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«… dann wirds heikel»
Das sagen die Ökonomen zur Zukunft des Sports

Der Sport wird in diesen Wochen so heftig durchgeschüttelt wie noch nie. Doch Sportökonom Hippolyt Kempf hofft: «Unser Fundament ist gut. Es kann schnell wieder richtig zur Sache gehen.»
Publiziert: 29.03.2020 um 17:57 Uhr
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Aktualisiert: 29.03.2020 um 18:00 Uhr
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Der Schweizer Sport steht still. Mit gravierenden Folgen.
Foto: freshfocus
Daniel Leu

In diesen turbulenten Tagen vergeht kaum eine Stunde, in der nicht eine Negativ-Nachricht aufpoppt. Der Sport durchlebt momentan dunkle Zeiten. Klubs, Verbände und Veranstalter sehen schwarz. Aber leider nicht schwarze Zahlen, sondern das Gegenteil. Ist die Corona-Krise aus wirtschaftlicher Sicht tatsächlich existenzbedrohend für den Sport? Oder wird nach einer schwierigen Phase wieder alles so sein wie früher? SonntagsBlick hat sich bei Sportökonomen umgehört.

Doch um die Zukunft deuten zu können, sollte man zuerst kurz den Ist-Zustand betrachten. Im Januar gab das Bundesamt für Sport Baspo eine Studie mit dem Titel «Wirtschaftliche Bedeutung des Sports in der Schweiz» heraus. Die Zahlen sind beeindruckend. Die Sportwirtschaft setzt hierzulande jährlich 22,2 Milliarden Franken um und -generiert 97 900 Vollzeit-Stellen. Das sind 1,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts BIP und 2,4 % der Gesamtbeschäftigung. Jeder 42. Arbeitsplatz liegt demnach im Sport.

Dass der Sport damit ein (ge-)wichtiger Player ist, zeigt der Vergleich mit dem Beherbergungsgewerbe. Dieses kommt «nur» auf einen Umsatz von 0,6 % des BIP und ist damit dreimal kleiner als der Sport.

«Hauptproblem ist Liquidität»

Der Sport steht komplett still. Ein Grossteil der Kosten aber läuft weiter. Damit muss sich auch Jürgen Krucker (48) auseinandersetzen. Er weiss, wovon er spricht. In der Theorie als Sportökonom. Und in der Praxis als Geschäftsführer des Schweizerischen Handball-Verbands, der bereits am 13. März die Saison abgebrochen hat. Werden bald erste Schweizer Handball-Klubs Konkurs gehen? «Das Hauptproblem wird die Liquidität sein. Die nächste Saison ist Stand heute die grosse Unbekannte.»

Ist es jetzt sogar ein Vorteil, dass im Handball nicht das ganz grosse Geld drin ist? «Nein», relativiert Krucker, «was für den Fussball eine Million ist, sind für uns 50 000 Franken. Der absolute Betrag liegt zwar weit auseinander, der Schmerz aber ist der gleiche.»

Im Sport befänden sich momentan alle im Reaktionsmodus. «Eigentlich müsste man möglichst oft agieren und nicht nur reagieren. Das ist aber zurzeit nicht möglich, wegen den sich fortlaufend ändernden Rahmenbedingungen und den behördlichen Auflagen, die es natürlich zu befolgen gilt. Wenn du aber nicht planen kannst, wird es schwierig.»

«Spitzensport verträgt keinen Ausfall»

Krucker hat in den letzten Tagen vor allem eines gelernt. «Der Spitzensport, so wie er heute aufgebaut ist, verträgt keinen Ausfall. Auch wenn dieser nur wenige Wochen dauern würde. Es stellt sich so gleich die Existenzfrage. Ein Systemstopp ist nicht vorgesehen.»

Was passiert, wenn die Krise länger anhält? «Wenn die neue Saison nicht gestartet werden kann, würden wir als Verband einen wesentlichen Teil unserer Daseinsberechtigung verlieren. Wir erhalten von den Klubs Gebühren für die Lizenzen. Von Swiss Olympic Fördermittel und von den Sponsoren Geld. Wenn wir dann den Spielbetrieb nicht gewährleisten und unsere Rolle als Dienstleister nicht bieten können, haben wir ein grosses Problem. Im Extremfall wird es dann existenziell.»

Um den drohenden Kollaps zu verhindern, hat der Bund vorletzten Freitag Massnahmen eingeleitet und dem Sport 100 Millionen Franken zugesprochen. 50 Millionen als rückzahlbare Darlehen zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen für Verbände und Klubs aus dem Profi-Bereich. Und 50 Millionen als Subventionen für Organisationen aus dem Breitensport.

Ob das reichen wird, ist fraglich. Denn die Ausfälle sind hoch. Findet beispielsweise das Rückspiel des FC Basel in der Europa League gegen Eintracht Frankfurt nicht mehr statt, entgehen den Rotblauen alleine wegen diesem Einzelereignis 1,5 Millionen Franken Gewinn.

Weiterhelfen könnte den Klubs auch die Kurzarbeit. Der Bundesrat hat das Gesetz dahingehend geändert, dass auch bei befristeten Verträgen (wie es in Teamsportarten üblich ist) Kurzarbeit möglich ist. In solchen Fällen übernimmt die Arbeitslosenkasse 80 Prozent des Lohnes. Mit einer Obergrenze von 148 200 Franken jährlich. Auf die restlichen 20 Prozent müssten die Sportler verzichten.

Übersteigt der bisherige Lohn die Obergrenze, muss der Klub den Rest selber bezahlen. Es sei denn, die Spieler verzichten freiwillig auf diesen Teil.

Wird Schäden geben

Das Leben von Hippolyt Kempf ist momentan sehr streng. Für den Ressortleiter Sportökonomie der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM und neuen Nordisch-Direktor bei Swiss-Ski sind 14-Stunden-Tage der Normalfall. Er beschäftigt sich zurzeit genau mit der Frage, wie der Sport die Corona-Krise überwinden kann.

Kempf möchte zuerst kurz über die Gegenwart und unmittelbare Zukunft reden. «Ja, es wird Schäden geben», sagt der 54-Jährige. Ein konkretes Beispiel. Viele Klubs und Veranstalter sind auf die Landeslotterie Swisslos angewiesen, denn deren Gewinne kommen vollumfänglich der Gemeinnützigkeit zugute. Swisslos ist somit die bedeutendste Sportförderin des Landes. «Das Problem: Swisslos macht einen gewichtigen Teil ihres Umsatzes mit Sportwetten. Doch diese Finanzierungsquelle ist zurzeit versiegt. Dies wird für viele Organisationen im Sportbereich Folgen haben.»

Genau für solche Fälle sind die oben erwähnten Sofortmassnahmen des Bundes da. Um Liquiditätsengpässe mit Überbrückungskrediten zu verhindern. Die nächsten drei, vier Monate seien so gesichert, ist der Olympiasieger von 1988 in der Nordischen Kombination überzeugt.

Neue Bewegungsformen etablieren sich

Kempf sieht in der aktuellen ­Situation vor allem das Positive. Die Sport-Industrie könnte gestärkt aus der Krise herauskommen. «Wir sehen jetzt eine grundlegende Verhaltensänderung. Sowohl im Leistungs- als auch im Breitensport etablieren sich neue Bewegungsformen wie Hometraining und Homecoaching.» Die ­Digitalisierung würde sich jetzt massiv beschleunigen. Davon profitiere die Sport-Industrie. «Bis jetzt waren Gadgets vor allem etwas für Technik-Freaks. Doch jetzt werden sie schneller massentauglich. Das alles wird die Sportwirtschaft grundlegend modernisieren und verändern.»

Beim Thema Events hänge die ­Zukunft vor allem davon ab, wie lange die Krise andauern wird. Kempf: «Sportveranstaltungen spielen eine substanzielle Rolle. Sie sind der Kern der Wertschöpfung. Ziehe ich diesen Stecker, dann wirds heikel. Dauert diese Phase aber nur drei, vier Monate, ist sie verkraftbar. Kann aber zum Beispiel im ­August noch immer kein Leichtathletik-Meeting ausgetragen werden, haben wir ein richtiges Problem.»

«Die Schweiz ist ein Sportland»

Was heisst das für den Sport in der Schweiz? «Wenn wir es schaffen, diese Krise vorbildlich und schnell zu bewältigen, dann hat der Sportstandort Schweiz sehr viele Chancen. Wir könnten unser Wissen exportieren und in die ­Bresche springen für ausländische Veranstalter, bei denen die Krise noch nicht ausgestanden ist. Dank den vielen internationalen Sportverbänden, die hier ansässig sind, könnten wir uns stark in Szene ­setzen. Denn unser Fundament ist gut: Wir haben saugute Veranstalter, eine starke Wirtschaft und sind digitalisiert. Die Schweiz ist ein Sportland. Das ist unsere Chance.»

Ist das alles nicht zu optimistisch? «Wenn ich Fernsehen schaue, habe ­natürlich auch ich Angst und Bedenken. Doch der Mensch tickt so, dass er immer das Letzte, was er gesehen hat, wahrnimmt. Dies verfälscht seine Urteilskraft. Sobald eine positive Botschaft kommt, setzt er auf die.»

Mit anderen Worten: Wenn das Veranstaltungsverbot wieder aufgehoben wird, werden die ­Leute auch wieder heiss auf Sport sein. «Das ist wie beim Coiffeur. Sobald der wieder den Laden ­öffnet, will ich auch sofort zum Coiffeur. Das Gleiche wird im Sport-Business passieren. Es wird sogar eine Überreaktion geben. Weil ich in diesem Jahr nicht am Engadiner Ski-Marathon teilnehmen durfte, werde ich dies nächstes Jahr ganz sicher tun. So ticken wir als Gesellschaft. Sobald es grünes Licht gibt, wird es sehr schnell wieder richtig zur Sache gehen.»

Mörder-Jagd aus dem Homeoffice?

Editorial von BLICK-Blattmacher Daniel Leu

Ich bin zurzeit irritiert, wenn ich ein Buch lese und darin die Romanfigur Felix einfach so ein Restaurant besucht. Ich bin erstaunt, wenn ich mir den Tatort anschaue und die Kommissare Ballauf und Schenk mir nichts, dir nichts unter Leuten ihrer Arbeit nachgehen.

Die Corona-Krise. Sie hat sich längst in meinem Kopf eingebrannt. Menschenmengen? Wie abwegig! Händeschütteln? Auf gar keinen Fall! Willkommen in der neuen Realität. Diese gilt auch für den Sport. Auf einmal muss er sich ganz anderen Fragen stellen. Wie lassen sich die finanziellen Verluste abfedern? Wann endlich gehts wieder weiter? Wie sieht die Zukunft aus?

Den Blick in die Kristallkugel haben auch wir gewagt. Zusammen mit einem Philosophen, einem Zukunftsforscher und zwei Sportökonomen. Sie alle sind sich einig: Je länger die Krise dauert, desto mehr wird sich der Sport verändern. Philosoph Gunter Gebauer glaubt sogar, dass der Fussball an Bedeutung verlieren wird.

Sind demnach die fetten Jahre tatsächlich vorbei? Die genaue Antwort kennt niemand. Was die Experten aber darüber denken, ist spannend und lehrreich. Bleibt zu hoffen, dass die Corona-Krise bald vorbei ist und es nicht so weit kommen wird, dass die Kommissare Ballauf und Schenk in einem ihrer nächsten Fälle den Mörder vom Homeoffice aus überführen müssen.

Editorial von BLICK-Blattmacher Daniel Leu

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