Ihr neuer Film erzählt eine fiktive Geschichte, die inspiriert ist vom bekannten Waffenläufer Mischa Ebner, der Dutzende Frauen verletzte und in der Nacht auf den 1. April 2002 zum Mörder wurde. Wer hatte die Idee für «Der Läufer»?
Stefan Eichenberger: Für einmal habe ich als Produzent das Projekt angestossen und Regisseur Hannes Baumgartner vorgeschlagen.
Weshalb?
Eichenberger: Dieser Fall hat mich damals sehr getroffen. Ich bin in Bern, in der Nähe vieler Tatorte, aufgewachsen. Die Berner Bevölkerung lebte damals in Angst und Schrecken. Meine Eltern liessen meine ältere Schwester abends nicht mehr aus dem Haus. Als der Täter dann gefasst wurde, ist es mir nochmals eingefahren: Er war offenbar einer von uns!
Ivan Madeo: Stefan betrieb damals selber Leichtathletik, er war Mittelstreckenläufer. Später bei der Recherche haben wir festgestellt, dass die beiden gegeneinander gelaufen sind.
Wie lange haben Sie recherchiert?
Madeo: Etwa fünf Jahre.
Dann ist der Läufer eine wahre Geschichte und keine Fiktion?
Eichenberger: Ja und nein. Wir haben mit der Pflegemutter des Täters geredet, mit seinen Betreuern, den Polizisten. Wir haben einen Einblick in sein psychiatrisches Gutachten bekommen. Irgendwann wurde uns aber klar, dass wir nicht alle Fragen beantworten können – es gab trotz aller Informationen immer noch zu viele Lücken. Und so haben wir uns für eine Fiktionalisierung entschieden, entfernten uns vom Realfall und füllten die Löcher.
Weshalb haben Sie die Namen geändert?
Madeo: Aus Schutz und aus Rücksicht auf die Menschen, die persönlich involviert waren. Und natürlich auch aus Rücksicht auf die Opfer.
Haben Sie auch mit den Opfern geredet?
Eichenberger: Wir versuchten, auch mit ehemaligen Opfern Kontakt aufzunehmen, mit ihnen zu reden oder sie wenigstens über unser Filmprojekt zu informieren. Uns wars wichtig, dass sie wussten, dass wir ihnen zur Verfügung standen und sie sich an uns wenden konnten, wenn sie Fragen zu unserem Projekt hatten oder mehr über den anstehenden Film wissen wollten. Aber wir haben nicht mit allen sprechen können, es waren so viele. Hinzu kommt noch die Dunkelziffer der Betroffenen.
Die Opfer dürften keine Freude gehabt haben, dass Sie ihre traumatischen Erlebnisse ins Kino bringen...
Madeo: Nein, sicherlich nicht. Und wir verstehen sehr gut, dass sie Mühe damit hatten, dass wir unter Umständen alte Wunden aufreissen. Wir versuchten ihnen aber offen zu erklären, weshalb wir den Film machen und weshalb es wichtig ist, dass man über die Ursachen von Gewalt spricht.
Und was haben Sie ihnen gesagt?
Madeo: Dass wir offen aufzeigen wollen, was passiert, wenn Aggressionen zu Gewalt werden. Am Beispiel eines Falls, der zwar bekannt ist. Ein Fall aber, der es gleichzeitig ermöglicht, Einsicht ins Denken ganz vieler junger Männer zu geben, die in einer ähnlichen Situation von Verzweiflung und Überforderung sind und dabei ihre Wut falsch kanalisieren. Der Versuch, die Ursachen von Gewalt zu verstehen, ist der erste Schritt zu einer Gewaltprävention.
Und wie hat der Stadtturnverein Bern reagiert, wo Ebner Mitglied war?
Eichenberger: Der STB war sehr offen und äusserst hilfsbereit. Der Verein hat unserem Hauptdarsteller Max Hubacher sogar einen persönlichen Trainer zur Verfügung gestellt. Max musste für diese Rolle zum Läufer werden. Wir durften sogar beim GP Bern drehen. Viele Läufer des STB sind zudem Statisten im Film.
Mujinga Kambundji ist auch Vereinsmitglied. Hat sie auch eine Nebenrolle?
Madeo: (lacht) Nein, nein. Diese «Nebenfigur» hätten wir uns vermutlich finanziell nicht leisten können…
Ebner hat zweimal den «Frauenfelder» gewonnen, den berühmtesten Schweizer Waffenlauf. Wie hat man Sie da empfangen
Eichenberger: Anfänglich war man reserviert. Ist ja auch verständlich, es war die dunkelste Stunde des «Frauenfelders». Später, als wir auch ihnen die Beweggründe für unseren Film klar machen konnten, hat man uns auch in der Ostschweiz Türen und Toren geöffnet. Das war eine tolle und erfreuliche Zusammenarbeit. Der Sport hat in dieser tragischen Geschichte schliesslich ja auch eine positive Rolle gespielt. Er war eines der wenigen Ventile für den Täter, um seine Aggressionen abzubauen. Auch wenn es nicht gereicht hat. Für viele Männer da draussen ist der Sport eine ganz wichtige und natürliche «Alltagstherapie».