Darum gehts
Ein unscheinbares Quartier im Norden der Stadt Zürich. Viel Beton, reichlich Grün. Ein paar Baumkronen, moderne und alte Häuserzeilen. Im Hintergrund hört man dann und wann das dumpfe Brausen der Autobahnzubringer, die Vögel zwitschern. Viel Gewusel, Kinderstimmen, Menschen beim Kaffee. Vor den denkmalgeschützten Fussball-Garderoben stehen schicke Velos. Willkommen auf der Steinkluppe, willkommen in der Heimat des FC Unterstrass. Der regionale Zürcher Zweitligist empfängt im Cup in der 2. Runde den früheren Renommierverein Neuchâtel Xamax.
«Sensationell, berauschend, verzaubernd – ein Spektakel! Ein Festival für die Sinne. Eine fast unmögliche Aufgabe für Xamax.» Der adrett gekleidete Hutträger mit sonorer Stimme und markanten Gesichtszügen setzt zu einem sanften Lächeln an: Für den Schweizer Schauspieler Anatole Taubman ist Fussball weit mehr als eine flüchtige Bekanntschaft: «Fussball war immer da, mein stiller bester Freund, dem ich vertrauen konnte. Immer schon an meiner Seite. Er hat mir neben der Faszination und Unterhaltung vor allem Halt und Verlässlichkeit gegeben.»
Vor Jahrzehnten wird der idyllische Sportplatz FC Unterstrass für den Sohn eines Königsberger Impresarios aus der klassischen Musik und einer gebürtigen Wienerin zu einem besonderen Stück Heimat. Taubman ist auf zahllosen Bühnen auf der ganzen Welt engagiert. Er lebt in Hotels, in europäischen Metropolen, geht über Teppiche, ist Teil von internationalen Produktionen. Er pendelt zwischen einem Bond-Thriller und der Krimi-Serie «Asbest», in der Taubman einen sadistischen Justizvollzugsbeamten spielt. Der 54-Jährige ist ein Meister des Rollentauschs, nur eine Passion spielt in seinem eigenen Kopfkino immer die Hauptrolle: der Fussball: «Täglich. Er ist alles für mich.»
«Begegnungen und Freundschaften von damals»
Und in Unterstrass schliesst sich für den Weltenbummler ein persönlicher Kreis. Der Dorfverein in der Stadt, der Rückzugsort, die eigene Oase, pures Glück, keine Rolle, kein Publikum. «Der FCU und die Steinkluppe sind sozusagen Teil meiner DNA. Ich fühle mich hier nicht nur geografisch zu Hause, sondern auch in den Werten und Massstäben, die diesen Ort prägen», gewährt Taubman einen tiefen Einblick. «Sie sind mir nicht einfach nur vertraut, sondern Teil meines Selbst, etwas, das mich trägt und leitet.»
Während seiner «sehr unruhigen und wechselhaften» Kindheit und Jugend verbringt Taubman mehr Zeit in verschiedenen Institutionen als zu Hause. Als junger Kicker findet er beim FCU einen Ruhepol: «Während meiner wilden Jugend war der Klub wie ein Hafen. Er gab mir Struktur, Disziplin, Zusammensein und Liebe. Mir wurde beigebracht, Prinzipien vor persönliche Befindlichkeiten zu stellen. Resilienz und Respekt. Teamwork makes the dream work.»
Mit jeder weiteren Silbe wird klar, weshalb Taubman kein Edelfan ist, weshalb er den lokalen FC viel mehr als «Teil meines Herzschlags» betrachtet. Und unverhofft nimmt der frühere James-Bond-Fiesling für ein Shooting in der Garderobe seines Jugendvereins Platz. Er ist nicht allein. Peter Müller, inzwischen Keeper der Ü50-Mannschaft, Christian Sieber, Daniel Stalder und Mimmo Polese schwelgen mit ihrem früheren Verteidiger in alten Zeiten. «Begegnungen und Freundschaften von damals sind wieder in meinem Leben, als ob keine Zeit vergangen wäre.»
Heimat, Freunde, Unterstrass
Passiert ist einiges seit Taubmans Lebensabschnitt mit den FCU-Junioren. Er ist in die oberste Liga der Schauspielkunst aufgestiegen und dreht aktuell in Portugal zusammen mit dem angesagten Londoner Regisseur Bradley Porter den Indie-Kinofilm «RED FLAGS». Seit über einer Dekade ist er Schweizer Unicef-Botschafter, sein Herzensverein ist derweil von turbulenten Episoden geschüttelt worden. Vom Flirt mit der früheren NLB über das vierjährige Talent-Gastspiel von Blerim Dzemaili bis zum Absturz in die vorletzte Spielklasse. Und im Mai 1988 verpasst Taubman einen historischen Moment: Der Nachwuchs von Manchester United gastiert im Kreis 6.
Die United, die zweite grosse Sport-Liaison Taubmans. «Von Geburt an war da die Liebe zu Manchester United. Mein Vater war ein grosser Fan.» Die Red Devils verfolgt er via Handy-Screen, an ihrem bald schon ewigen Leidensdruck nimmt Taubman in Form von englischen Podcasts teil. Unterstrass hingegen ist real, da wohnt er, da nimmt er sich für seine alten Bekanntschaften Zeit und kann in die berührende Nostalgie abgleiten: «Das bedeutet mir unglaublich viel.»
Heimat, Freunde, Unterstrass. Der Ort für die besinnliche Seite des Fussballs, fernab der Leistungszentren, der Dealmaker. Im «Taläntschuppe» geht es nicht um Gewinnmaximierung, sondern um die Essenz des Sports. Daran ändert auch die grosse Cup-Kapelle gegen den Ex-Champion Xamax nichts. Neuenburg kommt und geht, Taubmans grenzenlose Leidenschaft bleibt: «You can take a boy out of FCU, but never FCU out of a man.»