Experte über die Gesichtserkennung am Flughafen Zürich
«Computer machen weniger Fehler als Zöllner»

Der Flughafen Zürich führt die digitale Gesichtserkennung ein. Widerstand ist vorprogrammiert. Experte Rasmus Rothe versteht nicht, warum Bürger ihrem Staat weniger vertrauen als Firmen.
Publiziert: 17.09.2017 um 21:03 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:35 Uhr
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Rasmus Rothe, Geschäftsführer einer Artificial-Intelligence-Firma. So sieht es aus, wenn er sich das Gesicht scannen lässt.
Foto: Mirko Ries
Interview: Florian Blumer

BLICK: Ab Ende September kann man sich am Flughafen Zürich wahlweise von einem Zöllner oder von einer Gesichtserkennungssoftware kontrollieren lassen. Werden Sie die neue Möglichkeit nutzen?
Rasmus Rothe:
Auf jeden Fall. Ich bin neugierig herauszufinden, wie gut es funktioniert.

Die Einführung verlief harzig, sie wurde schon mehrfach verschoben. Wie sicher ist die Technologie?
Man muss so etwas im Vergleich sehen: Der Computer macht im Schnitt weniger Fehler als ein Zöllner. Sehr wichtig ist, dass die Daten nicht nach draussen wandern, sondern wirklich nur für diese Erkennung genutzt werden. Dazu muss man einerseits die Software sehr sauber bauen. Andererseits muss man vertrauenswürdig kommunizieren.

Kann ich sicher sein, dass meine Daten wieder gelöscht werden?
Ich persönlich vertraue darauf, dass die Unternehmen das ernst nehmen. Wir arbeiten mit den Grossen der Branche zusammen, und die sind übervorsichtig, weil sie wissen, dass sie unter Beobachtung stehen. Gleichzeitig kann ich auch Ängste nachvollziehen, weil man das nicht selber kontrollieren kann.

Ein Versuch in Berlin stiess auf Proteste – beim neuen iPhone, das mit Gesichtserkennung arbeitet, scheint man weniger kritisch.
Das finde ich skurril! Ich kann verstehen, wenn jemand kritisch ist. Aber wenn ich nicht beim Gesichtserkennungszoll vorbeigehen will, würde ich auch kein iPhone 8 kaufen.

Viele trauen Firmen eher als dem Staat.
Da wäre ich vorsichtig. Wie der NSA-Skandal 2013 gezeigt hat, ist keineswegs garantiert, dass Ihre Daten, die Sie Firmen wie Apple ­anvertrauen, nicht doch beim Staat landen.

Ist digitale Gesichtserkennung die Zukunft der Identifizierung?
Ihr Vorteil ist die Bequemlichkeit: Passwörter muss man sich merken, bei der Gesichtserkennung muss man nichts mehr tun. Ich glaube, dass das kommen wird – auch wenn ein kompliziertes Passwort mög­licherweise sicherer ist.

Der Eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger nannte die Gesichtserkennung einen Mega­trend. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube, der wirkliche Mega­trend ist Deep Learning, eine Methode der künstlichen Intelligenz, auf der die Gesichtserkennung beruht. Sie kann auch für autonomes Fahren verwendet werden, in der Medizin und in der Finanzwelt. Computer können mit dieser Technik gewisse Dinge besser als Menschen: Wir arbeiten gerade an einer Methode der Mammographie, die ähnlich funktioniert wie Gesichtserkennung und bereits feinste Spuren von Brustkrebs-Metastasen erkennen kann.

Wo sehen Sie die grössten Chancen für die Gesichtserkennung?
In der Terrorbekämpfung. Nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin vom Dezember gab es zwar Kameraaufnahmen, die aber von Menschen ausgewertet werden mussten. Das dauerte viel zu lange: Bis es Hinweise auf den Täter gab, war Anis Amri schon in Mailand.

Sie denken, mit Gesichtserkennungssoftware hätte man den Täter schneller gestellt?
Ja.

Dennoch sind die Bedenken nach wie vor gross. Glauben Sie, dass sich das in naher Zukunft ändern wird?
Es gibt Länder wie England, in denen die Akzeptanz schon hoch ist, in anderen Ländern wie Deutschland oder der Schweiz weniger. Letztlich sehe ich es so: Die Technologie ist da – wir als Gesellschaft müssen entscheiden, ob wir sie nutzen wollen.

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Geister der Physiognomik sind zurück

Es sind Nachrichten, die einen das Gruseln lehren: Computer erkennt Homosexuelle an ihrem Gesicht! Start-up preist an: Unsere Software kann sagen, ob jemand ein Terrorist ist oder ein Pädophiler! Dagegen wirkt die Ankündigung des Flughafens Zürich, Gesichtsscanner für die Zollkontrolle zu installieren, geradezu harmlos (siehe links).

Die News von der Tech-Front wecken Erinnerungen an düstere Zeiten: Bereits Aristoteles behauptete, er könne von Gesichtsmerkmalen auf die Persönlichkeit schliessen. Der Zürcher Johann Caspar Lavater (1741–1801) machte die sogenannte Physio­gnomik im 18. Jahrhundert populär. Im 20. Jahrhundert nutzten sie die Nazis für ihre menschenverachtende Rassenlehre.

Entsprechend heftig waren die Reaktionen: Über die Forscher der US-amerikanischen Stanford University, welche die Schwulen-Erkennungs-Software entwickelten, entlud sich ein Shitstorm. Tatsächlich entwickelten sie ein potenziell tödliches Werkzeug: In Iran, Nigeria oder Saudi-Arabien steht auf Homosexualität die Todesstrafe.

Doch ist das Ganze nicht einfach Scharlatanerie? Uwe Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie in Osnabrück, kämpft seit Jahren gegen die Pseudo-Wissenschaft der Physiognomik: Sie beruhe auf unbewiesenen Annahmen und liefere keine Begründungen. Die Wissenschaftlichkeit der Stanford-Studie hingegen zweifelt er nicht an. Aber: «Es braucht weitere Untersuchungen, welche die Ergebnisse bestätigen.» Gar nichts hält er in diesem Zusammenhang von Firmen, die Persönlichkeitsprofile anbieten: «Das sind Marketing-Behauptungen ohne wissenschaftliche Grundlage.»

Anita Rauch, Direktorin des Genetik-Instituts der Uni Zürich, sagt, es gebe Hypothesen, dass Homosexualität genetische oder hormonelle Ursachen habe. Das Thema sei aber noch wenig erforscht. Die vom Shitstorm getroffenen US-Forscher fühlen sich missverstanden: Sie hätten nichts Neues entwickelt – sondern davor warnen wollen, was schon heute möglich ist. Ob an ihren Erkenntnissen mehr dran ist als an den kruden Theorien der Physiognomiker oder nicht: Wir sollten ihre Warnung ernst nehmen.

So sah Gesichtsforschung 1862 aus: Ausdrucksstudie mittels eines Elektrisierapparats.
akg-images

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Entsprechend heftig waren die Reaktionen: Über die Forscher der US-amerikanischen Stanford University, welche die Schwulen-Erkennungs-Software entwickelten, entlud sich ein Shitstorm. Tatsächlich entwickelten sie ein potenziell tödliches Werkzeug: In Iran, Nigeria oder Saudi-Arabien steht auf Homosexualität die Todesstrafe.

Doch ist das Ganze nicht einfach Scharlatanerie? Uwe Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie in Osnabrück, kämpft seit Jahren gegen die Pseudo-Wissenschaft der Physiognomik: Sie beruhe auf unbewiesenen Annahmen und liefere keine Begründungen. Die Wissenschaftlichkeit der Stanford-Studie hingegen zweifelt er nicht an. Aber: «Es braucht weitere Untersuchungen, welche die Ergebnisse bestätigen.» Gar nichts hält er in diesem Zusammenhang von Firmen, die Persönlichkeitsprofile anbieten: «Das sind Marketing-Behauptungen ohne wissenschaftliche Grundlage.»

Anita Rauch, Direktorin des Genetik-Instituts der Uni Zürich, sagt, es gebe Hypothesen, dass Homosexualität genetische oder hormonelle Ursachen habe. Das Thema sei aber noch wenig erforscht. Die vom Shitstorm getroffenen US-Forscher fühlen sich missverstanden: Sie hätten nichts Neues entwickelt – sondern davor warnen wollen, was schon heute möglich ist. Ob an ihren Erkenntnissen mehr dran ist als an den kruden Theorien der Physiognomiker oder nicht: Wir sollten ihre Warnung ernst nehmen.

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