In der Badi am Greifensee
Tod unterm Sprungturm

19-Jähriger springt dem Bub auf den Kopf und haut ab. Die Mutter des Opfers: «Es ist wie ein Alptraum, aus dem man nie erwacht»
Publiziert: 14.07.2011 um 00:49 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 18:09 Uhr
Von Sandro Inguscio, Beat Michel und Gabriela Battaglia

Das Strandbad Niederuster ZH Dienstagnachmittag um 16 Uhr. Die Sonne scheint, die Stimmung der Badegäste ist ausgelassen, und die jungen Wilden drängen sich die Stiegen des Sprungturms hinauf. Einer nach dem anderen springen sie in den Greifensee.

So auch 1.-Sek-Schüler Marius P.* (14) aus Uster. Er steigt bis zuoberst auf den 5-Meter-Turm und springt. Sekunden später nimmt ein 19-jähriger Ustermer Anlauf und knallt dem auftauchenden Marius auf den Kopf.

Niemand merkt etwas...

Marius wird ohnmächtig, er geht unter. Niemand merkt es. «Der Typ hat zwar gesagt, er glaube, er wäre auf einen blonden Jungen gesprungen. Seine Kollegen haben aber gesagt, sie hätten nichts gesehen. Dann sind sie einfach abgehauen», sagen Augenzeugen zu BLICK.

Und einer fügt hinzu: «Sie haben das Millimeterspiel gespielt. Dabei springt man nacheinander so schnell wie möglich auf dieselbe Stelle seines Vorspringers.»

... auch der Bademeister nicht

Minuten vergehen, bis Kollegen auffällt, dass Marius fehlt. Der Bademeister – sein Stuhl steht wenige Meter vom Sprungturm entfernt – merkt nichts vom Drama, das sich ja vor seinen Augen abgespielt haben muss. Er verständigt die Seerettung erst, als Marius’ Kollegen ihn alarmieren.

Ein Taucher findet den leblosen Körper des Sek-Schülers in sieben Meter Tiefe unter dem Turm. Zu spät! Sanitäter reanimieren Marius zwar vor Ort – doch nach wenigen Stunden stirbt der 14-Jährige im Spital.

Marius’ Eltern ahnten nichts. Erst als ein Kollege ihres Sohnes um 17.30 Uhr bei ihnen anruft, erfahren sie alles. «Wir sind sofort ins Unispital nach Zürich gefahren. Dort mussten wir drei Stunden warten, bis die Ärzte uns etwas gesagt haben», erzählt die Mutter Sibylle P.* (44) unter Tränen.

«Das Warten war gar nicht das Schlimmste. Denn solange ich gewartet habe, konnte ich noch hoffen. Ich hatte nur Angst vor dem Moment, in dem die Ärzte herauskommen und eine Entscheidung gefällt haben.»

Der Moment kommt. Marius’ Herz schlägt noch, aber sein Hirn ist tot. «Mein Sohn war 15 Minuten unter Wasser. Ich glaube, er starb schon im See», sagt die zweifache Mutter mit bebender Stimme. «Es ist wie ein Alptraum, aus dem man nie erwacht.»

Die 44-jährige Telefonistin erinnert sich. «Wir haben am Dienstag zusammen zu Mittag gegessen. Dann ist Marius in die Badi gegangen. Er ist eine Wasserratte, bei jedem Wetter hat es ihn zum See gezogen. Ich habe ihm immer gesagt, dass er vorsichtig sein soll.»

«Extrem gefährliche Spiele»

Prisca Wolfensberger, Sprecherin der Schweizerischen Lebensrettungsgesellschaft (SLRG), erklärt: «In der Badi sieht man viele knappe Situationen. Hinterherspringen oder gemeinsames Springen sind extrem gefährliche ‹Spiele›.»

Im Krämeracker, wo Marius in die Sek ging, müssen jetzt viele Schüler betreut werden – das sagt Schulpflegepräsident Thomas Pedrazzoli (44). «Die Schüler haben für Marius Kerzen, Blumen und Abschiedsbriefe zu einem Altar aufgebaut.»

Der 19-jährige Turmspringer hat sich erst gestern der Polizei gestellt. Die Mutter des toten Marius ist ihm nicht böse. «In dem Alter ist es ganz normal, dass man seine Kräfte auslotet. Es hätte auch Marius passieren können, dass er auf jemandem draufspringt.»

Aber Sibylle P. «kann und will es nicht begreifen», dass ihr Sohn tot ist.

* Name bekannt

Ustermer Sport-Leiter Daniel Brunner
Marius (†14) ist in einer von Bademeistern überwachten Badi ertrunken. Daniel Brunner (38, Bild), Leiter Geschäftsfeld Sport in Uster ZH, versucht zu erklären.

Herr Brunner, wie kann so etwas passieren?
Daniel Brunner: Eine 100-prozentige Sicherheit kann man in einer Badi nie garantieren. Wir müssen auch für die Eigenverantwortung der Gäste plädieren.

Wie viele Bademeister haben Sie im Strandbad Niederuster im Einsatz?
Wir haben grundsätzlich drei Bademeister im Einsatz. Einen am Becken, den anderen am See und einer patrouilliert durchs Gelände. So auch am Dienstag.

Trotzdem hat der Bademeister am See den Unfall nicht mitbekommen. Die Freunde des Verunfallten mussten ihn erst darauf aufmerksam machen. Wie kann das sein?
Eine lückenlose Überwachung jedes Badegastes ist nicht möglich.

Werden Sie nach diesem Unfall die Sicherheitsmassnahmen verschärfen?
Wir werden sie sicherlich überprüfen und dann entscheiden, ob eine Änderung notwendig und umsetzbar ist.

Wäre es nicht sinnvoll, direkt auf dem Turm einen Bademeister zu postieren, der die Kinder instruiert?
Dies prüfen wir natürlich. Bis anhin haben wir gute Erfahrungen mit unserer Arbeitseinteilung gemacht.

Der 19-Jährige hat angegeben, nichts vom Aufprall gemerkt zu haben. Können Sie sich das vorstellen?
Gefühlsmässig sollte man es schon merken. Aber ich möchte mir hier kein Urteil erlauben.

Interview: Antonia Sell
Marius (†14) ist in einer von Bademeistern überwachten Badi ertrunken. Daniel Brunner (38, Bild), Leiter Geschäftsfeld Sport in Uster ZH, versucht zu erklären.

Herr Brunner, wie kann so etwas passieren?
Daniel Brunner: Eine 100-prozentige Sicherheit kann man in einer Badi nie garantieren. Wir müssen auch für die Eigenverantwortung der Gäste plädieren.

Wie viele Bademeister haben Sie im Strandbad Niederuster im Einsatz?
Wir haben grundsätzlich drei Bademeister im Einsatz. Einen am Becken, den anderen am See und einer patrouilliert durchs Gelände. So auch am Dienstag.

Trotzdem hat der Bademeister am See den Unfall nicht mitbekommen. Die Freunde des Verunfallten mussten ihn erst darauf aufmerksam machen. Wie kann das sein?
Eine lückenlose Überwachung jedes Badegastes ist nicht möglich.

Werden Sie nach diesem Unfall die Sicherheitsmassnahmen verschärfen?
Wir werden sie sicherlich überprüfen und dann entscheiden, ob eine Änderung notwendig und umsetzbar ist.

Wäre es nicht sinnvoll, direkt auf dem Turm einen Bademeister zu postieren, der die Kinder instruiert?
Dies prüfen wir natürlich. Bis anhin haben wir gute Erfahrungen mit unserer Arbeitseinteilung gemacht.

Der 19-Jährige hat angegeben, nichts vom Aufprall gemerkt zu haben. Können Sie sich das vorstellen?
Gefühlsmässig sollte man es schon merken. Aber ich möchte mir hier kein Urteil erlauben.

Interview: Antonia Sell
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