Sie stehen zum zweiten Mal vor dem Gipfel auf dem 8850 Meter hohen Mount Everest der Formel 1. Noch ein Schrittchen, noch ein Pünktchen am nächsten Sonntag im japanischen Suzuka, dann wird der erst 24-jährige Red-Bull-Star wieder zu Norbert sagen: «Vater, das nimmt uns keiner mehr!»
Ein Satz, der die beiden seit dem EM-Titel im Kart 2001 begleitet. Norbert: «Wir waren damals bei der Siegerehrung im Dezember in Monte Carlo ins Hotel Hermitage eingeladen. Als wir im Zimmer waren, sahen wir den Preis, fast 1000 Mark. Da sagte Seb erstmals: Vater, das nimmt uns keiner mehr. So etwas vergisst man ein Leben lang nicht. Da darf man stolz sein!»
13 Jahre selbst fuhr der Vater selbst Bergrennen
Wer mit Norbert Vettel reden kann, könnte stundenlang zuhören, fühlt sich immer wohler.
13 Jahre selbst fuhr er Bergrennen, sein Sohn war oft dabei und schnell vom Virus befallen. Mit drei Jahren schenkte ihm der Vater bereits einen Bambini-Kart. Norbert: «Meist waren 120 im Training, aber nur 34 kamen weiter. Oft sagte Seb, dass er gegen die viel grösseren Gegner keine Chance habe. Da sagte ich: Dann bremse eben später ...»
Norbert: «Aber erst 1994 fing alles richtig an!» Das Jahr, in dem Ayrton Senna starb und Michael Schumacher zum ersten Mal Weltmeister wurde. Und im Jahr, als die Vettels mit 7000 Mark ihren Aufstieg begannen. «Heute wäre alles so nicht mehr möglich.»
Man muss ein Ziel nach dem anderen haben
Das Geheimnis? Norbert: «Es wäre ein Fehler gewesen, wenn wir mit dem achtjährigen Seb schon von der Formel 1 geträumt hätten. Man muss ein Ziel nach dem anderen haben. Dieses erreichen – und das nächste planen. Sonst ist alles aus. Zudem musste die ganze Familie mitmachen. Wir haben zehn Jahre lang für Sebs Karriere gelebt, auf den Urlaub verzichtet.»
Norbert, inzwischen 29 Jahre mit Heike (50) verheiratet, lernte seine Frau mit 15 in der Schule kennen – genau wie Sebastian seine Dauerfreundin Hanna (23).
Norbert hatte es mit Sebastian bei den vielen Reisen nicht immer leicht. «Wenn wir erst am späten Freitag anreisten, weil Seb noch in der Schule war, fragten mich einige Väter: Will dein Sohn eigentlich Professor oder Rennfahrer werden? Heute kennen die Neider alle die Antwort!»
Abitur vier Tage vor seinem ersten Formel-3-Sieg
Im April 2006 machte Vettel mit den letzten theoretischen Prüfungen sein Abitur. Mit der soliden Note 2,8 – und vier Tage vor seinem ersten Formel-3-Sieg...
Norbert: «Seb ist unheimlich. Er lernt so schnell, wie ein Computer, der sich selbst programmiert. So machte er die theoretischen Prüfungen für Lastwagen, Privatautos und Motorräder an einem Tag!»
Nächtelang bastelte Norbert in seinem bescheidenen Haus in Heppenheim an den Karts für Seb. «Ich habe mir alles Wissen irgendwo beschafft, konnte gut beobachten, logisch denken – und ich habe auch keine zwei linken Hände.»
Mit 13 Jahren suchte Sebastian an der Essener Motorshow selbst nach Sponsoren. Doch keiner zeigte Interesse oder die Budgets waren schon gemacht. Norbert: «Ich hatte wieder einmal die Nase voll, aber aufgeben wollten wir nicht. Jahrelang waren wir mit dem Wohnmobil oder dem Auto durch Europa gefahren. Dabei schlief Seb einige Male im Kofferraum!»
Von Luxus, den sich heute der Champion mit jährlich fast 20 Millionen Franken locker leisten könnte, keine Spur. Norbert verrät SonntagsBlick: «Ich habe einst im VW-Bus einen Extra-Tank eingebaut, damit wir von Deutschland nach Italien ohne Benzinstopp in der teuren Schweiz durchfahren konnten! Heute ist es umgekehrt!»
Es waren dann 150 000 Euros, von überall geschenkt oder geliehen, die Supertalent Vettel 2003 in die Formel-BMW-Junior brachten. Vizemeister und 2004 (mit 17 Siegen in 20 Rennen) Meister. Einer seiner härtesten Gegner damals: Sébastien Buemi, der dadurch auch ins Förderungsprogramm von Red Bull aufgenommen wurde!
Wenn Norbert mit seinen 1,68 Metern («so steht es in meinem Pass») und den weissen Haaren durchs Fahrerlager geht, wird er überall freundlich begrüsst. Die belohnte Bescheidenheit. Norbert: «Ich höre aber immer wieder, dass der Vettel nur gewinnt, weil er das beste Auto hat. Williams/Ferrari hatten früher auch dominiert – und einer muss das beste Auto haben.Seb hat dafür hart gearbeitet!»