Zwei in den Boden gerammte Baumstämme bilden das nur vier Meter breite Tor. Die weisse Farbe am Holz blättert ab. Ein Netz gibts nicht. Eine Latte genauso wenig.
Wir stehen neben der Hauentalstrasse in Schaffhausen auf einem Bolzplatz. Nur 40 Meter lang, 20 Meter breit. Links begrenzt durch den Wald, rechts durch Schrebergärten. Auf dieser schattigen Naturwiese kickt Ende der 70er-Jahre jeden Abend der italienische Gastarbeiter Fiorindo Di Matteo, Kranführer bei der Schaffhauser Stahlgiesserei Georg Fischer AG, mit seinem einzigen Sohn Roberto.
Heute Abend schaut die ganze Welt auf Robi, den Secondo aus Schaffhausen: Chelsea-Trainer Roberto di Matteo (41) träumt davon, sich im Champions-League-Final gegen Heimteam Bayern München unsterblich zu machen. Napoli (mit den Schweizern Inler und Dzemaili), Benfica Lissabon und Titelverteidiger Barçelona (mit Fussball-Gott Messi) hat Di Matteos Team auf dem Weg zum heutigen Final aus dem Weg geräumt.
Stéphane Chapuisat (mit Dortmund) und Ciri Sforza (Bayern) haben es als Spieler schon geschafft, jubelt heute erstmals auch ein Trainer mit Schweizer Wurzeln nach dem Final der Königsklasse?
BLICK ging in Schaffhausen, dem Geburtsort des Chelsea-Trainers, auf Spurensuche.
Stahlwerkstrasse, ein knapper Kilometer nordwestlich des baufälligen Fussball-Stadions Breite. Reihenmehrfamilienhäuser, gebaut vor 102 Jahren durch die Georg Fischer AG. Im 1. Stock des Hauses Stahlwerkstrasse 13 wohnte Roberto mit Mama Gianna, Papa Fiorindo und der fünf Jahre älteren Schwester Concetta. Im Hinterhof spielten die Kinder der Arbeitersiedlung. Rentnerin Agnese Dalla Vecchia erinnert sich: «26 Kinder, eine richtige Rasselbande.» Renate Belotti (47), die mit Di Matteos Schwester Concetta zur Schule ging, sagt zu BLICK: «Roberto war ein sehr vifer Kerl. Seine Cleverness kam schon damals durch. Doch oft durfte er nicht mit uns spielen, er musste mit seinem Vater auf den Fussballplatz.» Der liegt auch heute noch am Waldrand keine 200 Meter neben der Siedlung Stahlwerkstrasse.
1978 tritt Secondo Di Matteo als 8-Jähriger dem FC Schaffhausen bei. Am 23. Mai 1988, sechs Tage vor seinem 18. Geburtstag, wird Robi beim Cupfinal GC – Schaffhausen (2:0) in der 73. Minute für den späteren Nati-Coach Rolf Fringer eingewechselt.
Der heutige Schaffhauser Verwaltungsratspräsident Aniello Fontana, damals Vize-Präsident beim FCS, erinnert sich: «Robi war ein sehr ruhiger Mensch, das Gegenteil von Rolf Fringer. Robi wirkte phlegmatisch, war aber schon immer ein sehr guter Techniker. Fringer hat früh erkannt, was Robi drauf hat.» In seinem Büro an der Schaffhauser Frauengasse zeigt Fontana alte Fotos und eine Karikatur von Di Matteo.
Fringer, mittlerweile 55 Jahre alt und nächste Saison Trainer beim FC Zürich, funktioniert später als FCS-Spielertrainer Mittelfeldspieler Di Matteo zum Libero um.
Als Di Matteo (die Transferrechte besitzt damals Aniello Fontana) 1991 zum grossen FC Zürich wechselt, kassiert der FCS 150 000 Fr.
1992 treffen sich Fringer und Di Matteo beim FC Aarau wieder. Und feiern 1993 sensationell den Meistertitel. Darauf startet der Junge von der Stahlwerkstrasse richtig durch. Transfer zu Lazio Rom. Fontana: «Er kostete eine Milliarde und 660 Millionen.» Italienische Lire, versteht sich. Umgerechnet damals 2 Mio Franken. Fontana: «Der teuerste Transfer dannzumal.» Robi baut seinen Eltern in der Nähe von Rom ein Haus. Auch die mittlerweile erblindete Schwester verlässt die Schweiz.
Am 16. November 1994 machte Di Matteo unter Arrigo Sacchi sein erstes von 34 Länderspielen für Italien. Für die Schweiz wollte er nie spielen.
Von 1996 an schiesst er für den FC Chelsea in 175 Partien 26 Tore – ehe seine Karriere im September 2000 abrupt endet. Im Champions-League-Spiel gegen den FC St. Gallen im Zürcher Hardturm erleidet er einen doppelten Schien- und Wadenbeinbruch (gestern im BLICK).
Nach dem Triumph im FA-Cup der Champions-League-Sieg?
«Trainer will ich eigentlich nicht werden», sagt Di Matteo während der zweijährigen, erfolglosen Rehabilitation. 2002 der Rücktritt als Sport-Invalider. 2008 wird Di Matteo Trainer beim englischen Drittligisten Milton Keynes Dons. Er steigt gleich auf, führt danach West Bromwich in die Premier League. Seit dem 4. März 2012, der Entlassung von Villas-Boas, sitzt Assistent Di Matteo bei Chelsea auf dem Chef-Posten. Den FA-Cup hat er als Trainer bereits gewonnen. Macht sich der Schaffhauser heute mit Champions-League-Titel gar unsterblich?
«Wird hier ein Haus gebaut?», fragt ein Passant BLICK, als wir Di Matteos Bolzplatz mit Meter-Schritten abmessen. Beruhigt, dass die Bagger nicht schon bald auffahren werden, geht der Mann mit einem Stück Brot und einer halben Cervelat in der Hand weiter, sagt noch: «Hier habe ich nach der Pfadi jeweils auch gespielt.» Auch mit Di Matteo? Der Mittvierziger lächelt: «Chelsea gewinnt!»