Auch wenn der Autor selbst behauptet, falsch verstanden worden zu sein: Der Tweet an «Arena»-Moderator Jonas Projer war unmissverständlich. «Mitten in der Nacht werden wir kommen und dich richten!», drohte der anonyme User dem Polit-Dompteur des Schweizer Fernsehens nach der No-Billag-Debatte vergangenen Freitag (BLICK berichtete). Bereits in der Sendung waren die Emotionen hochgekocht. In den Kommentarspalten auf Facebook und auf Twitter eskalierte die Situation anschliessend.
Projer hat den Verfasser der Drohung inzwischen angezeigt. Dass der Unbekannte sich für seine Worte in absehbarer Zeit vor der Justiz verantworten muss, ist allerdings unwahrscheinlich. Denn die Person schrieb den Kommentar von einem anonymen Twitter-Account aus.
Das lange Warten auf Rechtshilfe
Verleumdung, Beschimpfung oder Drohung: Wer unter seinem echten Namen im Netz gegen Personen hetzt, kann relativ leicht juristisch belangt werden. «So ist die Täterermittlung natürlich sehr einfach», sagt Stephan Walder zu BLICK. Er ist stellvertretender Leitender Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich und Co-Leiter des Kompetenzzentrums Cybercrime. Den Tätern drohen Bussen oder Vergleiche in vierstelliger Höhe.
Wenn der Name fehlt, wird es für Opfer und Strafverfolgungsbehörden indes schwieriger. Weil Facebook in der Schweiz nur eine Niederlassung und keinen Hauptsitz hat, müssen Schweizer Ermittler für Nutzerdaten beim Firmensitz in den USA oder in Irland anklopfen. Das benötigt ein Gesuch um Rechtshilfe – und kann deshalb dauern. Zwischen 3 und 15 Monaten seien es im Fall der USA, sagt Walder.
Das Problem: «Es gilt der Grundsatz der gegenseitigen Strafbarkeit», erklärt Walder. Das heisst, dass die USA nur Rechtshilfe leistet, wenn ein Facebook-Post auch nach US-amerikanischem Recht strafbar ist. Doch gerade bei der Ehrverletzung oder bei Drohungen unterscheidet sich dieses teilweise markant von Schweizer Recht. «In Amerika fällt leider vieles unter das Recht auf freie Meinungsäusserung», sagt Walder.
«Das ist ein Riesenproblem»
Wohl auch wegen dieser Hürde fordern Schweizer Behörden nur relativ selten vom Social-Media-Riesen Auskunft. Im ersten Halbjahr 2017 wurden laut Facebook 57 Datenanfragen aus der Schweiz gestellt. Die Zahl steigt: Im ersten Halbjahr 2016 waren es erst 40 Anfragen, zwei Jahre davor 32. Bei Twitter ging von Januar bis Juni 2017 ein einziges Gesuch um Herausgabe von Nutzerdaten ein.
Und selbst wenn die US-Behörden die Daten rausgeben: Dass diese die Ermittler zum Urheber einer Drohung oder eines Hass-Posts führen, ist damit noch nicht sicher. Die Schweizer Fernmeldeanbieter müssen die Randdaten, anhand derer man eine IP-Adresse einem Anschluss zuordnen kann, nur sechs Monate speichern, sagt Staatsanwalt Walder. Bis die internationalen Social-Media-Firmen die dazu nötigen Angaben liefern, sei das halbe Jahr oft schon um. «Das ist ein Riesenproblem», sagt Walder.
Neues Gesetz ab März
Aus Sicht des Cyber-Staatsanwalts liesse sich die Verurteilungsquote erhöhen, könnte auf den mühsamen Umweg der Rechtshilfe verzichtet werden. «Man muss wegkommen vom Begriff des Speicherorts und hin zum Begriff der Verfügbarkeit», fordert Walder. Entscheidend sein soll nicht der Ort, an dem Daten lagern, sondern der Ort, an dem Daten verfügbar sind. «So könnten wir auch bei der Schweizer Niederlassung eines Social-Media-Anbieters eine Anfrage stellen und wären viel schneller.»
Ein Wunsch, der sich – hofft Walder – schon bald erfüllt. Im März tritt das revidierte Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) in Kraft. In diesem ist zumindest in der Theorie vorgesehen, dass neu auch Niederlassungen von ausländischen Anbietern in der Schweiz den hiesigen Strafverfolgungsbehörden Auskunft geben müssen. «Ob das wirklich möglich ist, muss dann allfällig ein Gericht klären», sagt Walder.
Trotz erschwerender Bedingungen: Die Zahl der Personen, die wegen übler Nachrede oder Beschimpfung verurteilt werden, nahm in den vergangenen Jahren schweizweit markant zu. So hat sich die Zahl der Verurteilungen wegen übler Nachrede von 2011 bis 2016 verdoppelt, die Zahl der Beschimpfungen ist im selben Zeitraum um fast drei Viertel gestiegen. Zwar fallen unter diese Straftatbestände auch Angriffe auf der Strasse oder beispielsweise am Telefon – laut Staatsanwaltschaft Walder ist aber davon auszugehen, dass ein grosser Teil des Anstiegs auf die neueren Kommunikationskanäle im Netz zurückzuführen ist.