Das Leben danach. Nicht nach dem Karriereende, wie man eineinhalb Jahre nach ihrem Rücktritt vermuten könnte. Sondern jenes nach ihrem Unfall. Diese Zeitrechnung gilt für Florence Schelling.
Rückblende: Im Mai 2018 hängt die Nati-Torhüterin ihre Ausrüstung an den Nagel – nach 25 Jahren, elf Weltmeisterschafts- und vier Olympia-Teilnahmen. Sie arbeitet nach ihrem Master in Wirtschaft in einer Unternehmensberatung bis Ende Januar 2019. Zu diesem Zeitpunkt sieht Schelling ihre Zukunft in der normalen Arbeitswelt fernab des Sports.
Doch ein Tag im Februar ändert alles. Die Zürcherin freut sich auf zwei Wochen Skiferien in Davos GR. Dann passiert es. Schelling stürzt schwer – und zieht sich einen Nackenbruch zu. Glück im Unglück. «Ich hätte auch gelähmt sein können», sagt sie.
Pionierin im Eishockey
Rückblickend sieht die 30-Jährige den Unfall positiv. Die Ärzte prophezeien ihr eine Genesungsdauer von mindestens sechs Monaten, die ersten drei trägt sie eine Halskrause und darf sich kaum bewegen. Sie ist gezwungen, komplett runterzufahren. «Die Zwangspause war das Beste, das mir passieren konnte.»
Schelling hat viel Zeit zum Nachdenken. Sie reflektiert ihre Karriere noch intensiver. Und erkennt, dass sie im Frauen-Hockey oftmals die Rolle der Pionierin eingenommen hat. «Ich habe mich gefragt, warum in meiner Junioren-Zeit alle Vorbilder Männer waren», erzählt sie, und liefert die Antwort gleich dazu: «Weil es in vielen Funktionen gar keine Frauen gab.»
Erste weibliche Hockey-Expertin
Schelling hat dem Frauen-Hockey ein Gesicht gegeben, über die Landesgrenzen hinweg. Ihre Medienpräsenz sah sie als Chance für den Sport. Sie spielte an der Northeastern University in Boston (USA) sowie in der höchsten schwedischen Frauen-Liga in Linköping. Und 16 Jahre in Schweizer National-Auswahlen. Trotzdem war Hockey für sie einfach ein Hobby, nichts, womit eine Frau den Lebensunterhalt bestreiten könnte. Die Olympia-Bronze-Gewinnerin konnte sich nicht vorstellen, eines Tages Headcoach zu werden. Vor dem Unfall.
Denn jetzt ist sie es. Schelling ist seit Juli Trainerin der U18-Frauen-Nati, dies noch auf Mandatsbasis. Daneben kommt sie beim SRF neu als Expertin zum Einsatz. «Das ist für mich ein Wechsel der Perspektive.» Sie hat damit – nach Einsätzen in einem Männer-Team – eine weitere Barriere durchbrochen: Die Ex-Torhüterin ist die erste weibliche Hockey-Expertin, die das Spiel der Männer analysiert.
Schelling ist aber noch nicht zu hundert Prozent arbeitsfähig. Sie leidet auch neun Monate nach dem Sturz noch an den Folgen. Sie absolviert täglich eine Physiotherapie sowie mehrmals Übungen im Concussion Center (Zentrum für Hirnerschütterungen) an der Zürcher Schulthess-Klinik.
Heilungsprozess zieht sich hin
Ihre Symptome ähneln oft jenen nach einer Hirnerschütterung. Die Empfindlichkeit gegenüber vielen Einflüssen, sie kann nicht länger am Computer sitzen, Kopfweh setzt ein. Man weiss aber jeweils nicht, ob der Nacken die Ursache ist oder doch eine Hirnerschütterung, die sie sich beim Sturz ebenfalls zugezogen haben könnte. Der Heilungsprozess dauert noch an.
Darum muss Schelling einige Pläne ändern. Ihr geplantes Buch «Behind the mask» (Deutsch: Hinter der Maske) kann sie noch nicht in Angriff nehmen, solange sie nicht länger am Computer sitzen kann. Und eine Weltreise, die sie sich für nächsten Januar vorgenommen hatte, lässt sie sausen.
«Ich möchte Spieler fordern und fördern»
Wenn immer möglich, widmet sie sich der Ausbildung zur Hockeytrainerin. «Trainerin zu sein, macht mir Spass. Ich möchte Spieler fordern und fördern.» Den Ehrgeiz, den sie als Spielerin stets hatte,
sollen auch ihre Schützlinge entwickeln. Noch denkt Schelling nicht zu weit und in den Ligen zu hoch – aber sie könnte sich durchaus vorstellen, eine nächste Barriere zu öffnen und als Frau ein Männer-Team zu coachen. Es wäre ihr Traum, eines Tages die U17-Jungs zu trainieren.
«Mein Weg verläuft jetzt völlig anders, als ich das gedacht habe.» Vor dem Unfall. Was sich bei Schelling aber definitiv nicht geändert hat ist der Enthusiasmus und das Strahlen, wenn sie über Hockey redet. Weil es eben doch mehr ist als ein Hobby. Es ist eine Passion – die sie nun auch zum Beruf machen kann. Und will.