Viele Patienten haben viel Zeit: Ein Unfall oder eine Krankheit hat sie ausgebremst – eine ungewohnte Situation. Nun erwarten sie, dass sich auch ihr Gegenüber für sie Zeit nimmt. Doch das Gegenüber sind Ärzte oder Pflegefachleute, und hier beginnt das Problem: Denn die eilen von Patientin zu Patient, getrieben von Zeitdruck und Zeitmangel, fremdbestimmt von Checklisten und Spitalverwaltung.
Was dabei häufig auf der Strecke bleibt, ist die Zuwendung für Patienten, für den Menschen hinter dem medizinischen Problem, für eine Betreuung, die über die notwendige Versorgung hinausgeht.
Haus- und Kinderärzte haben oft nur noch 20 Minuten Zeit pro Patient. Nur bei Kleinkindern oder über 75-Jährigen gibt es zehn Minuten extra. Damit will Gesundheits-Bundesrat Alain Berset 700 Millionen Franken sparen. Seit einem Jahr wird nach dem neuen Tarmed-Arzttarif abgerechnet, die Bilanz der Hausärzte ist vernichtend: viel Bürokratie, falsche Anreize, keine optimale medizinische Versorgung. Wie viel schlussendlich gespart wurde, wird sich weisen, wenn das Bundesamt für Gesundheit demnächst Bilanz zieht.
Belastung stark gewachsen
Nebst den Kosten gibt es einen anderen Grund, welcher der Zuwendung wenig zuträglich ist: die Bürokratie. «Die administrative Belastung ist in den letzten Jahren stark gewachsen», sagt Marcel Marti von der Vereinigung Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO). Der Verband führt derzeit die Kampagne «Medizin statt Bürokratie».
Rund zwei Drittel der Spitalärzte hätten mittlerweile mit Büroarbeit zu tun. Speziell die Assistenzärzte seien stark betroffen. Deren administrative Belastung sei einer der Gründe dafür, dass Ärzte zu lange arbeiten. Marti: «Letztlich bleibt ein geringer Teil der Zeit übrig, um sich um die Patienten unmittelbar am Krankenbett zu kümmern.» Kranke stellten die Folgen überlanger Dienste und komplizierter Bürokratie immer wieder selber fest, wenn Ärzte übermüdet sind oder Abläufe sich verzögern. Auch merkten die Patienten, dass sie von verschiedenen Ärzten das Gleiche gefragt werden.
Die Ärzte sind zu teuer fürs Büro
Der Verband erklärt dies mit einem Sicherheits- und Dokumentationsbedürfnis. Dahinter stecke das Verlangen nach mehr Transparenz, was eigentlich gut sei, so Marti. Nur führe mehr Administration eben auch zu mehr Aufwand. «Und die Ärzte sind die falschen für diesen Job, dafür wurden sie nicht teuer ausgebildet.»
Der VSAO fordert darum, dass unter anderem die Organisation überprüft werde, etwa dass ein Spitalsekretariat zusätzliche Dokumentationsaufgaben übernehme. Was die Tätigkeit der betroffenen Mitarbeitenden sogar bereichern würde.
Auch brauche es unter Umständen neue Stellen und Funktionen, die diesen Part übernähmen. Marti: «Wir sammeln jetzt praxiserprobte Beispiele, wie das funktionieren kann.»