Innert 14 Stunden:
Aus diesem Fenster springen zwei Menschen in den Tod

ZÜRICH – Erst springt der Mann, 14 Stunden später seine Freundin – aus demselben Fenster in der Bäckerstrasse 60. Beide sind sofort tot. Hat es die Polizei verpasst, einzugreifen?
Publiziert: 12.06.2009 um 14:07 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 20:17 Uhr
Von Antonia Sell

Es ist die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, gegen 3 Uhr morgens an der Bäckerstrasse 60 in Zürich: Alle scheinen zu schlafen. Ausser im Restaurant «Rex Populi» sitzen noch ein paar Nachtschwärmer auf ein Bier zusammen. Plötzlich kracht es vor dem Eingang des Restaurants, das direkt hinter dem Zürcher Volkshaus liegt.

Der Kellner rennt raus – dann trifft ihn der Schock. Zwei, drei Meter neben der Tür liegt ein Mann auf dem Boden, nur mit seinem Slip bekleidet. Blut rinnt aus seinem Kopf. Er ist tot. Ein Blick nach oben, das Fenster des vierten Stocks ist offen – der Mann Mitte dreissig muss gesprungen sein. Sofort alarmiert der Kellner die Polizei.

Wurde er vielleicht sogar geschubst?

Das Langstrassenquartier ist bekannt dafür, dass sich hier viele Drogenabhängige aufhalten – und auch wohnen. Es liegt also nahe, dass «der Mann ein Drogenproblem hatte», erzählt der Eigentümer des «Rex Populi», Steffano Brem Blick.ch. Ein anderer Zeuge, äussert gegenüber Blick.ch den Verdacht, dass der junge Mann eventuell gar nicht gesprungen sei. Vielleicht «wurde er auch gestossen», so der Zeuge Daniel S.*. Ein Anwohner habe gegenüber ihm betont, dass der Mann nicht selber springen würde. Den Verdacht, dass es kein Selbstmord war, kann die Stadtpolizei Zürich »momentan nicht bestätigen», so Stapo-Sprecher Marco Cortesi zu Blick.ch. Die Polizei will dem aber nachgehen.

Die Beamten finden in der Wohnung des Toten seine Freundin. Nach Aussage der Stadtpolizei Zürich wird sie einem externen Seelsorger übergeben. Nach einiger Zeit bricht sie das Gespräch mit den Worten «Ich will nicht mehr!» ab. Der Seelsorger lässt die junge Frau alleine in der Unglückswohnung zurück. Anwohner hören sie mehrere Stunden lang immer wieder schreien und weinen. «Es war deutlich erkennbar, dass sie massive Probleme hat», sagt Steffano Brem.

Stunden später gibts ein schreckliches Déjà-vu

Donnerstag 17 Uhr, 14 Stunden nach dem tödlichen Sturz: Vor dem Restaurant «Rex Populi» ist wieder Ruhe eingekehrt Eine sechsköpfige Gruppe sitzt draussen und bestellt gerade ihr Essen. Plötzlich ein Schrei, dann ein Knall. Die Freundin des vor wenigen Stunden verstorbenen Mannes liegt auf der Strasse, «direkt neben meinem Lokal», erzählt Steffano Brem erschüttert.

«Total geschockt sind meine Gäste ins Lokal gerannt. Wir haben dann sofort die Polizei alarmiert – zum zweiten Mal.» «Es war ein schreckliches Bild», so Brem weiter. «Sie lag 15 Minuten auf der Strasse, überall war Blut.» Die Frau ist ihrem Freund in den Tod gefolgt.

Sie lassen ein kleines Mädchen zurück

Besonders tragisch: Mit dem Tod der beiden wird ein Frischgeborenes Waise. Die junge Frau Mitte dreissig hatte erst vor wenigen Tagen ein Kind zur Welt gebracht – ein Mädchen. Die Kleine war «zu dem Zeitpunkt der beiden Selbstmorde ihrer Eltern noch im Spital», sagt Marco Cortesi. Den Grund dafür wollte weder das Sozialdepartment noch die Polizei mitteilen. Um die Kleine kümmert sich jetzt die Vormundschaftsbehörde des Sozialdepartments.

Fehleinschätzung der Polizei?

Jetzt werden Vorwürfe gegen die Polizei laut: «Ich verstehe nicht, wie aus ein und demselben Fenster einer Wohnung innerhalb von wenigen Stunden zwei Menschen in den Tod springen können», sagt Daniel S. entrüstet zu Blick.ch. «Da muss man doch die Polizeiarbeit hinterfragen!»

Auch Steffano Brem kann die Geschehnisse der vergangenen Stunden nicht begreifen. «Dies ist ein stadtbekanntes Problemhaus und es war deutlich erkennbar, dass die junge Frau grosse Sorgen hatte und hilflos war. Hat man hier vielleicht ein Chance verpasst ein Leben zu retten?», fragt er. Blick.ch stellt diese Frage der Stadtpolizei Zürich: «Nein, man kann niemanden Hilfe aufdrängen, die er nicht will», so der Polizeisprecher.

*Name von der Redaktion geändert

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