Voss-Tecklenburg über Beurteilung von Sundhage
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«90 Minuten können bestimmen»:Voss-Tecklenburg über Beurteilung von Sundhage

Ex-Nati-Trainerin Voss-Tecklenburg fiebert immer noch mit
«Dieser Viertelfinal ist so viel wert wie ein Finale»

Martina Voss-Tecklenburg ist eine der Mütter des EM-Viertelfinal-Einzugs. Im Blick-Interview sagt die Ex-Nati-Trainerin, warum sie die EM-Euphorie nicht überrascht, wie gut die Generation Schertenleib ist – und warum sie früh von Alisha Lehmann beeindruckt war.
Publiziert: 17:32 Uhr
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Aktualisiert: 17:43 Uhr
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Mittendrin, hier auf dem Bundesplatz in Bern: Martina Voss-Tecklenburg verfolgt die EM in der Schweiz eng.
Foto: IMAGO/Steinsiek.ch
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Emanuel GisiSportchef

Blick: Martina Voss-Tecklenburg, als Sie 1989 mit Deutschland Europameisterin wurden, haben die Spielerinnen als Prämie ein Kaffeeservice erhalten. Haben Sie das noch?
Martina Voss-Tecklenburg: Ich habe noch Teile davon, und es gibt bei diesem Thema zwei Seiten. Wir waren damals Amateurinnen, der DFB hätte uns eh keine finanziellen Prämien zahlen dürfen. Da hat sich dann beim Verband halt jemand etwas einfallen lassen. Das war vor 36 Jahren, als wir im Fussball und in der Gesellschaft an einem anderen Ort waren. 1989 war es ein weit entfernter Traum, Profi zu werden.

Sie sind im Ruhrpott aufgewachsen. Raue Region, Bergbau, wenig Raum für Romantik. Wer waren Ihre Vorbilder, als Sie in den 1970er-Jahren aufwuchsen?
Männer. Ich habe mich an meinen Brüdern orientiert. Und am MSV Duisburg, da habe ich beim Training zugeschaut und die Bälle zurückgeschossen. Das waren meine Idole. Mein ganz grosses Vorbild war später Pierre Littbarski. Darum war es das grösste Kompliment für mich, als Fritz Walter 1993 bei einem Spiel im Stadion war und gemeint hat: «Die Nummer 7 dribbelt wie Littbarski.» Die Nummer 7 war ich.

Haben Sie damals geahnt, wie gross der Hype 2025 um den Fussball der Frauen sein würde?
In der Frage steckt die Skepsis drin, die in der Schweiz vor dem Turnier geherrscht hat. Ich habe das im Vorfeld viel positiver gesehen. Denn ich wusste, was international passieren wird, dass Fans aus ganz Europa kommen werden. Die letzte Europameisterschaft 2022 in England war ein grosses Ding. Schauen Sie sich die Fanmärsche an: Da stehen auf dem Rücken der Trikots nun die Namen der weiblichen Stars. Das zeigt: Der Frauenfussball ist hier, um zu bleiben.

Wir Schweizer sind halt ein bisschen zurückhaltend.
Ja, ihr seid ein bisschen überrascht (lacht). Und jetzt interessieren sich Leute, die bislang wenig mit Fussball zu tun hatten, für die Nati. Das ist eine tolle Entwicklung. Das ist die Kraft, die der Fussball entwickeln kann. Ein ganzes Land verliebt sich in seine Mannschaft, bekennt sich zu einem Team – und findet gleichzeitig einen Weg, auf positive Weise stolz auf das eigene Land zu sein. Ich hoffe nur, dass dieser Schub in den Herbst mitgenommen werden kann, wenn die Meisterschaft wieder losgeht. 

Sie waren von 2012 bis 2018 Schweizer Nationaltrainerin. Sind Sie der Nati noch verbunden?
Ja, und wie! Beim Spiel gegen Island war ich im Stadion, da hatte ich feuchte Augen (lacht). Und heiser war ich danach auch, so wie ich da geschrien habe.

Voss-Tecklenburg persönlich

Die ehemalige Schweizer Fussball-Nationaltrainerin kommt 1967 in Duisburg auf die Welt. Im DFB-Dress wird die Offensivspielerin eine der prägendsten Figuren im deutschen Frauenfussball überhaupt: Von 1984 bis 2000 kickt Voss international und kommt auf 125 Länderspiele, inklusive vier EM-Titeln und einer WM-Finalteilnahme. Auch als Trainerin sammelt sie Titel: Mit Duisburg gewinnt sie 2009 den Women's Cup, den Vorläufer der Champions League. Auf Vermittlung von Peter Knäbel, damals Technischer Direktor beim SFV, kommt die seit 2009 mit dem Bauunternehmer Hermann Tecklenburg (76) verheiratete Trainerin in die Schweiz, wo sie die Nati 2015 erstmals an die WM und 2017 erstmals an die EM führt. Danach erfüllt sie sich einen grossen Traum: Von 2018 bis 2023 trainiert sie die deutsche Nationalmannschaft. Voss-Tecklenburg coacht das Team an der EM 2021 in den Final. Nach dem WM-Vorrundenaus im letzten Jahr bricht sie zusammen und kehrt nicht wieder an die Seitenlinie zurück. Während der EM 2025 ist sie unter anderem als TV-Expertin für SRF tätig. 

Martina Voss-Tecklenburg führte die Schweiz 2015 erstmals an die WM und 2017 erstmals an die EM.
imago/foto2press

Die ehemalige Schweizer Fussball-Nationaltrainerin kommt 1967 in Duisburg auf die Welt. Im DFB-Dress wird die Offensivspielerin eine der prägendsten Figuren im deutschen Frauenfussball überhaupt: Von 1984 bis 2000 kickt Voss international und kommt auf 125 Länderspiele, inklusive vier EM-Titeln und einer WM-Finalteilnahme. Auch als Trainerin sammelt sie Titel: Mit Duisburg gewinnt sie 2009 den Women's Cup, den Vorläufer der Champions League. Auf Vermittlung von Peter Knäbel, damals Technischer Direktor beim SFV, kommt die seit 2009 mit dem Bauunternehmer Hermann Tecklenburg (76) verheiratete Trainerin in die Schweiz, wo sie die Nati 2015 erstmals an die WM und 2017 erstmals an die EM führt. Danach erfüllt sie sich einen grossen Traum: Von 2018 bis 2023 trainiert sie die deutsche Nationalmannschaft. Voss-Tecklenburg coacht das Team an der EM 2021 in den Final. Nach dem WM-Vorrundenaus im letzten Jahr bricht sie zusammen und kehrt nicht wieder an die Seitenlinie zurück. Während der EM 2025 ist sie unter anderem als TV-Expertin für SRF tätig. 

Eine Reihe von Nationalspielerinnen haben Sie selber noch begleitet.
Ja, viele von ihnen waren zum Beispiel in der Nachwuchsakademie des Verbandes, wo wir mit ihnen gearbeitet haben. Géraldine Reuteler, Livia Peng, Riola Xhemaili, Alisha Lehmann …

Lehmann hatte am Freitag ihren ersten EM-Einsatz – und war am Ausgleichstor beteiligt.
Das freut mich so sehr für sie. Als sie auf den Platz gekommen ist, hat sie Einfluss genommen. 

Und hat damit bewiesen, dass sie nicht nur ein Instagram-Phänomen ist.
Das kann auch niemand ernsthaft behaupten. Alisha ist eine gute Fussballerin, die früh wusste, was sie wollte. Sie stand mit 17 Jahren vor mir und hat mir erklärt, sie gehe jetzt nach England, um sich da sportlich weiterzuentwickeln. «Schulabschluss? Kriege ich schon hin», hat sie gesagt. Da habe ich leer geschluckt, aber sie hat das durchgezogen. Das verdient grossen Respekt.

Wie beurteilen Sie das Phänomen Lehmann?
Ich beurteile bloss die fussballerischen Aspekte, da hat sie bessere Entscheidungen getroffen und schlechtere. Aber jetzt ist sie zu Recht im EM-Kader der Nati und hat im Team ein hohes Standing, das ist das Entscheidende.

Und das Drumherum?
Sie ist eine Person des öffentlichen Lebens. Das ist eine bewusste Entscheidung gewesen. Sie weiss, was sie will, das Ziel hat sie konsequent verfolgt. Darüber hinaus masse ich mir nicht an, sie zu bewerten. 

Géraldine Reuteler ist ein anderer Ex-Schützling von Ihnen. Sie war in allen drei Gruppenspielen offiziell Spielerin des Spiels. Bei den Männern würde in so einem Fall über den nächsten grossen Transfer spekuliert. Wo landet Reuteler?
(Lacht.) Soweit ich weiss, steht sie bei Eintracht Frankfurt noch unter Vertrag. Ich will nicht in Teufels Küche kommen mit der Eintracht, aber ich bin der Überzeugung, dass sie in vielen grossen Klubs in Europa eine ausgezeichnete Rolle spielen könnte.

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Und dann gibt es die junge Generation um Schertenleib, Beney, Wandeler.
Diese junge Generation gibt viel, viel her. Sie haben das Zeug, internationale Klasse zu erreichen, bei Topklubs zu spielen. Sie werden ihren Weg gehen. Aber man muss darauf schauen, nicht zu früh einen zu grossen Schritt zu machen. 

Mit Blick auf diese junge Generation: Wie golden ist die Zukunft des Schweizer Frauenfussballs?
Wenn man das auf Titel bezieht, bleibt der Weg sehr weit. Die anderen Nationen arbeiten auch gut. Für die Schweiz ist ein EM-Viertelfinal so viel wert wie für Frankreich, England oder Spanien das Finale. Darauf kann man schon stolz sein! Aber es ist toll, dass ein Umbruch eingeleitet werden konnte. Es gibt junge Spielerinnen, die das Gerüst für die Zukunft sein können.

Sie haben 2012 die Schweizer Nati übernommen. Was haben Sie für ein Team vorgefunden?
Die Frauen waren top motiviert und sehr talentiert. Aber die Rahmenbedingungen waren höchstens semiprofessionell. Wer Spitzensport macht und daneben noch 50, 80 oder wie Fabienne Humm sogar 100 Prozent arbeitet oder noch zur Schule geht, kann sich nicht gleich entwickeln wie ein Vollprofi. Meine erste Aufgabe war es, den Frauen Selbstvertrauen zu geben, um zum Beispiel den Sprung ins Ausland zu wagen. Etwas zu riskieren, den sicheren Job aufzugeben, den Sprung ins Ungewisse zu machen. 

Hat hier die Schweizer Mentalität gebremst?
Auf jeden Fall. Ein Beispiel: Wenn wir U16-Talente gesichtet haben, haben wir die immer gefragt, wie sie sich selber im Vergleich zu ihren Mitspielerinnen einschätzen. Selbst die Besten haben sich lieber als Durchschnitt verortet, als sich selber zu loben. Bloss nicht auffallen, war der Tenor. Das hat sich schon geändert.

Wobei die aktuelle Nationaltrainerin Pia Sundhage sagt, die Schweizerinnen seien immer noch zu lieb und zu leise.
Das kann ja auch gar nicht anders sein. Im Vorfeld der EM stimmten die Ergebnisse nicht, dann bist du unsicher, da kannst du nicht auf die Pauke hauen. Darum ist diese EM so wichtig: Die Nati-Spielerinnen können die Sicherheit entwickeln, dass sie etwas können. 

Welche Beziehung haben Sie zu Ihrer Nachfolgerin Sundhage?
Seit wir in den 1980er-Jahren gegeneinander gespielt haben, kennen wir uns. Sie war damals schon eine grossartige Fussballerin. Und eine tolle Musikerin! Sie stand 1989 schon mit der Gitarre auf der Bühne und hat gesungen. Und heute hat sie als Trainerin eine extreme Erfahrung, mit all den grossen Teams, die sie trainiert hat. Sie ruht in sich, das ist eindrücklich, wie sie das ausstrahlt. 

Und trotzdem bekommt man den Eindruck: Sundhage ist von der Euphorie im Land berührt.
Sie ist echt bewegt. Ich habe das als ausländische Trainerin hier in der Schweiz selber erlebt: Ich war hier schnell zu Hause. Man sieht ihr an, dass ihr das ähnlich geht. Ich sehe ihre glänzenden Augen, ihr ungläubiges Staunen und den Stolz darauf, dass es funktioniert hat. Gerade wenn du wie sie in der Kritik gestanden hast, ist da auch Genugtuung dabei. Sie ist emotional ganz nahe dran. Für sie ist das nicht nur ein Job – ein Phänomen, das meiner Meinung nach bei Frauen noch verbreiteter ist als bei männlichen Trainern.

Die Schweiz ist im Frauen-EM-Taumel. Was ist der grösste Fehler, der in der Begeisterung nun passieren kann?
Zu glauben, es sei ein Selbstläufer. Die Verantwortlichen müssen in der Realität bleiben. Und weiter arbeiten, eine zentralisierte Ausbildung forcieren, jungen Frauen Perspektiven aufzeigen. Ich habe da grosses Vertrauen in den neuen SFV-Präsidenten Peter Knäbel (ab August im Amt, d. Red.). Er hat sich schon in seiner ersten Zeit beim Verband sehr stark für die Frauen eingesetzt.

«Wir haben Tolles erreicht, aber wollen trotzdem mehr»
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Voss-Tecklenburg zur Nati:«Wir haben Tolles erreicht, aber wollen trotzdem mehr»
Gruppe A
Mannschaft
SP
TD
PT
1
3
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4
3
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0
4
4
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Playoffs
Gruppe B
Mannschaft
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1
3
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3
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-6
1
Playoffs
Gruppe C
Mannschaft
SP
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PT
1
3
6
9
2
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1
6
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3
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0
Playoffs
Gruppe D
Mannschaft
SP
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PT
1
2
4
6
2
2
3
3
3
2
-1
3
4
2
-6
0
Playoffs
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