Die Schwalben-Top-Ten des Schweizer Eishockeys
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BLICK präsentiert:Die Schwalben-Top-Ten des Schweizer Eishockeys

Schiri-Boss Fischer im Interview
«Das ist nichts anderes als Machogehabe»

Spieler, Schiedsrichter, Funktionär. Andreas Fischer kennt den Sport aus dem Effeff. Der Schiedsrichterchef über Kritik, Videoreviews und seinen persönlichen Wunsch.
Publiziert: 07.03.2019 um 14:13 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2023 um 00:02 Uhr
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SIHF-Schiedsrichterchef Andreas Fischer beim Interview.
Foto: Sven Thomann
Dino Kessler

BLICK: Herr Fischer. Der Schiedsrichterjob ist undankbar und Sie sind der Chef. Wie geht man mit dem Dauerfeuer um?
Andreas Fischer:
 Da müssen wir etwas ausholen. Die Fankultur ist bei uns in Europa anders als zum Beispiel in Nordamerika. Wir Schiedsrichter haben kein Problem mit unserer Fankultur, wir akzeptieren diese Mechanismen. Wenn ihre Mannschaft verliert, sind die Fans sauer und reagieren den Frust an den Schiedsrichtern ab, damit können wir umgehen. Schwierig wird es, wenn sich Exponenten im Ton vergreifen, Leute, die es eigentlich besser wissen müssten.

Wie äussert sich das?
Wenn mir ein Zuschauer schreibt, wir würden die Regeln nicht kennen, kann ich das verarbeiten, weil ich weiss, wie regelgewandt die Schweizer Schiedsrichter sind. Mühe haben wir, wenn Offizielle die Schiedsrichter als Sündenböcke hinstellen, um von eigenen Problemen abzulenken.

Die Schauspielerei?
Beispielsweise. Ist ein Spieler der eigenen Mannschaft betroffen, geht man auf die Barrikaden. Aber grundsätzlich will man das Problem aus der Welt schaffen – wie soll das gehen?

Ein Widerspruch...
Ich möchte gar nicht weiter auf einzelne Aspekte eingehen. Die Frage ist, ob grundsätzlich alle am gleichen Strick ziehen, um das Gesamtprodukt zu schützen. In der DEL (Deutsche Eishockey Liga, die Red.) versucht der ehemalige Profi Lars Brüggemann (der aktuelle Schiedsrichterchef, die Red.) gerade, die Zusammenarbeit mit den Klubs den Gepflogenheiten der Nordamerikaner anzupassen – und das heisst unter anderem: Klubvertreter äussern sich nicht über die Schiedsrichterleistung.

Wie soll das...
Der Schiedsrichter ist selbst sein härtester Kritiker, der weiss sehr genau, ob und welche Fehler er gemacht hat. Wir haben eine interne Diskussionskultur, wir verarbeiten die Spiele so, wie es auch die Spieler tun: Wir sitzen vor dem Bildschirm und analysieren die Fehler. Unsere Fehler – nicht die Fehler der anderen. Ein Schiedsrichter, der nicht selbstkritisch ist, der sich für unfehlbar hält und die kritische Nachbearbeitung verweigert, wird nicht lange im Geschäft sein.

Die Schiedsrichter sind auch nur Menschen.
Diesen Spruch will keiner hören. Sagt man das auch über einen, der gerade einen Penalty verschossen hat? Nein. Zuletzt gab es ein Spiel in Davos (gegen die ZSC Lions, die Red.), bei dem wir einige Szenen falsch beurteilt haben. Was kann der Schiedsrichter dann sagen? Das war Scheisse, nichts anderes. Aber war das Absicht? Natürlich nicht, der Schiedsrichter will sich ja nicht lächerlich machen.

Wie sieht eine Nachbearbeitung im Detail aus?
Wir schauen auf die Bewegungen, die Laufwege, achten auf die Körpersprache, das Verhalten, was gut und was nicht optimal war. Ob ein Spiel in unserem Verständnis gut geleitet wurde, hängt nicht nur davon ab, ob die Strafen korrekt gepfiffen wurden. Ist ein Schiedsrichter fit genug, hat er genug trainiert, ist er mental auf der Höhe? Kennt er die Vorgeschichte einer Partie? Vielleicht treffen zwei aufeinander, die sich nicht grün sind, dann muss man die zwar im Auge haben, darf aber trotzdem nichts verpassen.

Wie verarbeitet der Schiedsrichter einen Fehler?
Das hängt davon ab, wie der Fehler zustande kam. Hatte ich eine schlechte Sicht, weil ich nicht richtig positioniert war? Dann kann ich das korrigieren, indem ich mich das nächste Mal besser bewege. Wenn ich aber grundsätzlich falsch liege, brauche ich vielleicht eine Denkpause. Im Viertelfinal zwischen Bern und Zürich (Playoffs 2016, die Red.) habe ich einen regulären Treffer der Lions (Rundblads 2:2, die Red.) nicht anerkannt, obwohl die Videobilder gegen mich sprachen. Da musste ich mir die prinzipielle Frage stellen: warum habe ich meine Meinung nicht geändert, als ich die Videobilder sah?

Stichwort Videobeweis: Der wird geschätzt, trotzdem gibt es immer wieder Kontroversen. Bei der Coaches Challenge zum Beispiel, da reicht oft die Bildqualität nicht aus, um einen schlüssigen Entscheid zu fällen.
Wir haben die Coaches Challenge von der NHL übernommen. Dort ist die Technik ausgefeilt, die Infrastruktur ideal und trotzdem lässt sich nicht jede Szene schlüssig beurteilen. Ich glaube, die Challenge ist nicht das richtige Stilmittel. Die Videobilder sollten den Refs die Möglichkeit geben, grobe Fehler zu korrigieren. Mit der Challenge machen wir uns aber auf die Suche nach Millimetern, das bringt nur zusätzliche Verunsicherung. Und dann lässt sich kein schlüssiger Entscheid treffen, weil die Bilder zu wenig Aussagekraft haben?

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Siegen oder fliegen – Genf und die Lions liefern sich einen harten Fight ums letzte Playoff-Ticket.
Foto: Keystone

Verlassen sich die Schiedsrichter zu oft auf die Videobilder? Es gibt nun schon nach klaren Pfostentreffern längere Pausen.
Grundsätzlich will man verhindern, dass der Schiedsrichter etwas nicht sieht, was alle anderen sehen. Also: wird der Schiedsrichter vielleicht auch mal nach einem Pfostenschuss nachsehen, ob der nicht trotzdem drin war, nur um ganz sicher zu sein. Zwischendurch wird man auch von Spielern oder Trainern verunsichert, die einfach mal drauflosjubeln oder gestikulieren.

Ist da auch Berechnung mit dabei? Manchmal kommt eine zusätzliche Pause ja nicht ungelegen und ein Review dauert meist länger als ein Timeout. 
Das will ich niemandem unterstellen.

Was auch auffällt: die Linienrichter ersticken mögliche Faustkämpfe im Keim. Teilweise sehr aggressiv. Weshalb gönnt man uns diesen Spass nicht?
Weil man das im Schweizer Eishockey nicht haben will.

Wer will das nicht?
Wir haben den Auftrag, solche Auseinandersetzungen zu verhindern, dafür müssen die Linienrichter frühzeitig eingreifen. Sie müssen entscheiden, wie das möglich ist, ohne dass sie selbst gefährdet werden. Fliegen die Fäuste schon, müssen sie eine günstige Gelegenheit abwarten.

Während Unterbrüchen gibt es bei uns vor den Toren immer noch Rangeleien wie im Sandkasten. In der NHL hat man diese sinnlosen Machtdemonstrationen abgestellt, weil es nichts bringt und Zeit kostet.
Ein guter Punkt. Das ist nichts anderes als Machogehabe. Auf der internationalen Bühne sieht man das praktisch auch nicht mehr, das gibt es nur noch bei uns. Damit will man wohl zeigen, dass man der Stärkere ist.

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Wie kann man das verhindern? Während eines Unterbruchs wurde wohl noch nie ein Tor erzielt.
Ich weiss es nicht. Wir können nicht jedes Mal alle rauswerfen, sonst sitzen bald alle auf der Strafbank. Vielleicht erledigt sich das irgendwann von selbst.

Die Playoffs stehen vor der Tür. Gibt es nun einen Kurswechsel?
Nein, weshalb auch? Für uns gilt das gleiche wie für die Spieler: Freude und Anspannung steigen. Wir haben unseren Playoff-Kickoff-Kurs, dabei geht es aber mehr um die Chemie im Team und nicht um einen Kurswechsel. Für den Schiedsrichter muss jedes Spiel den gleichen Stellenwert haben.

Sie kennen das Spiel aus jeder Perspektive: Spieler, Schiedsrichter, Funktionär. Was hat am meisten Spass gemacht?
Spass? Wahrscheinlich die Zeit als Spieler. Aber die Wahrnehmung ändert sich mit der Erfahrung, die verschiedenen Rollen lassen sich auch nicht miteinander vergleichen. Ich habe jetzt auch Spass wenn ich sehe, wie gross die Akzeptanz der Schiedsrichter bei den Spielern ist. Da gibt es nur ganz wenige, die zwischendurch mal aus der Reihe tanzen.

Wie hat sich das Spiel seit Ihrer Zeit gewandelt?
Sehr stark. Wir hatten auch viel mehr Freiräume, die Spieler stehen heute permanent unter Beobachtung, in jedem Spiel sind sechs oder sieben Kameras präsent. Das gilt übrigens auch für die Schiedsrichter.

Haben aber offenbar noch nicht alle kapiert, dass sie ständig beobachtet werden.
Nein, das haben noch nicht alle verstanden.

Was würden Sie im Schweizer Eishockey ändern, wenn sie einen Wunsch frei hätten?
Ich würde die Ausbildung der Schiedsrichter an die Ausbildung der Spieler anpassen. Für den Schiedsrichter gilt: 90 Prozent ist Selbststudium. Die Spieler werden ständig von Trainern begleitet, die Schiedsrichter bleiben sich selbst überlassen.

Weshalb ist das so?
Weil die finanziellen Mittel fehlen.

Die Klubs müssten also mehr in die Ausbildung der Schiedsrichter investieren?
Wenn sie das Problem tatsächlich angehen wollen, ja. Uns fehlen Schiedsrichter. Aber die fehlen uns nicht, weil grundsätzlich kein Interesse besteht. Sie fehlen uns, weil wir ihnen nichts bieten können. Jede Juniorenmannschaft hat mindestens einen Trainer, die Schiedsrichter haben keinen.

Sie haben Brent Reiber.
Brent Reiber betreut 90 Schiedsrichter im Bereich Leistungssport. Meine Vision ist, dass wir in Zusammenarbeit mit Trainern und Sportlehrern eine Ausbildungsmöglichkeit für Schiedsrichter im Nachwuchsbereich schaffen können, die es bisher in dieser Form nicht gab. Wir haben Schiedsrichter, die während Nachwuchsspielen vollkommen überfordert sind. Warum? Weil sich keiner um diese Schiedsrichter kümmert, weil sie kaum geschult und nicht beraten werden. Es gibt Schiedsrichter, die kaum einmal die Gelegenheit haben, auf dem Eis zu trainieren, es gibt Schiedsrichter, die pro Saison 30 Spiele leiten und kein einziges Wort zu hören bekommen, keine Kritik, kein Feedback, nichts.

Scheitern Ihre Bemühungen am Widerstand der Klubs?
Ich weiss nicht, ob es wirklich Widerstand gibt. Vielleicht interessiert es die Vereine einfach zu wenig. Wir haben ein neues Rekrutierungs- und Ausbildungskonzept erarbeitet, das nun in den Regionen in die Vernehmlassung geht. Dann werden wir sehen, wie gross die Unterstützung und das Interesse der Vereine an guten Schiedsrichtern tatsächlich ist.

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