Ein Hotel in Valbella. Roger Federer, die Ikone des Schweizer Sports trifft Mujinga Kambundji, die beste Sprinterin des Landes. Es entwickelt sich ein Gespräch über Afrika, über Kindheitsträume, über Schlafgewohnheiten und über einen «gestohlenen» Physiotherapeuten. Und darüber, dass Roger Federer morgen Abend im Hallenstadion beim Spiel gegen Andy Murray Geld sammelt. Für Kinder in Afrika, die nicht so viel Glück gehabt haben wie die zwei Aushängeschilder des Schweizer Sports.
Federer: Wie geht es dir?
Kambundji: Gut. Um Roger Federer zu treffen, komme ich gerade aus Bern, wo ich studiere.
Federer: Ah, was studierst du?
Kambundji: Betriebswirtschaft.
Federer: Wo hast du deine Wurzeln?
Kambundji: Mein Vater kommt aus dem Kongo und ist dort aufgewachsen. Aber ich war selbst noch nie dort. Ich bin ja in Bern geboren und dort aufgewachsen, meine Mutter ist Schweizerin. Aber ich war schon in der Heimat deiner Mutter, in Südafrika. Und auch in Sambia. Immer für Trainingslager.
Federer: Sambia ist interessant, da war ich noch nie. Dorthin plane ich meinen nächsten Trip für meine Stiftung. Ich habe es schon mit Janine, der Chefin meiner Hilfsorganisation, besprochen. Wie ist es dort?
Kambundji: Es hat mir sehr gefallen. Wir haben ein Dorf besucht wie das, in dem mein Vater aufgewachsen ist. Das war sehr eindrücklich für mich.
SonntagsBlick: Wie viel Afrikaner steckt in euch? Bei Ihnen, Roger, sicher die Unbeschwertheit und Lockerheit, die Sie auszeichnet ...
Federer: Also ich möchte mal festhalten: Ich kenne auch viele unbeschwerte, sehr, sehr lockere Schweizer! So verbissen, wie unser Image oft ist, sind wir nicht. Ich weiss nicht, wo der Südafrikaner in mir zum Ausdruck kommt. Für mich sind es vor allem Erinnerungen zu dem Kontinent. Dort ist es für mich anders als überall auf dieser Welt. Ich weiss, dass ich Wurzeln in Südafrika habe, dass ich dort als Kind oft war und noch heute einen Teil meiner Familie habe. Darum ist das automatisch ganz anders als anderswo. Die Schweiz bleibt allerdings immer mein Zentrum.
Werdet ihr oft auf eure afrikanischen Wurzeln angesprochen?
Federer: Überraschend wenig. Auch von den Medien nur selten. Aber ich hänge es auch nicht an die grosse Glocke. Die Arbeit mit der Stiftung in Südafrika mache ich für mich und die Kinder im südlichen Afrika. Also geht es bei Interviews häufiger um meine Vorhand oder Rückhand – am Ende verrennt man sich oft in den sportlichen Themen.
Kambundji: Ich werde oft darauf angesprochen, weil man es halt auf den ersten Blick sieht. Viele Leute wissen gar nicht, dass ich hier in der Schweiz, in Bern aufgewachsen bin. Was ich von der afrikanischen Kultur weiss und miterlebe, kenne ich durch meinen Vater und weil wir viel Familie hier haben. Sie haben sich überall angesiedelt, wo man Französisch redet – in der Schweiz, in Frankreich, in Belgien.
Federer: Du sprichst also gut Französisch?
Kambundji: (lacht) Ja, solange es nicht um komplizierte Themen geht, eigentlich fliessend.
Federer: Das meinen viele Leute von mir auch, dabei ist mein Französisch bei weitem nicht perfekt!
Mujinga, ist Roger Federer für jeden Schweizer Sportler eine Inspiration?
Kambundji: Ich muss zugeben, dass ich nie viel Sport im Fernsehen geschaut habe, als ich klein war. Aber meine Eltern sind immer noch grosse Fans von Roger, dadurch habe ich ab und zu mit meinem Vater einen Match von dir geschaut. Aber meine Vorbilder waren eher die anderen Leichtathleten in Bern. Vor allem Mireille Donders, die vor mir den Schweizer Rekord über 100 Meter hielt. Aber je älter ich wurde, desto mehr habe ich dich bewundert. Besonders die mentale Stärke von euch Tennisspielern, die über vier Stunden anhalten muss, beeindruckt mich. Bei uns sind es ja immer nur ein paar Sekunden.
Federer: Aber auch die Leichtathletik ist faszinierend! Ich war schon mal an den Meetings in Lausanne und im Letzigrund, dort war total lässige Stimmung. Ich finde es spannend, wie dort die Disziplinen gemischt werden, die einen rennen, die anderen sind am Speerwerfen – oh Gott, dachte ich, das kann ja auch gefährlich sein! Ausdauersport wie Marathon ist für mich eh abartig. Ich arbeite ja auch an der Ausdauer, aber die Geschwindigkeit der Läufer ist für mich gar nicht abschätzbar – da würde ich mir sofort eine Zerrung holen!
Würden Sie mit Mujinga Kambundji auf 100 Meter mithalten können?
Federer: Vielleicht die ersten zwanzig Meter, da hätte ich vielleicht eine kleine Chance. Danach ginge es wohl rapide abwärts. Ich habe keine Ahnung, wie schnell ich wäre, habe so gut wie nie auf der Tartanbahn trainiert. Zum Glück, da hats mir schon in der Schulzeit immer abgelöscht!
Kambundji: Was wäre denn in der Leichtathletik deine Disziplin?
Federer: Vielleicht der Zehnkampf? Da gibts ein wenig von allem. Ich bin koordinativ recht gut und denke, das wäre mir am einfachsten gefallen. Sonst halt doch Sprint. Aber eine Disziplin im Ausdauerbereich sicher nicht. Für das Training musst du einen anderen Kopf als ich haben. Hattest du schon mal einen Tennisschläger in der Hand?
Kambundji: Ja, in einem Trainingslager in Tenero. Aber ich war sehr schlecht! Den Ball traf ich, aber er flog einfach nie in die Richtung, die ich wollte. Vielleicht mache ich nach meiner Karriere nochmal einen Versuch.
Federer: Was wäre für mich im Sprint das Wichtigste, worauf ich achten müsste?
Kambundji: Wohl der Start, die Position dabei ist schon sehr speziell. Dann das Aufrichten und die Technik zur Beschleunigung.
Federer: Passiert bei dir alles automatisch oder muss du dich beim Laufen an Dinge erinnern?
Kambundji: Beim Sprint ist es am besten, wenn du dich im Ziel wunderst, wie du dahin gekommen bist. Alles ist ein automatischer Reflex, den wir eigentlich am meisten trainieren. Im 200-Meter-Lauf werden die letzten dreissig Meter hart, dann hast du das Ziel, durchzuhalten. Aber bis dahin solltest du am besten an gar nichts denken.
Was wäre aus Ihnen beiden geworden, wenn es mit dem Sport nicht geklappt hätte?
Federer: Ich habe keine Ahnung. Aber ich musste meinem Vater mit 15, 16 versprechen, dass ich zurück in die Schule gehe, wenn das mit dem Tennis nicht läuft. Dann erst hätte ich mich mit einem möglichen Beruf befasst. Aber als ich mit 14 von daheim wegging, zeigte ich schon, dass ich es seriös meine. Dann begann ich, mich mit anderen zu messen und merkte, dass ich mithalten kann und die Top 100, von denen ich tief im Innern immer geträumt habe, ein realistisches Ziel waren. Vorher aber stellte sich mir die Frage, was ich machen würde, wenn nicht Sport, gar nie. Vielleicht war das gerade entscheidend für meinen Erfolg. Ich war völlig unbekümmert – vielleicht ist das ja was Afrikanisches in mir ... Und du, Mujinga?
Kambundji: Sicher wäre ich viel am Reisen. Aber was ich mal machen will, weiss ich heute noch nicht. Als Kind habe ich einfach am liebsten Sport gemacht. Dann gewann ich immer und hatte viel Freude an den Medaillen. Ich hatte nie hochgesteckte Ziele wie Olympische Spiele, wovon viele andere immer träumen. Bei mir kamen die mit der Zeit, mit dem entsprechenden Niveau. Erst als ich mit 17 zum ersten Mal Schweizer Meisterin wurde, orientierte ich mich international.
Federer: Das war bei mir der schwierige Moment. In der Schweiz war ich als Junior einer der Besten, im Ausland setzte es eine Klatsche nach der anderen ab. Dann staunt man erst mal, wie gut Junioren woanders wirklich schon sind. Irgendwann konnte ich dann auch bei denen mithalten, wurde immer stärker und habe beinahe schon das Verlieren verlernt. Voll in der Sieger-Mentalität zu sein, ist sicher gut, auf der anderen Seite musst du auf den Wellen reiten und kommst auch wieder auf den Boden zurück. Das musste ich in den letzten acht Jahren auch wieder lernen. Der Mix ist wichtig, um das Feuer, den Willen und die Überzeugung nie zu verlieren.
Werden Sie als Weltstar über die Karriere hinaus andere Schweizer unterstützen?
Federer: Ich glaube schon, ja. Durch die Sporthilfe unterstütze ich schon viele Junge im Breitensport, dort brauchen sie durchaus auch noch mehr Hilfe. Aber ich kann mir vorstellen, dass ich bereit sein werde, mir einen talentierten Junior mal anzusehen, ihm Tipps zu geben, vielleicht sogar mal mit ihm zu trainieren. Die Zeit würde ich mir wohl immer nehmen. So viele kleine Dinge machen den Unterschied für den Durchbruch. Das beginnt beim Mentalen, der Vorbereitung, bis hin zur Organisation, dem Perfektionieren – und es hört nie auf. Jeder Gegner ist anders, auf jeden muss man anders reagieren. Es gibt immer was zum Verbessern – deshalb liebe ich Tennis so sehr.
Apropos Hilfe: Mit Daniel Troxler haben Sie den Leichtathleten den Physiotherapeuten geklaut ...
Federer: (lacht) Ich weiss, gut dass ich mich jetzt mal persönlich entschuldigen kann! Ich freue mich natürlich, dass er im Team ist, er macht einen super Job. Am Finaltag in Australien war Dani nervöser als ich. Er war gar nicht mehr er selbst, kommandierte sehr ernst und seriös herum – normalerweise scherzen wir ständig locker miteinander.
Kambundji: Was ich als Letztes noch fragen wollte: Ich werde oft ausgelacht, weil ich mindestens neun Stunden Schlaf brauche. Meine Mutter hat gelesen, dass du auch viel schläfst. Stimmt das?
Federer: Ja, das ist richtig, genug schlafen ist wichtig. Jetzt mit den kleinen Kindern kann ich zwischendurch auch mal mit fünf, sechs Stunden leben. Aber im Durchschnitt möchte ich schon gerne auf acht Stunden kommen, vor allem an Turnieren. Wenn ich müde bin, schlafe ich gerne auch mal zehn Stunden am Stück.