Ältester Marathonläufer der Welt
Singh mir das Lied vom Tod

Die Longevity-Bewegung boomt. Aber das Schicksal bleibt unerbittlich. Fragen Sie Fauja Singh. Die Kolumne von Felix Bingesser.
Publiziert: 16:24 Uhr
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Ikone der Laufbewegung: Fauja Singh.
Foto: keystone-sda.ch

Wie einem die Jahre wie Sandkörnchen zwischen den Fingern zerrinnen, wird Fredi immer bewusst, wenn er alte Freunde und Bekannte sieht. Sind die alt geworden, denkt er jeweils. Dass die anderen dasselbe über ihn denken, ist ihm nicht so bewusst. Er sieht ja im Spiegel jeden Morgen etwa gleich alt aus.

Er führt das auf seinen Lebenswandel zurück, den er immer mehr der Longevity-Bewegung angepasst hat. Ernährung, Sport, genug Schlaf, Entspannungsübungen, ein gutes soziales Umfeld und Eisbäder sind die gepredigten Komponenten für ein langes Leben. Diesbezüglich ist Fredi seit seiner Pensionierung immer auf der Suche nach Optimierung. 

Jetzt sitzt er mit seiner Frau Rosmarie am Frühstückstisch. Er bei Proteinmüesli mit Magerquark, angereichert mit Früchten und Nüssen. Dazu ein Liter lauwarmes Zitronenwasser. Und einem Kurkuma-Ingwer-Tee. Rosmarie bleibt bei Kaffee und Gipfeli. «Man ist, was man isst», murmelt Fredi. So leise, dass es für das Hörgerät von Rosmarie nicht zu entschlüsseln ist. Für den Mittag und nach dem Besuch im Fitnessstudio hat er schon Fisch (Omega-3-Fettsäuren) mit Süsskartoffeln vorgekocht.

Er hat gelesen, dass die Kinder, die heute zur Welt kommen, gute Chancen haben, 120 Jahre alt zu werden. Natürlich ist auch ihm bewusst, dass ein hohes Alter auch Verdruss bringt. Bereits heute wird jeder zweite Mensch in seinem Leben irgendwann mit einer Krebsdiagnose konfrontiert.

Überalterung der Gesellschaft

Fredi rechnet Rosmarie auch vor, welche Auswirkungen die Überalterung der Gesellschaft hat. Sollten die Menschen tatsächlich 120 werden und sollte das Pensionsalter gleich bleiben, «dann», sagt er und kratzt sich am Hinterkopf, «wird die maximale AHV-Rente auf rund 500 Franken sinken».

Nachdem er sich doch noch einen mit Hafermilch (Laktose!) angereicherten Kaffee gegönnt hat, ergänzt er: «Und die Krankenkassenprämien werden sich vervierfachen.»

Aber nur Askese und Verzicht können auf Dauer auch frustrierend sein. Der Mensch muss einmal ausbrechen, er braucht ein Ventil. Das, hat Fredi gelesen, gilt auch für die besten Golfspieler Europas. Auch wenn es etwas dekadent anmutet, hat es Fredi ein Schmunzeln entlockt. Die europäischen Golfer haben ihren Sieg beim Ryder Cup gegen die USA gehörig begossen. 240 Flaschen Champagner, zehn Flaschen Wodka Belvedere und zehn Flaschen Hennessy-Cognac sind am Schluss auf der Rechnung. 264'000 Euro hat die Sause gekostet.

Ikone der Laufbewegung

Aber grundsätzlich bewundert er eher das Leben des Inders Fauja Singh. Singh muss 1994 mitansehen, wie sein Sohn bei der Feldarbeit von einem durch die Luft fliegenden Stück Wellblech enthauptet wird.

Singh zieht zu seinem jüngsten Sohn nach London. Und beginnt, im Kampf gegen seine Depressionen, mit dem Laufsport. Er wird zu einer Ikone der Laufbewegung.

Mit 100 Jahren läuft er Marathons in London, in Toronto und in Hongkong. Er gilt als ältester Marathonläufer der Welt. Und er ist irgendwie auch ein Vorreiter der Longevity-Bewegung, obwohl er dieses Wort wohl nie gehört hat.

Aber eben, das Schicksal kümmert sich nicht um solcherlei Trends. In diesem Sommer ist Fauja Singh, den sie «Turban-Torpedo» genannt haben, in seinem Heimatdorf in Indien im Alter von 114 Jahren gestorben. Er ist von einem Auto überfahren worden.

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