Vier Sportzeitungen erscheinen jeden Tag in Spanien, dazu kommen zwei Dutzend Radio- und TV Sender, die sich 24 Stunden mit Fussball beschäftigen. Sie alle müssen jeden Tag ihr Publikum unterhalten. Doch weil die spanische Meisterschaft so spannungslos wie selten zuvor war, und sich die Situation bei Real Madrid mit der Rückkehr von Zinédine Zidane einigermassen entspannt hat, stürzen sich die Reporter auf jedes Skandälchen.
So kommt es, dass vor dem heutigen Champions-League-Halbfinal plötzlich Liverpool-Coach Jürgen Klopp zur Zielscheibe der spanischen und vor allem katalanischen Medien wird.
Klopp hatte in einem Interview gesagt, er habe sich 2016 das Champions-League-Spiel Barcelonas gegen Borussia Mönchengladbach angeschaut. Barça gewann das Spiel im Camp Nou mit 4:0. Noch wichtiger war für Klopp aber folgende Erkenntnis: «Allein gesehen zu haben, dass das auch nur ein Stadion und kein Tempel ist, das war sicher wichtig.»
Das Camp Nou ein normales Stadion? Für die Katalanen ist das ein Affront erster Güte. Camp Nou, dieser Betonkoloss, das grösste Stadion Europas, das fast 100'000 Fans Platz bietet, ist für sie ein Heiligtum. Ein Tempel eben. Und nun kommt also dieser deutsche Trainer mit der aufgeforsteten blonden Mähne und der blütenweissen Kunst-Zahnreihe und versucht, den Mythos Camp Nou kleinzureden. «Unerhört», findet das die Sportzeitung «Mundo Deportivo». «Klopp heizt den Halbfinal an», titelte das Barça-Hausblatt empört.
Auch der Klub meldet sich
Eine Stunde lang diskutierte eine Expertenrunde auf Radio Marca über Klopps Aussage und kam zum Schluss, dass es sich dabei um eine «boshafte Geringschätzung des grössten und besten Stadions der Welt» handle.
Längst war da die Empörung auch auf den spanischen Strassen, in den Tapa-Bars und auf den Coiffeurstühlen angekommen. So, dass sich sogar der FC Barcelona genötigt fühlte, die Dinge ins rechte Licht zu rücken: «Das ist Camp Nou. Unser Zuhause. Unser Tempel. Unsere Festung», schreibt der Klub auf Twitter und untermalt die Nachricht mit drei Emojis: Feuer, Schwert und Schild.
Logischerweise musste Klopp bei der Pressekonferenz am Dienstag zuerst einmal erklären, wie er das denn nun gemeint habe, dass Camp Nou «kein Tempel» sei. Mit leicht gespielter Empörung bellte der Deutsche den katalanischen Journalisten, der die Frage gestellt hatte an: «Ich habe vor dem Spiel 500'000 Interviews gegeben und Du kramst diesen Satz heraus. ‹Oh, er hat 'kein Tempel' gesagt›. Dabei habe ich 500'000 positive Sachen über Barcelona gesagt.»
Barça-Trainer verteidigt Kloppo
Unterstützung bekam Klopp danach ausgerechnet von Barça-Trainer Ernesto Valverde: Klopp habe doch nur den Fussball entdramatisieren wollen. Es sei tatsächlich so, dass das Camp Nou «letzlich auch nur ein Spielfeld ist, mit zwei Toren und 22 Spielern, die versuchen, ein Tor zu erzielen».
Und auch Ivan Raktic war sichtlich bemüht, Druck aus der Diskussion zu nehmen: «Ich denke, Klopp wollte seinen Spielern die Nervosität nehmen.»
Dass der Liverpool-Coach danach den FC Barcelona und vor allem Superstar Messi in den höchsten Tönen lobte, ging in der allgemeinen Tempel-Hysterie fast unter. «Wir treffen auf eine brillante Mannschaft und auf Messi», den Klopp als «Weltnummer 1» bezeichnete.
Trotz dieser versöhnlichen Worte darf Klopp nicht damit rechnen, dass ihn die mehr als 90 000 Barça-Anhänger mit Applaus empfangen werden.
Liverpool-Fans festgenommen
Für Ärger sorgten am Mittwoch ausserdem angereiste Liverpool-Fans. Sechs Anhänger wurden festgenommen. Ein Liverpool-Fan wurde dabei gefilmt, wie er zwei Männer – einen asiatischen Touristen und einen jungen Mann dunkler Hautfarbe – in den Brunnen der Plaça Reial warf.
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