Darum gehts
- Busfahrer fordert Massnahmen gegen aggressive Passagiere im ÖV
- Hundehalter weigert sich, Rottweiler anzuleinen, und droht mit Gewalt
- 99,9 Prozent der Passagiere sind laut Busfahrer vorbildlich
Busfahrer Marius K.* aus dem Kanton Zürich hat die Freude an seinem Job verloren. «Die Passagiere haben Angst, die Chauffeure Stress, und keiner macht etwas dagegen! Es muss endlich etwas passieren», lautet seine klare Forderung. Der 60-Jährige findet, die Situation sei in den letzten Jahren untragbar geworden – und wagt darum den Schritt in die Öffentlichkeit.
Jüngstes Beispiel: Ein Passagier weigere sich, seit Monaten partout, seinen Rottweiler im ÖV an die Leine zu nehmen. Spricht man ihn darauf an, drohe dieser. «Passagiere haben Angst, steigen früher aus oder setzen sich so weit weg vom Hundehalter wie möglich», so der Busfahrer. «Ich habe ihn wochenlang darauf aufmerksam gemacht, dass es Fahrgäste gibt, die Angst vor Hunden hätten, und Leinenpflicht im ÖV gilt.» Als es vor kurzem wieder zu einem Streit gekommen sei, habe der Hundehalter die Tür aufgerissen und sei auf K. losgestürmt. «Der Hundebesitzer drohte mir mit dem Tod. Da musste ich zum ersten Mal in meiner Karriere den Notfallknopf drücken», erzählt er. Er habe anschliessend versucht, ihn anzuzeigen, sei aber von der Polizei abgewiesen worden. «Ich könne ihn höchstens wegen Beleidigung anzeigen, wurde mir gesagt.» Dabei handelt es sich bei Drohungen gegen ÖV-Mitarbeitende grundsätzlich um ein Offizialdelikt.
Doch das sei nur die Spitze des Eisbergs. Streit, Gewalt und Vandalismus stünden im öffentlichen Verkehr auf der Tagesordnung. «Wobei 99,9 Prozent unserer Passagiere super sind», sagt K. Die Behörden reagieren halbherzig. Der Chauffeur fühlt sich alleingelassen.
Von Belästigung bis Gewalt
K. fährt in der Zürcher Peripherie Bus. Weil er sich selbst und seinen Arbeitgeber schützen möchte, tritt er ohne seinen echten Namen auf. «Wenn meine Kolleginnen belästigt werden und abends Angst haben zu fahren, kann etwas nicht stimmen!» Kürzlich wurden Feuerwerkskörper auf zwei seiner Kollegen geschossen. «Ein anderer Kollege wurde während der Fahrt mit einer Bierdose beworfen.» Doch damit nicht genug: «Bei einer Billettkontrolle, bei der ich fuhr, kam es zu einem gewalttätigen Handgemenge. Eine Kontrolleurin wurde dabei auf den Boden geworfen, der Schwarzfahrer flüchtete unerkannt. Wie so oft kam die Polizei zu spät.» Und das sei nur ein kleiner Auszug aus dem Alltag von ÖV-Mitarbeitern.
Die Probleme belasten K. Statt aufmerksamer auf den Verkehr zu achten, mache er sich Gedanken. Man könne zwar einen Transportausschluss für renitente Passagiere verhängen, diesen durchzusetzen, sei aber – speziell in der Zürcher Peripherie – schwierig, da die renitenten Passagiere nicht rechtzeitig gestellt werden könnten.
Pandemie als Schleusenöffner für Aggression
Doch woher die Aggressivität? «Ich denke, die Pandemie war ein Schleusenöffner», sagt K. «Seither gibt es mehr Probleme.» Das bestätigt auf Anfrage auch Michael Spahr von der Gewerkschaft für ÖV-Personal SEV: «Corona wurde von vielen ÖV-Angestellten als eine Art ‹Dammbruch› angesehen. Sie mussten Maskenpflicht durchsetzen, manchmal auch Zertifikate kontrollieren – darauf reagierten einzelne Reisende sehr aggressiv. Aggressives Verhalten erleben sie seither öfter als vor Corona.»
Statistisch belegen lässt sich dies ebenfalls. Während ein klarer Anstieg der Angriffe im ÖV in der Schweiz und im Kanton Zürich zwischen 2019 und 2021 (+8,5 Prozent) zu verzeichnen ist, mäandrieren die Zahlen seither auf hohem Niveau. Das Jahr 2022 schwingt dabei oben aus (+40 Prozent im Vergleich zu 2019). «Die Dunkelziffern sind zudem hoch, weil viele Aggressionen nicht dem Arbeitgeber gemeldet werden», gibt das SEV zu bedenken. Marius K. bestätigt: «Man begegnet den Leuten ja wieder. Daher trauen sich nicht alle, die Passagiere anzuzeigen.»
«Eigentlich sind Übergriffe auf das ÖV-Personal ein Offizialdelikt, müssen also von Amtes wegen verfolgt werden», schreibt Spahr. «Leider passiert das nicht immer. Übergriffe sollten konsequent verfolgt werden.» Auf eine ausführliche Blick-Anfrage äussert sich die Kantonspolizei Zürich nicht konkret.
Keine Überraschung für K., denn: «Ich fühlte mich von der Polizei auch nicht ernst genommen, als ich Anzeige erstatten wollte.» Er hoffe einfach, dass seine Geschichte die Verantwortlichen dazu bewege, etwas zu ändern. Selbst, wenn er sich damit einem persönlichen Risiko aussetze. «Mir graut es vor dem nächsten Zwischenfall.»
* Name geändert