Nach Odyssee ist Oltens Hockey-Profi Patrick Obrist krebsfrei
«Ich fragte mich, ob ich morgen überhaupt noch lebe»

Die Weihnachtssterne werden dieses Jahr für Patrick Obrist so hell leuchten wie nie. In den letzten acht Monaten durchlebte er eine krasse, emotionale Achterbahnfahrt. Von einer plagenden Ungewissheit über den Befund Lymphdrüsenkrebs bis zum Happy End.
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Foto: Benjamin Soland
Swiss League: So kämpft sich Obrist nach Krebserkrankung zurück
Marcel Allemann (Text) und Benjamin Soland (Fotos)

Es gab vor diesem Sommer Nächte, da wälzte sich Hockeyspieler Patrick Obrist (32) im Bett. Dachte an kleine, eigentlich belanglose Problemchen des Alltags, wie wir sie alle kennen. Er nervte sich, liess sich durch sie den Schlaf rauben. Dies geschieht ihm mittlerweile nicht mehr: «Ich habe erfahren, was wirklich ein Problem ist. Dadurch bin ich heute viel gelassener.»

Es beginnt im Mai. Obrist, Österreicher mit Schweizer Lizenz und Captain des EHC Olten in der Swiss League, spürt Erkältungs-Symptome. «Ich dachte an eine harmlose Grippe», erzählt der in der Schweiz heimisch gewordene Vorarlberger. Er ahnt auch noch an nichts Böses, als er am Hals und im Schlüsselbeinbereich leicht angeschwollene Lymphknoten spürt. «Kann ja vorkommen nach einer Erkältung», sagt er sich.

Patrick Obrist Ende März im Einsatz für Olten.
Foto: Marc Schumacher/freshfocus

Obrist leidet – auch psychisch

Doch als sich sein Zustand nicht bessert und Obrist beim Sommertraining immer antriebsloser wird, beginnt für den früheren Kloten- und Rappi-Spieler eine medizinische Odyssee. Er vermutet einen verschleppten Virus, lässt sich checken. Immer wieder. Aber ob Bluttests, MRI, Ultraschall oder Biopsien – gefunden wird nichts.

Der Sommer kehrt ins Land, und mittlerweile fühlt sich Obrist elend. Er leidet auch psychisch. «Nicht zu wissen, warum es mir so schlecht geht, war das Schlimmste. Es war wie ein freier Fall», erzählt er. Die Warterei auf neue Termine und Ergebnisse im Wochenrhythmus – weiter ohne Diagnose – verlangt ihm alles ab: «Das hat mich wie einen Schwamm ausgepresst, am Ende hatte ich keine Energie mehr.»

Nach langer Ungewissheit kam die Krebsdiagnose für Obrist einer Erleichterung gleich.
Foto: Benjamin Soland

Keine Diagnose, keine Medikamente

Auch dunkle Gedanken kommen auf: «Ich fragte mich, ob das überhaupt heilbar ist oder ob ich nun so vor mich hin leiden muss, bis es zu Ende geht. Manchmal fragte ich mich auch, ob ich morgen überhaupt noch lebe.» Obrist fühlt sich wie ein Gefangener, ohne zu wissen, worin: «Es war schwierig, noch an etwas anderes zu denken. Ich war permanent hässig und nicht mehr ich selbst.» Da es keine Diagnose gibt, gibt es auch kein Medikament, das ihm helfen und Linderung verschaffen kann.

Als Nächstes wird ein PET-CT mit ihm gemacht. Da wird eine radioaktive Zuckerlösung gespritzt, die im Körper Bereiche mit erhöhtem Stoffwechsel anzeigt. Tumorzellen leuchten da besonders stark, und bei Obrist leuchtet es an verschiedenen Orten. «Es sah aus wie bei einem Dalmatiner», beschreibt er. Ein ganzer Lymphknoten wird ihm entfernt, die Untersuchung dessen führt dann endlich zum Ergebnis.

Für seine Familie sei die Situation fast schlimmer gewesen: «Ich hatte ja schon länger gespürt, dass es eine schwerwiegendere Krankheit sein muss.»
Foto: Benjamin Soland

Krebsbefund als Erleichterung

Mittlerweile ist es Juli. Patrick Obrist schlendert mit seiner Frau Lilian (32) und seinen kleinen Töchtern Zoé (3½) und Liv (1½) gerade auf Möbelschau durch die Ikea, als sein Handy klingelt. Es ist seine Ärztin, die ihm den Befund mitteilt: Lymphdrüsenkrebs. «So blöd es sich auch anhören mag, die Diagnose war eine Erleichterung. Endlich wusste ich, was mit mir los ist und wogegen ich ankämpfen kann. Der freie Fall wurde gestoppt», sagt der Familienvater.

Denn die Ärztin macht ihm Mut, sagt ihm, dass seine Heilungschancen bei über 90 Prozent liegen. Daran klammert er sich und zeigt einen beeindruckenden Spirit vor der anstehenden Chemotherapie: «Ich freute mich darauf, denn endlich konnte ich etwas tun, musste nicht mehr nur zuschauen und warten. Ich hatte wieder eine Perspektive und ein Ziel.»

In der Zeit der Ungewissheit machte Obrist sich auch dunkle Gedanken.
Foto: Benjamin Soland

Vergleich mit einer Playoff-Serie

Obrist kreiert in seinem Kopf auch ein Bild aus seinem Hockey-Leben, das ihn antreibt: «Ich sah das Ganze wie eine Playoffserie an. Es wird gute und schlechte Tage geben, aber ich werde als Sieger daraus hervorgehen.» Er teilt dem Krebs auch täglich mit: «Du hast dir den falschen Körper und den falschen Gegner ausgesucht! Hier ist für dich nichts zu holen!»

Im Nachhinein hat der aus Dornbirn direkt an der Schweizer Grenze stammende Obrist das Gefühl, dass sein Schicksal für seine Familie schwieriger zu ertragen war als für ihn selbst. «Ich hatte ja schon länger gespürt, dass es eine schwerwiegendere Krankheit sein muss.»

«Ich habe zwischen den Zeilen auch gespürt, dass viele eine Krebserkrankung mit dem Tod in Verbindung bringen, und wurde für einen Moment unsicher, ob ich zu positiv eingestellt bin.»
Foto: Benjamin Soland

Reaktionen sind Fluch und Segen

Zugleich sind seine Liebsten in dieser Zeit auch seine grosse Stütze: «Man wird aus dem Leben gerissen, aber die Welt dreht sich trotzdem weiter. In dieser Zeit mussten meine Frau, meine Eltern und meine Schwiegereltern einiges kompensieren, wozu ich nicht mehr in der Lage war. Ohne sie wäre das gar nicht möglich gewesen.»

Als der EHC Olten seine Krebserkrankung im August öffentlich macht, erfährt Obrist unfassbar viele Reaktionen. Von Fans von überall. Von vielen Weggefährten, mit denen er während seinen neun Jahren beim EHC Kloten, bei Österreichs Nati oder anderswo zu tun hatte.

Olten-Fans wünschen Obrist eine gute Besserung.
Foto: Marc Schumacher/freshfocus

«Da waren Leute dabei, mit denen ich kaum noch Kontakt hatte», erzählt er. Ihre Verbundenheit, ihren Support und diese Solidarität zu spüren, hilft ihm enorm, entpuppt sich aber auch als zweischneidiges Schwert: «Ich habe zwischen den Zeilen auch gespürt, dass viele eine Krebserkrankung mit dem Tod in Verbindung bringen, und wurde für einen Moment unsicher, ob ich zu positiv eingestellt bin.» 

Hilfe von Ski-Star Niels Hintermann

Der dreifache WM-Teilnehmer schätzt sich glücklich, dass er dann mit zwei Sportlern sprechen kann, die ebenfalls an Lymphdrüsenkrebs erkrankt waren und ihn erfolgreich hinter sich gelassen haben. Mit dem ehemaligen Hockeyspieler Corsin Camichel (44) und Ski-Star Niels Hintermann (30). Persönlich kannte er zuvor beide nicht, aber als er sich bei ihnen meldet, führen sie mit ihm spontan offene Gespräche, teilen ihre Erfahrungen, geben ihm Tipps, begleiten ihn auf seinem Weg.

Obrist wird ihnen ewig dankbar sein. Jüngst hat er Hintermanns Comeback mitverfolgt. «Es war wunderschön, ihn wieder im Starthaus zu sehen, und natürlich drücke ich ihm bei jedem Rennen die Daumen – obwohl er ein Schweizer ist», sagt der Österreicher mit einem Grinsen. Für gewöhnlich fiebert er bei Skirennen mit seinen eigenen Landsleuten mit.

Insgesamt muss Obrist vier Chemo-Zyklen über sich ergehen lassen.
Foto: Benjamin Soland

Die erlösende Nachricht am 7. November

Insgesamt muss Obrist vier Chemo-Zyklen über sich ergehen lassen. Er staunt, wie gut er diese übersteht, besonders die letzten zwei. «Klar war ich teilweise total müde, und mir fielen auch die Haare aus, aber darauf war ich vorbereitet.» Den Zeitplan, den seine Ärztin ins Auge fasst, hält er fast auf den Tag genau ein. Und dann kommt am 7. November die fantastische Nachricht: Patrick Obrist ist krebsfrei! Er könnte in diesem Moment die ganze Welt umarmen. «Das war eine Gefühlsexplosion. Die letzten Monate waren eine unglaubliche Achterbahnfahrt, mit allen Höhen und Tiefen, Ecken und Kanten», sagt er.

Inzwischen ist der Stürmer wieder auf dem Eis und teilweise auch im Mannschaftstraining, geht dort aber noch seinen eigenen Rhythmus, um den Körper nicht zu überfordern. «Der Wunsch wäre es, noch diese Saison wieder zu spielen, aber ich werde nichts überstürzen», sagt er. Er plant, noch einige Jahre Hockey zu spielen.

Nach der Krebserkrankung freut sich Obrist auf ein spezielles Weihnachtsfest.
Foto: Benjamin Soland

Ein spezielles Weihnachtsfest

Seine Geschichte zu erzählen, habe für ihn etwas Befreiendes, sagt Obrist. Und vor allem: Er will mit ihr anderen Menschen Mut machen, die in einer ähnlichen Situation stecken, wie er im vergangenen Sommer. Seine wichtigste Botschaft: «Man sollte es von Anfang an nicht zulassen, sich in die Opferrolle zu begeben, sondern um seine Gesundheit, und was man sonst alles im Leben hat, kämpfen. Ansonsten gräbt man sich selbst ein Loch.»

Was ihn fortan weiterhin erwartet, sind regelmässige Kontrollen. Damit ihn diese jeweils im Vorfeld nicht zu sehr belasten, arbeitet er mit einem Psychologen zusammen. «Das Ganze ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen, und es ist wichtig, loslassen zu können. Dafür habe ich mir eine zusätzliche Stütze geholt.»

Nun freut sich Obrist fast wie ein kleines Kind auf die bevorstehenden Weihnachtstage. Es werden nach dem, was er hinter sich hat, spezielle Stunden mit seinen Liebsten. An Heiligabend wird mit den Schwiegereltern gefeiert, am Weihnachtstag bei seinen Eltern. «Wir sind alle noch näher zusammengerückt und werden es einfach schätzen, dass alle gesund zusammen am Tisch sitzen können», sagt er. An Silvester wird Patrick Obrist dann froh sein, dass dieses so anspruchsvolle 2025 hinter ihm liegt. 

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