Grosses Interview mit Stewardess Karin Waber
«Flight-Attendant ist heute ein harter Knochenjob»

Die Flugbegleiterin Karin Waber (55) ist Vizepräsidentin der Gewerkschaft des Kabinenpersonals (Kapers) und fliegt ­diesen Sommer ihr 33. Jahr. Die Dame der Lüfte über kurze Aufenthalte, tiefe Löhne und Grosswildjäger.
Publiziert: 24.06.2018 um 14:26 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:40 Uhr
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Karin Waber ist Vizepräsidentin der Gewerkschaft des Kabinenpersonals Kapers und fliegt diesen Sommer ihr 33. Jahr. Die 55-Jährige posiert in einem Feld in Oberglatt. Hier treffen sich Spotter, um ankommende Flugzeuge zu beobachten.
Foto: Siggi Bucher
Alexandra Fitz
Die Gewerkschafterin

Karin Waber ist 1962 geboren und hat 1985 bei der Swissair angefangen. Bei der ersten Bewerbung scheiterte es am Englisch, ein Jahr später jedoch konnte sie ­einsteigen. Die 55-Jährige ist Vize­präsidentin von Kapers, der Gewerkschaft des Kabinenpersonals. Dort ist sie unter anderem für Verträge, Reglemente und Gleichberechtigungsthemen                  ­verantwortlich. Ihr Traum wäre es gewesen, einmal als Passagier mit einer Concorde zu fliegen. «Jedes Mal, wenn das Füdli des Fliegers in Zürich-Kloten am ­Boden ist, weiss ich, dass ich in drei Stunden daheim im Bett bin.» Waber wohnt in Worb, ist verheiratet und hat einen Sohn.

Karin Waber ist 1962 geboren und hat 1985 bei der Swissair angefangen. Bei der ersten Bewerbung scheiterte es am Englisch, ein Jahr später jedoch konnte sie ­einsteigen. Die 55-Jährige ist Vize­präsidentin von Kapers, der Gewerkschaft des Kabinenpersonals. Dort ist sie unter anderem für Verträge, Reglemente und Gleichberechtigungsthemen                  ­verantwortlich. Ihr Traum wäre es gewesen, einmal als Passagier mit einer Concorde zu fliegen. «Jedes Mal, wenn das Füdli des Fliegers in Zürich-Kloten am ­Boden ist, weiss ich, dass ich in drei Stunden daheim im Bett bin.» Waber wohnt in Worb, ist verheiratet und hat einen Sohn.

Wir treffen Karin ­Waber beim Heli-Grill. Hier an der Westseite des Flughafens Zürich stehen Spotter am Zaun und knipsen die startenden Flieger. Waber hält die Nase in die Luft, schnuppert und sagt: «Mmh, Kerosin, unser ­Parfüm.»

Die Hobbyfotografen und Flug­fanatiker rufen uns zu, welche ­Maschine gleich um die Ecke kommt und abheben wird. Denn das Ziel unserer Fotografin: Der Flieger soll über den Kopf der Stewardess fliegen, wenn sie abdrückt. Nur, der Flugplan richtet sich natürlich nicht nach uns. Und so fahren wir, als ­einer der Spotter uns verrät, dass hier keine grossen Vögel mehr starten, zu einem anderen bekannten Fotopunkt in Oberglatt. Dort kommen Flugzeugfans auf ihre Kosten. Und wir zu unserem Bild.

Karin Waber, was war Ihre letzte Destination?
Miami für eine Nacht.

Eine Nacht?
Ja. Die Aufenthalte sind heute sehr kurz. Für die Jungen ist das uninteressant – da bleibt keine Zeit für Sightseeing. Früher war der Lifestyle anders. Man blieb mehrere Tage oder war auch mal zwei ­Wochen unterwegs.

Stört Sie das?
Mich nicht. Ich bin schnell wieder zu Hause bei meiner Familie. Für die jungen Flugbegleiter tut es mir leid. Viele von ihnen wollen die Welt sehen und etwas erleben.

Ist Flugbegleiter kein gefragter Job mehr?
Früher hat man es als Beruf ge­sehen, heute ist es eher ein Job, den man nur ein paar Jahre macht. Man will sich die Welt anschauen. Es heisst ja: Viele Junge wollen nur noch ­studieren und kein Handwerk mehr erlernen. Vielleicht ist für jüngere Kolleginnen das Fliegen eine Art Zwischenjahr – reisen und Geld verdienen statt für Reisen Geld ausgeben. Ich beobachte, dass es ein Bedürfnis gibt, Teilzeit zu fliegen und noch einem anderen Beruf nachzugehen.

Was ist Fliegen für Sie?
Mein Traumberuf. Man steigt in Zürich in den Flieger und kann beim Arbeiten reisen. Wenn man ankommt, ist man irgendwo anders. Ich würde den Beruf wieder ausüben, er begeistert mich noch immer.

Eine Freundin von mir fliegt seit drei Jahren und hat einen Lohn von 3500 Franken im Monat. Ist das wirklich traumhaft?
Die dienstjungen Kolleginnen und Kollegen brauchen einen starken Durchhaltewillen, damit sich der Lifestyle des Flight-Attendant mit dem tiefen Gehalt rechnet. Zumindest wenn man in der Schweiz lebt. Erst nach dem 12. Dienstjahr erreicht ein Flight-Attendant die Schwelle von 4000 Franken Grundlohn. Mehr verdient ein Flight-­Attendant, wenn er oder sie eine zusätz­liche Ausbildung zum ­Maître de Cabine macht oder die Berufsprüfung besteht.

Sie haben die Zusatzausbildung FCG, First Class Galley, gemacht.
Ich wollte einen engeren Kundenkontakt. Ich liebe es, einen gepflegten Service zu bieten. In der First Class hat man mehr Zeit für den einzelnen Passagier. Wir bedienen zu zweit 8 Personen, in der Economy Class kümmern sich 6 Flugbegleiter um 270 Passagiere.

Sie wollten lieber Kaviar statt Poulet servieren?
In meiner Anfangszeit habe ich noch auf jedem Flug Kaviar ­serviert und vor dem First-Class-Passagier Fleisch tranchiert.

Wer war denn so alles bei Ihnen in der First Class?
Leider darf ich keine Namen nennen.

Kaviar ist heute ethisch nicht mehr vertretbar.
Kaviar servieren wir nur noch ­gelegentlich als Spezialservice in der First Class. Heute gibt es eher eine gute Bratwurst mit Rösti. Ich ­denke, tendenziell wünschen sich die Passagiere eine traditionelle, gesunde Küche.

Was unterscheidet die First Class sonst noch von der Eco?
Bei der Eco bleibt zwar weniger Zeit für die Passagiere, aber man erlebt lustige Storys von Gruppen. Nach Miami fliegen viele, um eine Kreuzfahrt zu starten. Beim Heimfliegen erzählen sie vom Erlebten. Mir scheint, dass Business-Class-Passagiere eine hohe Erwartungshaltung haben. Viele würden gerne First Class fliegen, wollen oder ­können es sich aber nicht leisten.

Für Karin Waber (55) ist Flugbegleiterin noch immer ein Traumberuf.
Foto: Siggi Bucher

Fluggäste werden auch immer ­öfter ausfällig. Die Zahl der Pöbelpassagiere nimmt zu. Warum?
Es gibt mehr Gäste, die sich – wie wir es nennen – «unruly» verhalten. Früher waren die Gäste selten unhöflich zu dir, heute ist die Klientel anders. Sie trauen sich mehr, ihre Gefühle zu zeigen, und sind eher bereit, einen Konflikt in der Öffentlichkeit auszutragen. Es ist schade, dass ein solcher Vorfall so viel ­Unruhe in einen schönen Flug ­bringen kann.

Starb mal jemand auf dem Flug?
Nein. Aber ich hatte des Öfteren ­einen medizinischen Zwischenfall. Bei einem Notfall waren wir über Neufundland und mussten zwischenlanden. Solche Situationen könnten verhindert werden.

Wie meinen Sie das? Der ­Passagier kann doch nichts ­dafür.
Viele Leute steigen unvorbereitet in einen Flieger. Wenn es einem gesundheitlich nicht gut geht, sollte man keinen 12-Stunden-Flug antreten. Je nach Vorgeschichte kann es zu gesundheitlichen Komplikationen führen. Wenn man etwa einen Zahn gezogen bekam, sollte man nicht fliegen. Auch eine Erkältung kann dazu führen, dass das Trommelfell platzt. Die Leute sollten vor dem Flug gegebenenfalls medizinische Abklärungen treffen. Fliegen bedeutet Stress für den Körper.

Ist Ihnen noch ein besonderer Passagier im Gedächtnis?
Zwei.

Erzählen Sie.
Es war in der First Class, ein Flug in ein afrikanisches Land. Vater und Sohn fragten, ob sie zum Captain ins Cockpit dürften. Danach sagte ich zum Piloten: «Sehr sympathische Leute.» Er sagte, dass sie in ­Afrika auf Grosswildjagd gehen. Diese Aussage hat mich persön-lich bestürzt. Und auch wenn es mir schwerfiel in einem solchen Moment – man muss in solchen ­Situationen in jeder Hinsicht professionell bleiben.

Sind Sie in Ihrem Beruf sexuellen Anzüglichkeiten und Belästigungen besonders ausgesetzt?
Das gibt es natürlich. Ein herziges Fräulein, ein Jupe, lange Beine, da kann es schon vorkommen, dass eine anzügliche Bemerkung gemacht wird oder die Hand an ­einem Ort platziert wird, wo sie nicht hingehört. Das ist natürlich nicht zu tolerieren.

Wurden Sie schon sexuell ­belästigt?
Ich war am Servieren, da hat mir ein Passagier an den Po gefasst. Ich habe sofort seine Hand weggeschlagen. Wir sind beide erschrocken und haben uns angestarrt. Heute würde man einen solchen Vorfall umgehend melden.

Sie sind bei Kapers für Gleichstellungsthemen ­verantwortlich.
Ich schaue, dass Frauen mit gleichen Ellen gemessen werden. Ich beobachte, dass für Teamleader und Führungspositionen eher Männer rekrutiert werden. Oder dass oft Männer nachrücken. Ich habe Reto Schmid, Head of Cabin Crew bei der Swiss, damit konfrontiert. Er entgegnet: Er nehme die besten Bewerber.

Maître de Cabine sind vielleicht mehr Männer, aber die klassische Flight-Attendant, also die ­Mehrzahl, ist weiblich. Warum?
In der Kabine ist das Verhältnis ziemlich ausgeglichen. Aber generell würde ich sagen, weil Frauen zurückstehen können. Machismo hat in diesem Beruf wenig zu suchen. Man muss deeskalierend sein, das liegt wahrscheinlich den Frauen besser. Ausserdem geht es auch um die Lohnfrage, Männer haben da höhere Ansprüche.

Männliche Cabin-Crew-Mitglieder sind meist homosexuell. Warum?
Vielleicht ist es diese offene und unkomplizierte Arbeitskultur. Wichtig ist: Die sexuelle Orientierung ist bei der Swiss kein Thema und wird von allen äusserst tolerant behandelt.

Und wann wird es endlich mehr Pilotinnen geben?
Die Nachwuchsförderung ist im Gang.

Fühlen Sie sich anders, wenn im Cockpit eine Frau sitzt?
Nein. Mir kommt es vor allem ­darauf an, dass Pilot und Co-Pilot die gleiche Ausbildung haben, das ist wichtig für die Kommunikation.

Apropos Angst: Gibt es einen Flug, der Ihnen besonders in ­Erinnerung geblieben ist?
Ja, der Swissair-Flug 111 vom 2. September 1998, der in New York startete und bei Halifax abstürzte. Mit 229 Toten. Als das ­Unglück passierte, war ich in der Luft. Als wir in Zürich gelandet sind, hat es geregnet, die Stimmung war sehr gedrückt. Das ­Putzteam kam in den Flieger und sagte, dass man ein Flugzeug vermisse. Wir bekamen Hühnerhaut.

Kannten Sie die Besatzung?
Ich war am Abend davor mit einer Kollegin aus dieser Besatzung in New York im Ausgang. Der Ge­danke, dass ich sie nie mehr sehen kann, stimmt mich noch heute traurig. Die Vorstellung, was sich an Bord zugetragen haben ­könnte, war schlimm. Nach dem Ereignis war ich sehr traurig und habe mich abgekapselt.

Kann man da noch weiterfliegen?
Ich musste nach Tel Aviv. Mit einem Airbus, nicht mit einer MD11. Wenn dann jemand fragt: «Ist das Brötli warm?», denkst du: Das ist doch in diesem Moment eine Lappalie. Ich habe im Flieger geweint, ich konnte nicht anders. Auch die Passagiere waren bedrückt. Du weisst in diesem Beruf, es kann ­immer etwas passieren.

Was nervt Sie an Ihrem Image?
Dass wir nur ein schönes Leben hätten und es ring verdientes Geld sei. Früher stimmte das vielleicht eher, aber jetzt nicht mehr. Wir sind nicht mehr braungebrannt und ­jetten um die Welt. Heute ist der Beruf Flight-Attendant ein harter Knochenjob, der aber auch viel Spass bereiten kann.

Es klingt, als ob Sie als Gewerkschafterin genug zu tun hätten.
Ja, wir leiden an schleichendem Serviceaufbau mit gleichbleibendem Personal. Oft bleibt über den Arbeitstag kaum Zeit für die Verpflegung und eine gesetzlich vorgeschriebene Pause. Die Swiss verlangt von ihren Mitarbeitenden, dass das Lesen von Dokumenten, Servicerichtlinien und Trainingseinheiten am Computer in der Freizeit absolviert wird. Diese zusätzliche Arbeitsbelastung hat in letzter Zeit aufgrund der Digitalisierung stark zugenommen. Die Forderung nach einem Kompensationstag für nichtfliegerische Tätigkeiten haben wir als Gewerkschaft an oberster Stelle deponiert.

Warum streiken Sie nicht einfach mal, so wie die Kollegen in Deutschland oder Frankreich?
Die Gesetzgebung ist im Vergleich zu anderen Ländern härter. Gestreikt wird in der Schweiz nur in Ausnahmefällen. Streik ist die oberste Eskalationsstufe.

Zahlen und Fakten zu Flugbegleitern in der Schweiz

4500
... Flight-Attendants sind bei der Swiss angestellt.

1 / 3
... davon sind Männer.

5
... Tage am Stück arbeiten ­Cabin Crew Members maximal. Dann haben sie 2, 3 oder 4 Tage frei.

450
... Flugbegleiter kündigen gemäss Gewerkschaft pro Jahr bei der Swiss.

50
... Franken monatlich gibt es für dienstjunge Flugbegleiter pro Sprache, wenn sie neben Deutsch und Englisch auch ­Französisch, Spanisch oder ­Italienisch sprechen.

Quelle: Swiss und Kapers

4500
... Flight-Attendants sind bei der Swiss angestellt.

1 / 3
... davon sind Männer.

5
... Tage am Stück arbeiten ­Cabin Crew Members maximal. Dann haben sie 2, 3 oder 4 Tage frei.

450
... Flugbegleiter kündigen gemäss Gewerkschaft pro Jahr bei der Swiss.

50
... Franken monatlich gibt es für dienstjunge Flugbegleiter pro Sprache, wenn sie neben Deutsch und Englisch auch ­Französisch, Spanisch oder ­Italienisch sprechen.

Quelle: Swiss und Kapers

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