Die Gewalt-Spirale im Zürcher Fussball dreht sich weiter
So macht es keinen Spass mehr, Fan zu sein

Diverse Attacken zwischen Supportern von GC und dem FCZ haben das Fan-Leben in Zürich nachhaltig verändert. Hoppers-Anhänger und BLICK-Redaktor Andrea Cattani schildert seine Erfahrungen.
Publiziert: 29.11.2017 um 12:06 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 23:35 Uhr
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Tatort Letzigrund: GC-Ultras verbrennen erbeutete FCZ-Banner (23. Juli 2017)
Foto: Sven Thomann

Das nächste Aufeinandertreffen zwischen den Grasshoppers und dem FCZ findet erst im kommenden Februar statt. Einige Anhänger aus beiden Lagern kümmert das aber anscheinend wenig. Sie tragen seit einiger Zeit ihr ganz eigenes Zürcher Derby aus. So zuletzt am Montag: In Zürich-Leimbach werden am Abend rund ein Dutzend Hoppers in einer Turnhalle von Vermummten attackiert (BLICK berichtete). Im Internet ist die Rede von einem Angriff von Fans des Stadtrivalen.

Andrea Cattani: BLICK-Redaktor und Fussball-Fan.
Foto: Marlene Kovacs

Für mich als GC-Fan ist beim Gang durch Zürichs Strassen der Kampf um die Vormachtstellung allgegenwärtig. Die grüne Lampe am Lichtsignal an der Ecke ist zugeklebt. «Locoz» steht dort in grossen Lettern auf einem Sticker. Wenige Schritte weiter prangt ein blau-weisser Kleber auf einer Abfalltonne. «Bulldogs Zürich» ist darauf zu lesen. Solche Reviermarkierungen von FCZ- und GC-Anhängern gibt es in der ganzen Stadt. Und sie wurden markant mehr in den vergangenen Jahren.

Der Fussball ist zur Nebensache geworden

Eine erstarkte Rivalität wäre eigentlich etwas Erfreuliches. Denn jedes Derby lebt von Emotionen. Nichts schmerzt mehr als eine Niederlage gegen den Kontrahenten von «ennet de Gleis». Kein Triumph schmeckt süsser. Aber das Geschehen auf dem Rasen und die Platzierung in der Tabelle sind seit einiger Zeit zur Nebensache geworden. Der Vorfall in Leimbach ist nur der jüngste in einer mittlerweile langen Serie von Übergriffen.

Dass die beiden Lager ihrer gegenseitigen Abneigung mit Fäusten Ausdruck verleihen, ist kein neues Phänomen. Die Nächte vor den Derbys waren schon in meiner Jugend vor 15 Jahren berüchtigt. Und doch hat sich in der jüngsten Zeit etwas verändert. Es genügt ein Blick in die Fankurven der beiden Klubs: Die sogenannten Ultra-Gruppierungen haben bei der Rekrutierung ganze Arbeit geleistet und viele Jugendliche – manche kaum raus aus der Mittelstufe – in ihren Reihen aufgenommen. Der Support im Stadion wurde dadurch spürbar lauter und bunter. Die Kurven sind mittlerweile aber auch ein Schmelztiegel dieser neuen Generation geworden – mit all seinen negativen Facetten.

Rund ein Dutzend GC-Fans wurden in der Turnhalle der Schule Leimbach im Kreis 2 von Vermummten attackiert.
Foto: BLICK

Kein Ehrenkodex mehr

Als Teenager, der neu inmitten der Fans stand, ordnete ich mich damals den Alteingesessenen unter. Es verstand sich von selbst: Wer sich im Namen der Kurve zu viel Mist erlaubt, bekommt es mit den schweren Jungs zu tun. Da kann es auch mal unter den eigenen Leuten knallen. «Selbstregulierung» lautet das oft beschworene Zauberwort der Fans für solche Situationen.

Betrachte ich als Fan heute die Geschehnisse rund um die Anhängerschaften, muss ich die Wirksamkeit dieser Selbstregulierung ernsthaft infrage stellen. Die jungen Ultras scheinen eine neue Auffassung davon zu haben, wie Rivalität gelebt werden soll und wie man sich einen Platz in der Kurve verschafft. Der «Kodex», auf den sich ältere Generationen gerne berufen, existiert nicht mehr. Er fiel dieser Wachablösung zum Opfer.

Wer sich einmal als Fan geoutet hat, muss tagtäglich mit Einschüchterungen, Provokationen und Attacken rechnen – auf beiden Seiten. Im Ausgang werden Leute auf der Strasse ohne Vorwarnung abgepasst und mit Schlägen eingedeckt. Andere werden auf dem Heimweg von der Schule bis zur Haustür verfolgt und bedroht. Das Auto vor dem Haus demoliert.

Man kennt sich in der Szene, weiss, wo sich die anderen Anhänger treffen und wo sie zur Arbeit gehen. Die Lust am Fan-Sein soll dem anderen Lager ganz offensichtlich ausgetrieben werden. Als Resultat wiegeln sich beide Seiten mit immer absurderen Rache-Aktionen gegenseitig auf. Verurteilende Worte der Klub-Bosse interessieren die neue Generation da nur noch wenig. Sie betreiben ihre eigene Politik – auf der Strasse.

Wer will so noch Fan sein?

Schon als junger Fan bekam ich oft gesagt: «Die beiden Klubs stehen für zwei völlig unterschiedliche Haltungen in Zürich.» Dieser Gegensatz wird von den Anhängern auch heute noch gerne zelebriert. Mit ihrem übertriebenen Machtgehabe und den brutalen Übergriffen bewirkt der Kern der beiden Fankurven jedoch, dass man bald nicht mehr zwischen GC und FCZ unterscheidet. Beide werden zu Klubs, mit denen niemand etwas zu tun haben will.

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