Ermittlungen in Vincenz-Affäre: Razzia bei Zürcher Blogger
Anwälte warnen vor Einschüchterung der Medien

Die Durchsuchungen beim Onlinemedium Inside Paradeplatz werfen Fragen zur Pressefreiheit auf. Juristen sind alarmiert – die Verleger bleiben still.
Publiziert: 13:18 Uhr
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Aktualisiert: 14:59 Uhr
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Im Zürcher Volkshaus fand Ende Januar 2022 der Prozess gegen Pierin Vincenz, Beat Stocker und weitere Angeklagte statt.
Foto: Keystone

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Beat SchmidFester Mitarbeiter Blick

Auf dem Golfplatz, in der Cafébar oder an der Biertheke: Zürcher Anwälte beschäftigte diese Woche ein Thema besonders – das unzimperliche Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen das Onlinemedium Inside Paradeplatz. Ein halbes Dutzend Beamte stürmte die Redaktion des Blogbetreibers Lukas Hässig (60). Sie beschlagnahmten Handy und Computer sowie Notizbücher und Dokumente. Später durchsuchten sie auch das Privatdomizil des Journalisten.

«Eigentlich hätten sie Hässig auch in Untersuchungshaft stecken können», sagt ein Anwalt mit lakonischem Unterton. Der Journalist selbst machte die Razzia auf seinem Blog am Montag publik. Der Vorfall schlug international Wellen, sogar die «Financial Times» berichtete darüber. In der Schweiz aber blieb es auffällig ruhig im Blätterwald und in den Onlinespalten.

Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass Lukas Hässig ein hochumstrittener Journalist ist. Seine Methoden gelten als grenzwertig. «Ich muss produzieren und kann nicht alles zu Ende recherchieren», sagte er kürzlich an einer Veranstaltung der PR-Agentur Farner. «Klatsch und Intrigen sind sein Geschäftsmodell», schrieb die «NZZ». Die Schlagzeilen müssen knallen, den Onlinekommentarschreibern lässt er freien Lauf. Das hat ihm schon viele Zivilklagen eingebracht, die er nicht alle gewonnen hat.

Doch in diesem Fall muss man unterscheiden zwischen dem Portal und dem Prinzip. Es geht um Grundsätzliches, so der Tenor in der Anwaltsszene. Die rechtliche Grundlage für das Vorgehen der Staatsanwaltschaft liegt im verschärften Artikel 47 des Bankengesetzes. Dieser Paragraf, der das Bankgeheimnis schützen soll, erfasst seit 2015 nicht mehr nur Bankangestellte, sondern auch Dritte – etwa Journalisten. Genau darauf stützt sich das Verfahren gegen Hässig.

Heikle Transaktion über 2,9 Millionen

Auslöser war eine Anzeige im Umfeld des ehemaligen Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz (69) und seines Vertrauten Beat Stocker (64). Hässig hatte 2016 über verdächtige Transaktionen der beiden berichtet, die über die Privatbank Julius Bär liefen. Die möglicherweise geleakten Daten betrafen keine anonymen Bankkunden, sondern Spitzenmanager, deren undurchsichtige Geschäfte zu Strafverfahren und Verurteilungen führten. 

So wurde publik, dass Pierin Vincenz als Raiffeisen-Chef 2,9 Millionen Franken auf seinem Konto erhalten hatte – kurz nach einer umstrittenen Firmenakquisition. Diese Enthüllung löste zahlreiche Untersuchungen aus und brachte die Finanzmarktaufsicht auf den Plan. Es kam zu einer Strafanzeige, und in der Folge wurden Vincenz und sein Mitstreiter Beat Stocker wegen verschiedener Delikte angeklagt und erstinstanzlich verurteilt.

In einem Jahr wird sich das Obergericht mit der Causa Vincenz/Stocker beschäftigen. Möglich ist, dass der zuständige Oberrichter keine Angriffsfläche bieten wollte. Die Beschuldigten können nun dem Gericht nicht vorwerfen, die Aufklärung der möglichen Bankgeheimnisverletzung nicht verfolgt zu haben, vermuten einige Juristen. Bereits vor Jahren kam es zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang bei der Bank Bär. Allerdings verliefen die Nachforschungen im Sand. Ein offizielles Strafverfahren wurde mangels konkreter Anhaltspunkte nie eröffnet.

Jetzt soll plötzlich alles anders sein? Oder hat hier ein Gericht allein aus taktischen Gründen ein Strafverfahren angestrengt? Wenn das so wäre, nähme es damit erhebliche Kollateralschäden in Kauf. «NZZ»-Anwalt Simon Jakob spricht in einem Beitrag für das Fachportal Medialex von einem «chilling effect» auf die Medien. «Wenn investigativer Journalismus mit Hausdurchsuchung und Strafverfahren beantwortet wird, entsteht ein Klima der Einschüchterung. Dies gefährdet die öffentliche Kontrolle über Wirtschaft und Behörden», schreibt er.

Allein die Drohkulisse einer solchen Hausdurchsuchung könne investigative Arbeit massiv behindern. Zwar habe Hässig von seinem Siegelungsrecht Gebrauch gemacht – das heisst, dass nun das Zwangsmassnahmengericht prüfen muss, ob und welche Daten verwendet werden dürfen. Doch der Schaden ist bereits angerichtet. Wer will noch vertrauliche Informationen mit Journalisten teilen, wenn diese später direkt beim Staat landen?

Verleger: «Pressefreiheit mit Lücken»

Reporter ohne Grenzen warnte bereits, dass Artikel 47 des Bankengesetzes abschreckend auf Medienschaffende wirkt. Bei der internationalen Enthüllungsaktion Suisse Secrets hatten sich Schweizer Zeitungen aus Angst vor Strafverfolgung gar nicht erst beteiligt – ausländische Medien hingegen berichteten über mutmassliche Gelder von Oligarchen. Demokratiepolitisch, so Simon Jakob, sei das alarmierend.

Der Anwalt David Zollinger beurteilt den Vorgang als massiv überzogen. Der Strafrechtsspezialist spricht in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen von einem «fundamentalen Bruch mit den Prinzipien der Pressefreiheit». Zollinger kritisiert ein System, das nicht mehr zwischen öffentlichem Interesse und Datengeheimnis unterscheidet. Journalisten können bestraft werden – unabhängig davon, ob ihre Recherchen Missstände aufdecken. Die politische Diskussion im Parlament gehe zudem in die falsche Richtung: Statt Ausnahmen für Medienschaffende zu schaffen, werde über eine weitere Verschärfung diskutiert. Zollinger warnt: «Wenn sich das durchsetzt, dürften Journalisten künftig nur noch mit Informationen arbeiten, die ihnen von den Betroffenen freiwillig übergeben werden. Das ist nicht Journalismus, das ist PR.»

Obwohl für den Journalismus viel auf dem Spiel steht, bleiben die Verleger auffällig ruhig. Auf Anfrage schreibt die Geschäftsführerin des Verlegerverbands, Pia Guggenbühl: «Wir möchten wiederholt zum Ausdruck bringen, dass die Pressefreiheit in der Schweiz weiterhin Lücken aufweist, die die wichtige, demokratierelevante Arbeit des Journalismus einschränkt.» Ohne uneingeschränkte Pressefreiheit könnten die Medien ihre Funktion als vierte Gewalt nicht vollumfänglich ausüben. Zum konkreten Fall äussert sie sich nicht. Man habe sich aber mehrfach gegen gesetzliche Einschränkungen der Pressefreiheit eingesetzt – das betreffe auch Artikel 47.


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