Es brodelt im Schweizer Boxverband. Die Corona-Infektion von Mittelgewichtler Angel Roque (24) beim Skandal-Turnier um die Olympia-Qualifikation in London Mitte März legt die Probleme bei Swissboxing offen.
Man habe sich in London vom Verband schlecht betreut gefühlt, klagen die Athleten. Weder im Vorfeld, noch während der nach drei Tagen wegen der Corona-Pandemie abgebrochenen Wettkämpfe oder danach habe man von den Verbandsoberen aus der Schweiz nur einen Ton gehört, heisst es. «Nix, niente, nada», so Roque zu BLICK. «Keine Nachfrage, kein Medizincheck.»
Kein Signal aus der Schweiz
Jack Schmidli, Präsident der Technischen Kommission, und Verbandspräsident Andreas Anderegg sehen die Verantwortung in London beim Internationalen Olympischen Komitee. Vor Ort hätten für den Verband der mittlerweile gefeuerte Nati-Trainer Michael Sommer und dessen Chef Leistungssport, Matthias Luchsinger, den Lead gehabt.
Doch zwischen den Nati-Chefs und der Verbandsspitze herrschte schon lange dünnes Eis. Das zeigte sich vor London: Im Trainingslager vor der Olympia-Quali in Assisi (Italien), woher in der zweiten Februarhälfte Corona-Ansteckungen gemeldet wurden.
Das Camp hätte vom 17. bis 28. Februar dauern sollen, mehrere Nationalteams waren angereist. Nach fünf Tagen reisten die Russen, Rumänen und Kroaten ab. «Sie wurden zurückgepfiffen, weil die Verbände Angst hatten, ihre Sportler könnten wegen einer Quarantäne das Quali-Turnier in London verpassen», sagt Michael Sommer. Aus der Schweiz sei kein Signal gekommen.
«Befinden wir uns in Nordkorea?»
Luchsinger und Sommer hätten die Teilnahme selbst forciert, so Schmidli. «Sie durften sogar Athleten mitnehmen, die das Potenzial nicht haben.» Auch sei die Lage damals noch nicht extrem gewesen. Extrem seien die Vorwürfe gegen ihn und Andreas Anderegg.
Matthias Luchsinger moniert, Schmidli und Anderegg hätten ihnen stets «Chnebel zwischen die Beine» geworfen. Dies sei ein Grund, warum Sommer in einem Chat für Box-Coaches deutliche Worte gefunden habe. Sommer forderte, eine ausserordentliche Delegiertenversammlung einzuberufen und Schmidli sowie Anderegg abzuwählen. Michael Sommer wird in der Kündigung Illoyalität und Anstiftung zur Revolte vorgeworfen. Sommer: «Meine Meinung. Darf ich die noch sagen oder befinden wir uns in Nordkorea?»
«Entlassung katastrophale Entscheidung»
In Italien sei seine Delegation die letzte gewesen, die abgereist sei, sagt Sommer. In Grossbritannien jene, die am schlechtesten informiert worden sei. Informationen seien verspätet oder gar nicht bis zu ihm vorgedrungen. Die Verbandschefs behaupten, in der Gegenrichtung sei es gleich gewesen: Man habe aus London nichts gehört.
Die Qualifikation in der Londoner Copper Box Arena wurde am 16. März nach drei Tagen wegen Corona abgebrochen. «Ich habe weder in Italien noch in England ein Wort vom Verband gehört», so Teamleader Uke Smajli (27), «Freunde fragten mich, ob alles okay ist.»
Smajli hält die Entlassung von Sommer für eine «katastrophale Entscheidung». Vier Jahre habe er sehr gut mit Sommer gearbeitet. «Die Beziehung des Athleten zu seinem Trainer ist etwas vom wichtigsten», sagt Smajli.
So ziemlich alles schiefgelaufen
«Aber nicht das einzige Kriterium», kontert Schmidli. Die Probleme seien «tiefgründiger». Zudem sei Ex-Nati-Trainer Sommer nicht in der Lage, mit ihm und Anderegg «sozialkompetent» zu kommunizieren. Luchsinger nennt Sommer «ehrlich und geradeaus». Schmidli nennt Luchsinger «Sommers Marionette».
Sicher ist: Schiefgelaufen ist so ziemlich alles. Die guten Nachrichten: Der Zustand des Corona-infizierten Angel Roque ist stabil. Und mit Ex-Weltmeisterin Christina Nigg hat am Mittwoch eine neue Leistungssport-Chefin angefangen. Sie findet viel Arbeit vor.