«Fürchte um Existenz» – Schaffhauser Lehrer wehrt sich gegen Belästigungsvorwürfe von Kollegin
Juristisch ist er unschuldig – aber trotzdem ruiniert

Mario L. verliebt sich in seine Lehrerkollegin, doch die will nichts von Liebe wissen. Während er darüber hinweg ist, beschwert sie sich bei der Schulleitung. Dem Lehrer wird gekündigt. Nun muss er um seine Existenz bangen.
Publiziert: 00:01 Uhr
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Berufsschullehrer Mario L. kämpft um seinen Ruf: «Ich habe nichts getan.»
Foto: Kim Niederhauser

Darum gehts

  • Lehrer verliert Job wegen Vorwurf der sexuellen Belästigung durch Kollegin
  • Mario L. gestand Gefühle, Sandra P. meldet zweifelhafte Vorfälle Jahre später
  • Nun hat er Anzeige wegen Ehrverletzung erstattet
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Helena GrafReporterin

Wie lief das genau im September 2024 im Zug, Lyon (F) nach Zürich, als er neben ihr sass? Da habe er sie doch am Oberschenkel berührt – oder? War das ein Stupsen mit dem Finger oder ein Streifen mit dem Handrücken? 

Eine kurze Berührung zwischen Arbeitskollegen. Millisekunden, an die sich Berufsschullehrer Mario L.* kaum noch erinnern kann. «Ich weiss noch, dass sie mit Kopfhörer geschlafen hat, das Gruppenbillett bei sich hatte und ich sie auf den Kontrolleur hinweisen wollte», sagt er.

Sandra P.*, die Lehrerin neben ihm, interpretiert die Geste anders. Nämlich als einer von mehreren Annäherungsversuchen ihres Kollegen. Sie wendet sich an ihren Vorgesetzten.

Existenzängste

Der Lehrer verlor letzten Dezember den Job. In seiner Akte steht: «Verdacht auf sexuelle Belästigung.» Nun stehen seine Chancen schlecht, eine neue Stelle als Lehrer zu bekommen. «Ich fürchte um meine Existenz», sagt er zu Blick.

Mario L. hat mehrere Kinder, lebt aber getrennt von deren Mutter. Seit über 15 Jahren unterrichtet er am Berufsbildungszentrum Schaffhausen (BBZ). Als sein Arbeitskollege 2021 pensioniert wird, übernimmt die jüngere Sandra P. die Stelle. Zweimal im Jahr unternehmen die beiden Lehrpersonen mit ihren Klassen eine Projektwoche, teils im Ausland.

«Wir haben uns immer gut verstanden», erzählt L. «Ich habe Gefühle entwickelt.» Im Frühjahr 2022 gesteht der Lehrer seiner Kollegin seine Gefühle. In einem Mail am Abend weist Sandra P. ihren Kollegen ab. Mario L. antwortet: «Danke für deine Klarheit. Das Leben ist manchmal kompliziert und peinlich – sorry! Aber ich bin sicher, dass uns das nicht weiter belasten wird.» Im selben Jahr verliebt sich Mario L. in eine andere Frau, bis heute sind die beiden in einer Beziehung.

Gemeinsames Hostel-Zimmer

Aber: Im Herbst 2024 erzählt Sandra P. während ihres Mitarbeitergesprächs, ihre «Integrität» sei durch Mario L. verletzt worden. In einem Mail an den Schulleiter, das Blick vorliegt, macht sie entsprechende Beispiele. Noch vor dem Liebesgeständnis etwa habe sie während einer Projektwoche mit Mario L. in einem Mehrbettzimmer übernachten müssen. Er habe behauptet, es seien keine Einzelzimmer mehr frei gewesen.

Mario L. zeigt Blick die damalige Buchungsofferte. Darin verlangt er nach zwei Einzelzimmern. «Das war ein Fehler seitens der Unterkunft», erklärt er. «Ich habe dann vorgeschlagen, über Nacht nach Hause zu fahren.»

In ihrem Mail schildert Sandra P. auch einen belästigenden Vorfall knapp drei Monate nach Mario L.s Geständnis: Während einer Projektwoche in Genf habe er sie nach dem Unterricht zum Apéro eingeladen. Sie habe das ignoriert, doch er habe nicht locker gelassen. «Nach mehrmaligem Fragen habe ich zugestimmt. Es war dann schwierig, ein Ende zu finden.» Zum gemeinsamen Apéro sei es nie gekommen, widerspricht Mario L. Es habe lediglich ein gemeinsames Abendessen mit den Schülern stattgefunden.

Pulli-Kommentar

Ein anderes Mal beschreibt Sandra P., sie habe mit L. Holzgestelle zusammengebaut. Da habe er sie gefragt, ob sie nicht ihren Pulli ausziehen wolle. Mario L. versteht die Welt nicht mehr: «Es war nur ein gut gemeinter Rat, damit ihr Pullover nicht dreckig wird und sich ihre weiten Ärmel nicht mit dem Akkuschrauber verheddern. Ich hatte doch keine sexuellen Absichten, schliesslich waren die Türen des Schulzimmers offen.»

Sexuelle Belästigung: Problematik bei Aussage gegen Aussage

Was kann ein Arbeitgeber tun, wenn der Vorwurf der sexuellen Belästigung im Raum steht – es aber keinerlei Beweise gibt? Blick hat einen Experten zur Thematik befragt. «Der Arbeitgeber kann sich die Frage stellen: Wessen Aussagen wirken glaubwürdiger, wer verstrickt sich in Widersprüche?», erklärt Aner Voloder von der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich. «Aus arbeitsrechtlicher Sicht kommt es also darauf an, dass die erhobenen Vorwürfe vom Arbeitgeber so weit geprüft werden, dass eine allfällige Sanktionierung nicht leichtfertig erfolgt.»

Voloder betont, dass der Arbeitgeber gegenüber beiden Beteiligten – sofern beide Angestellte der Firma sind – eine Fürsorgepflicht hat: «Gegenüber der betroffenen Person bezüglich Schutz und Unterstützung sowie gegenüber der beschuldigten Person gegen allfällige Falschanschuldigungen.» Zur Fürsorgepflicht gehöre es auch, dass der Arbeitgeber bei Meldung, Kenntnisnahme oder dringendem Verdacht interveniert, dem belästigenden Verhalten ein Ende setzt und die Vorfälle sorgfältig abklärt. «Dazu gehören getrennte Befragungen der Beteiligten, Befragungen von allfälligen Zeuginnen und Zeugen, Würdigung von allfälligem Beweismaterial wie Screenshots oder Mails und – falls es betrieblich-organisatorisch möglich ist – die räumliche Trennung zumindest für die Zeit der internen Abklärung der Vorfälle.»

Was kann ein Arbeitgeber tun, wenn der Vorwurf der sexuellen Belästigung im Raum steht – es aber keinerlei Beweise gibt? Blick hat einen Experten zur Thematik befragt. «Der Arbeitgeber kann sich die Frage stellen: Wessen Aussagen wirken glaubwürdiger, wer verstrickt sich in Widersprüche?», erklärt Aner Voloder von der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich. «Aus arbeitsrechtlicher Sicht kommt es also darauf an, dass die erhobenen Vorwürfe vom Arbeitgeber so weit geprüft werden, dass eine allfällige Sanktionierung nicht leichtfertig erfolgt.»

Voloder betont, dass der Arbeitgeber gegenüber beiden Beteiligten – sofern beide Angestellte der Firma sind – eine Fürsorgepflicht hat: «Gegenüber der betroffenen Person bezüglich Schutz und Unterstützung sowie gegenüber der beschuldigten Person gegen allfällige Falschanschuldigungen.» Zur Fürsorgepflicht gehöre es auch, dass der Arbeitgeber bei Meldung, Kenntnisnahme oder dringendem Verdacht interveniert, dem belästigenden Verhalten ein Ende setzt und die Vorfälle sorgfältig abklärt. «Dazu gehören getrennte Befragungen der Beteiligten, Befragungen von allfälligen Zeuginnen und Zeugen, Würdigung von allfälligem Beweismaterial wie Screenshots oder Mails und – falls es betrieblich-organisatorisch möglich ist – die räumliche Trennung zumindest für die Zeit der internen Abklärung der Vorfälle.»

Sofort freigestellt

Mario L. fragt sich: «Wie hätte ich wissen sollen, dass sie sich belästigt fühlte? Sie hat nie etwas gesagt.» Nachdem Sandra P. die Vorfälle geschildert hatte, lud der Schulleiter Mario L. letzten Dezember zu einer Anhörung ein. Er sollte zu den Vorfällen Stellung nehmen. Mit dabei am Gespräch: die Personalverantwortliche des Kantons.

Mario L. erklärt den beiden seine Sicht. Anschliessend – und ohne dass die beiden überhaupt noch beraten – legen sie ihm die Kündigung vor. Den schriftlichen Entscheid hatten sie da schon vorbereitet. 

Der Berufschullehrer erstattet Anzeige gegen Sandra P., den Schulleiter und die Personalverantwortliche wegen Ehrverletzung und Urkundenfälschung. Blick hat Sandra P. nach ihrer Perspektive gefragt. Sie reagierte nicht auf das entsprechende Mail. Auch der Schulleiter und die Personalverantwortliche wurden mehrmals um eine Stellungnahme gebeten. Auch sie ignorierten die Blick-Anfragen.

Gegen Mario L. läuft kein juristisches Verfahren. Weder Sandra P. noch die Schulleitung haben eine Anzeige erstattet. Der Lehrer hofft, mit seiner Anzeige seinen Ruf zu retten. «Ich habe nichts getan und möchte in meinem Beruf weiterarbeiten.»

* Namen geändert 

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