kornwestheim und Planegg, nahm zweimal an Olympia teil und gewann WM-Bronze.

Heute lebt die 45-Jährige hauptsächlich in München, hält viele Vorträge, arbeitet für SRF Radio als Nati-Kommentatorin, begleitet bei Magenta die Frauen-Bundesliga und wird während der EM fürs ZDF als Expertin tätig sein.

Sie wurden stattdessen aber Fussballerin und Hockeyspielerin. Welche Sportart war zuerst da?
Eishockey. Mein Mami leitete damals in Küsnacht die Schlittschuhschule. Als es um die Frage ging, ob sie weitermachen würde, sagte sie nur unter der Bedingung zu, dass sie mich ins Training mitnehmen durfte. Dadurch stand ich schon als Vierjährige regelmässig auf dem Eis.

Und wie kamen Sie zum Fussball?
Ich kann mich noch daran erinnern, als ob das gestern gewesen wäre. Beim Sportplatz Heslibach in Küsnacht gab es vor dem Kiosk eine Steintreppe. Ich war neun, als ich dort dem Präsidenten erklärte, ich wollte nun auch Fussball spielen. Doch er meinte zuerst nur, er müsse das abklären, denn er wisse gar nicht, ob Mädchen in ihrem Klub spielen dürfen. Ich konnte das damals nicht nachvollziehen. Ich dachte mir, im FC sind doch die, die gerne Fussball spielen, und ich spielte ja gerne. Wenig später durfte ich zum Glück mitkicken.

Danach ging es rasend schnell aufwärts. Mit 14 wurden Sie Schweizer Meisterin im Fussball und debütierten in der Hockey-Nati. Als 19-Jährige sagten Sie: «In der Schweiz habe ich alles erreicht.»
Das war wirklich so. Ich wurde damals zur Fussballerin des Jahres gewählt, war die Nummer 1 der Schweiz, wurde mit Schwerzenbach Schweizer Meisterin und hatte hier keine Ziele mehr. Deshalb zog es mich dann ins Ausland.

Apropos Fussballerin des Jahres. Bei der Ehrung sagten Sie damals auch: «Endlich werde ich einmal für meinen Sport ausgezeichnet statt immer nur belächelt.»
Habe ich das wirklich gesagt? Rückblickend betrachtet würde ich eher sagen: Ich bin nicht belächelt worden, doch ich habe viele Ungerechtigkeiten erfahren.

Welche?
Damals wurde der Frauensportart von den Männern bewusst klein gehalten. Das habe ich vor allem im Hockey gespürt. Ich durfte nie im A-Team spielen, weil ich dort einem Buben, der weniger gut war als ich, den Platz weggenommen hätte. Oder oft bekamen wir Mädchen keine Garderobe, weil die Buben Vorrang hatten.

Wie sehr hat Sie das genervt?
Sehr, weil ich es nicht nachvollziehen konnte. Doch es ging halt oft ums Prestige. Plötzlich ist das Frauenteam erfolgreicher als das der Männer, und der lokale Pizzakurier sponsert deshalb die Frauen, was die Männer wiederum nicht akzeptieren wollen.

Damals hiess es oft: Eine solche Karriere, wie Sie sie hingelegt haben, wäre bei den Männern nicht möglich gewesen.
Wenn ich das zu hören bekomme, werde ich sauer.

Warum?
Weil da subtil mitschwingt, dass das Niveau bei den Frauen halt tief war und ich nur deshalb in zwei Sportarten Karriere machen konnte. Doch das stimmt nicht. Ich bin davon überzeugt, dass ein Roger Federer, eine Mikaela Shiffrin oder ein Marco Odermatt in fast jeder Sportart zur Weltspitze gehören würden, weil sie eine unglaubliche Bewegungsvielfalt haben.

Der Frauen-Teamsport ist bis heute voll von solchen Vorurteilen.
In diesem Begriff steckt ja schon das Wort Urteil drin. Gefällt wurde es jeweils ausschliesslich von Männern. Das nervt mich bis heute, denn ich bin wertfrei aufgewachsen. Als Kind spielten wir alle gemeinsam Fussball, egal ob Mädchen oder Buben, das war gar nie ein Thema. Doch je älter ich wurde, desto öfter bekam ich subtile Zwischenbemerkungen oder Diskriminierungen zu hören. Einmal erhielt das Fussball-Männerteam 20 neue Springseile. Als wir Frauen das auch wollten, hiess es nur: «Die braucht ihr nicht.» Ende der Diskussion.

Ist die Situation heute besser?
Solche Bemerkungen gibt es immer noch, aber mittlerweile werden sie von den Frauen gekontert und nicht mehr akzeptiert. Es wird zum Glück nicht mehr geschwiegen, wie das früher der Fall war.

Auf den ersten Blick legten Sie zwei Traumkarrieren hin. Gab es auch Tiefpunkte?
Ich habe nie in solchen Kategorien gedacht. Meine grösste Enttäuschung war sicherlich die Nicht-Qualifikation für die Olympischen Spiele 2002. Im entscheidenden Spiel gegen Japan spielten wir in Engelberg nur Unentschieden und verpassten dadurch unseren Traum. Danach gab ich SRF ein legendäres Interview. Ich sagte: «Es fühlt sich an, als ob jemand gestorben wäre.» Diese Aussage hatte dann ungeahnte Folgen für mich.

Welche?
Ich spielte damals für Turbine Potsdam Fussball. Die «Berliner Zeitung» nahm dieses Interview auf, und deshalb setzte mich mein Trainer auf die Ersatzbank. Mit der Begründung, wer in einem solchen Zustand sei, den könne er doch nicht spielen lassen.

Oft verliessen Sie den Platz aber als Siegerin. Sind Sie stolz darauf?
Ich wollte nie Titel gewinnen, ich wollte einfach mit und gegen die Besten spielen. Machst du das, holst du automatisch Titel. Deshalb ging ich auch nach Schweden und in die USA, weil dort die Besten waren. Ich habe zum Beispiel nach einem verlorenen Final auch nie geweint, weil es ein Teil des Deals ist, dass man ein Endspiel verlieren kann.

Vor einigen Jahren bilanzierten Sie: «Meine mentale Seite wurde sehr in Mitleidenschaft gezogen. Ich war eine Resultat-Berechnungsmaschine, es galt: Leistung, Leistung, Leistung.» Das klingt nicht gesund.
Der Sport war mein Beruf, und ich habe selber entschieden, das zu machen. Als Spitzensportler bist du mit deinem Körper ein Dienstleister. Du verkaufst deinen Körper, inklusive deiner Emotionen und deines Geistes, und je besser du bist, desto mehr Geld gibt es dafür.

Viele Sportler fallen nach Ihrer Karriere in ein tiefes Loch. Wie war es bei Ihnen?
Ich bin in kein tiefes Loch gefallen, weil ich schon immer viele Projekte und Tätigkeiten neben dem Sport hatte, aber ich musste schon einen Wandel durchmachen. Ich hatte ein Leben lang einen Trainer, der mir sagte, was richtig und was falsch ist. Zudem ist es im Sport einfach: Du gewinnst oder du verlierst. Und wenn du ein Tor schiesst, springst du in eine Spielerinnentraube rein und freust dich überschwänglich. Doch dann sind diese Emotionen plötzlich weg, und du musst ohne einen Trainer leben, der dir sagt, was du zu tun hast. Und es gibt auch keine klaren Resultate mehr wie «mit dieser Leistung hast du gewonnen oder verloren». Das Wirtschaftsleben und der Nicht-Sportalltag sind anders. Ich wollte irgendwann Klarheit und Ruhe in meinem Kopf. Ich wollte mit mir als Spitzensportlerin aufräumen.

War es eine Hürde, dies zu tun?
Nein. Ich spürte damals einfach, dass ich eine kurze Zündschnur hatte, die innere Ruhe weg war, und ich konnte nicht mehr den Moment geniessen. Dies war und ist eine grosse Stärke von mir, das Hier und Jetzt. Es war keine Midlife-Crisis, doch ich stellte mir die Frage, was ich nun mit meinem Leben noch machen möchte. Da war mir klar: Ich brauche Hilfe, ich will mein Leben aufräumen. Ich muss akzeptieren, dass Spitzensport vergänglich ist, du musst dich von deinem Spitzensport-Körper, der dein Kapital war, verabschieden und akzeptieren, dass du solche Emotionen nie mehr erleben wirst. Wenn du die Sucht Spitzensport aufräumen willst, brauchst du eine Therapie. In der gleichen Zeit kam aber noch etwas erschwerend hinzu.

Was?
Ich wusste schon seit 2008, dass ich die Autoimmunkrankheit Lupus erythematodes in mir trage, doch zum Glück brach sie nie aus, bis 2022 der Lupus nach einer normalen Schulter-OP ausbrach.

Was passierte dann?
Wenn diese Krankheit ausbricht, arbeitet dein eigener Körper gegen dich. Ich konnte während zweieinhalb Monaten nicht mehr schlafen. Ich war lange im Spital, Polyarthritisschübe kamen an Händen und Füssen. Ich konnte zum Teil nicht mehr laufen, und wenn ich im Bett lag, legte ich einen Karton über meine Füsse, weil es so schmerzhaft war, wenn die Decke die Zehen berührte. Es war viel Geduld gefragt. Ich habe diese Zeit mit Würde und Geduld ertragen, weil ich als ehemalige Spitzensportlerin wusste, was es heisst, mit dem Körper zu reden. Zum Glück bekamen wir die Krankheit sehr schnell in den Griff, und auch die Therapie half mir sehr, wieder die innere Ruhe zu finden. Heute bin ich viel gelassener und souveräner als noch vor ein paar Jahren.

Wie geht es Ihnen heute gesundheitlich?
Mir geht es sehr gut. Seit diese Krankheit ausbrach, mache ich jeden Tag einen etwa einstündigen Mittagsschlaf. Ist das mehrere Tage hintereinander nicht möglich, was zum Glück selten vorkommt, ist es anstrengend für mich. Ich merke, der Lupus ist noch da, aber ich habe ihn bestens im Griff.

2023 mussten Sie sich auch noch einer Hüft-OP unterziehen. Ist Spitzensport ungesund?
Ich sehe das nüchtern. Ich habe das Kapital meines Körpers maximal ausgeschöpft, und zum Glück lebe ich in einer Zeit, in der einem die Medizin helfen kann. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis auch meine Knie dran sind.

In den letzten Jahren habe ich Sie zweimal zufällig gesehen. Einmal bei einem Amateurfussballspiel in München, das Sie als Schiedsrichterin leiteten, und einmal bei einem Seniorinnen-Fussballturnier, bei dem Sie aufliefen. Warum machen Sie das alles?
Weil ich den Fussball liebe und ich mich gerne an der Basis aufhalte. Mittlerweile habe ich schon rund 400 Fussballspiele gepfiffen.

Was kriegen Sie dafür?
Pro Spiel etwa 50 Euro, doch darum geht es nicht.

Worum geht es dann?
Als Schiedsrichterin bin ich mittendrin im Geschehen. Zudem lege ich etwa pro Spiel acht Kilometer zurück. Das wären auf der Tartanbahn rund 20 Runden. Ich hätte doch keine Lust, alleine 20 Runden zurückzulegen.

Erst kürzlich sorgte in der Schweiz ein Vater für Schlagzeilen, der in einem C-Junioren-Spiel einen Schiedsrichter schlug. Haben Sie auch schon brenzlige Situationen erlebt?
Leider ja, ich weiss, was es bedeutet, angespuckt zu werden oder bis zum Auto verfolgt zu werden. Zum Glück wurde ich aber noch nie geschlagen. Ich bin eine Befürworterin eines «Fussball-Fan-Ausweises». Um diesen zu erhalten, muss unter anderem eine Regelprüfung abgelegt werden. Wer diesen Ausweis nicht hat, der hat auf einer Sportanlage nichts zu suchen.

Als ich Sie in München sah, hatten Sie Ihre Hündin Fleur dabei. Wie geht es ihr?
Ich musste sie leider kurz vor Ostern einschläfern lassen. Das war sehr traurig, denn nun habe ich zum ersten Mal seit 16 Jahren keinen Hund mehr an meiner Seite. Zudem halte ich ja oft Vorträge, und Teil des Deals war es immer, dass ich Fleur mitnehmen durfte. Deshalb haben die Veranstalter jeweils ein Hundebettchen auf der Bühne hingestellt. Es gab nun schon ein paar Auftritte, während denen das Bettchen nun leer auf der Bühne stand, weil die Veranstalter natürlich nicht mitgekriegt hatten, dass Fleur leider nicht mehr lebt.

Die Heim-EM steht nun vor der Tür. Wie gross ist Ihre Vorfreude?
Sehr gross, ich werde wieder als ZDF-Hauptexpertin tätig sein. Das wird eine spannende Herausforderung sein, da ein Millionenpublikum zuschauen wird. Doch ich liebe diesen Druck, bin mir aber auch meiner Verantwortung bewusst.

Wie meinen Sie das?
Ich rede als Expertin nicht nur über 4-4-2, sondern jeweils auch über die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung des Fussballs. Deshalb muss ich mir schon genau überlegen, was ich sage und was nicht.

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