So ungerecht sind Gesetze
Vaterschaft ausgeschlossen! Weiterzahlen!

Marcel Jenzer hat zwei Kinder. Keins ist von ihm. Zahlen muss er trotzdem, jahrelang: Jeden Monat berappt der Lagerist 2450 Franken. Aber ist das wirklich gerecht? Ja, behaupten seine Richter.
Publiziert: 27.02.2011 um 00:58 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 01:14 Uhr
Von Antonia Sell

Neuneinhalb Jahre lang glaubte Marcel Jenzer (46) aus Bassersdorf ZH, der heute 11-jährige Felix* sei sein eigen Fleisch und Blut.

Bis zu jenem Montag, dem 18. Mai 2009: «Ich sass nach der Arbeit am Küchentisch und habe den Vaterschaftstest aufgerissen», sagt der Lagerchef, der seit 14 Jahren am Klotener Flughafen arbeitet.

Dann las er: «Herr Jenzer Marcel kann aufgrund der DNA-Befunde als Vater des Kindes Jenzer Felix Nico mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Seine Vaterschaft ist genetisch nicht möglich.» Jenzer, der sich immer eigene Kinder gewünscht hatte: «Für mich ist an diesem Abend eine Welt zusammengebrochen.»

«Ich war bei der Geburt dabei. Es war ein Glücksgefühl, das man nicht beschreiben kann»

Als er 1997 die heute 38-jährige Anna* heiratet, ist sie bereits im vierten Monat schwanger – mit einem Mädchen. Grossherzig übernimmt Jenzer nach Nadjas* Geburt die Vaterschaft. Drei Jahre später kommt Felix zur Welt, sein Wunschkind.

«Ich war bei der Geburt dabei. Es war ein Glücksgefühl, das man nicht beschreiben kann», erinnert sich Jenzer, dann verzieht er sein Gesicht. Denn das Vaterglück hielt nicht lange vor. 2003 zieht Anna mit beiden Kindern aus und reicht die Scheidung ein. Von nun an sieht der Ex-Ehemann die Kinder nur noch selten – die Mutter versucht, den Kontakt so gering zu halten wie möglich.

«Der hat aber gar nichts Jenzerisches an sich.»

Doch zahlen muss er. Monatlich überweist der Lagerist, der 5100 Franken netto verdient, 2450 Franken Alimente. «Das habe ich auch gerne gemacht – schliesslich habe ich Nadja anerkannt und Felix ist mein Fleisch und Blut», sagt Jenzer.

Doch dann ändert sich plötzlich alles. Als Jenzer 2008 seine heutige Frau Yvonne (35) kennenlernt, zeigt er ihr voller Stolz ein Foto von Felix. Sie erinnert sich: «Es war der 20. Dezember 2008. Marcel kam gerade von seinen Kindern, sie feiern an diesem Tag immer vorgezogene Weihnachten zu dritt.

Als ich das Foto von Felix sah, war mir klar, dass das nicht Marcels Sohn sein kann. Ich hab laut gedacht und gesagt: «Der hat aber gar nichts Jenzerisches an sich.»

Doch dann quälen ihn Zweifel – mehr und mehr will er Gewissheit haben

Sie löst eine Kettenreaktion aus. Marcel Jenzer: «Das erinnerte mich daran, dass früher Nachbarn und sogar mein Vater öfter gesagt haben, dass Felix mir nicht im Geringsten ähnlich sehe. Vor allem wegen seiner leicht dunklen Hautfarbe. Aber ich habe darüber nie weiter nachgedacht. Ich hab ihn geliebt und nicht daran gedacht, dass er nicht mein Sohn sein könnte.»
Doch dann quälen ihn Zweifel – mehr und mehr will er Gewissheit haben. Mit dem Einverständnis seiner Ex-Frau lässt Marcel Jenzer einen Vaterschaftstest machen.

«Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen», sagt Yvonne Jenzer. «Er sass da wie ein geprügelter Hund mit dem Brief in der Hand – und hat sich nicht mehr gerührt.» Auch der «Vater» erinnert sich an den schrecklichsten Tag seines Lebens. «Ich hatte bis zuletzt gehofft, Felix sei doch mein Sohn.»

In jeder Schulklasse sitzt ein Kuckuckskind

Marcel Jenzer teilt sein Schicksal mit schätzungsweise fünf Prozent aller Schweizer Väter (siehe nächste Seite). Statistisch betrachtet, sitzt in jeder Schulklasse ein Kuckuckskind: Ein Kind, dessen «Papi» nicht der leibliche Vater ist.

Zwei Monate braucht Jenzer, um den Schock zu verarbeiten. Am 18. Juli 2009 reicht er beim Bezirksgericht Bülach Klage gegen seine Unterhaltsverpflichtung ein. Und verliert. Begründung: Die Frist für eine Anfechtung der Vaterschaft sei abgelaufen.

Nach Art. 256c des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) gilt, dass eine Vaterschaft nur innert einer «absoluten fünfjährigen Frist, beginnend mit der Geburt des Kindes» angefochten werden kann.

«Aber da war ich ja noch mit der Mutter von Felix verheiratet und hatte keinerlei Zweifel an meiner Vaterschaft», sagt Marcel Jenzer aufgebracht. «So ein Gesetz ist doch total absurd!»

Für Marcel Jenzer und seine Frau Yvonne ist das eine Katastrophe

Er legt Berufung ein, verliert wieder. Doch der Lagerchef gibt nicht auf. Er zieht den Fall ans Obergericht weiter. Auch dort blitzt der Gehörnte am 26. Oktober 2010 ab.

«Der Richter hat gesagt, ich hätte von dem Moment des ersten Zweifels bis zur Einreichung der Klage beim Bezirksgericht keine vier Monate verstreichen lassen dürfen. Dann hätte das Gericht die absolute Fünfjahresfrist eventuell verlängern können. Sodass ich wenigstens eine Chance gehabt hätte, die Vaterschaft aberkennen zu lassen», erklärt Jenzer.

«Aber ich musste mich doch erst entscheiden, ob ich der ganzen Sache nachgehen will. Zudem dauert der Test Wochen. Bis ich schliesslich einen Anwalt gefunden hatte, waren die vier Monate schon verstrichen.» Der Richter lässt sich von dieser Argumentation nicht beeindrucken. Auch einer Alimentenverringerung wird nicht zugestimmt.

Für Marcel Jenzer und seine Frau Yvonne ist das eine Katastrophe. «Ich zahle für zwei Kinder, die nicht meine sind und die ich nicht sehen darf. Ich bin zu einem reinen Zahlvater degradiert», sagt der 46-Jährige verzweifelt. «Und dabei sehnen Yvonne und ich uns so nach einem gemeinsamen Kind, können uns das aber in der jetzigen Situation nicht leisten. Ich darf über das alles gar nicht nachdenken, sonst bricht es mir das Herz», sagt Marcel Jenzer.

* Namen geändert

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