Der Gewerkschafter, der 9 Millionen Franken Pensionskassen-Gelder ergaunerte
«Ich hatte 5 Freundinnen gleichzeitig»

Uhren, Luxus-Ferien, Freundinnen, Huren und eine Friedhofskapelle. So will der Gewerkschafter Antonio Giacchetta die Millionen seiner Arbeiter verprasst haben.
Publiziert: 26.10.2010 um 23:02 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:31 Uhr
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Von Viktor Dammann

Es sagt sich so leicht: «Er lebte in Saus und Braus.» Aber was ist Saus? Was ist Braus? Kann man das essen? Oder trinken? Und wie schmeckt es, so ein Leben? Den Beamten von Stadtpolizei und Staatsanwaltschaft in Zürich bot sich jetzt die seltene Gelegenheit, zu diesen Fragen Antworten aus erster Hand zu empfangen.

Ihr Problem: Die Hand gehört einem mutmasslichen Betrüger. Und kein Mensch weiss, ob Gewerkschafter Antonio Giacchetta (47) vielleicht immer noch lügt. Jedenfalls zeigt sich der langjährige Direktor des Zürcher Patronato INCA, einer Beratungsstelle für italienische Arbeitnehmer in der Schweiz, geständig.

BLICK ist es gelungen, Protokolle seiner Vernehmungen einzusehen. Giacchetta sollte eigentlich seine Landsleute in Rentenfragen beraten. Doch mit Blankovollmachten oder gefälschten Unterschriften leitete er ihre Notgroschen auf seine Privatkonten um. In sechs oder sieben Jahren war er rund 9 Millionen Franken reicher – etwa hundert Auswanderer-Familien stürzten ins Elend.

Den Job ist er los. Neun Monate sass er in Untersuchungshaft. Im Augenblick wartet Giacchetta auf seinen Prozess. Es droht ihm eine lange Freiheitsstrafe. Nun ist die Frage, die nicht nur seine verbitterten Opfer am meisten interessiert: Wo ist das ganze Geld geblieben?

Die Erzählungen des Beschuldigten klingen zu schön, um wahr zu sein. «Es liegt kein Rappen und kein Franken mehr herum», beteuert Giacchetta. Rund 7 Millionen will er in Form von Renten an die Geschädigten ausgeschüttet haben, «aus dem eigenen Sack». Man könnte auch sagen: mit dem Geld anderer Geschädigter.

Und der Rest?

Hier nimmt Giacchettas Schilderung die Qualität eines Märchens an: Für 1,5 Millionen Franken will er Luxusuhren gekauft haben. Alles andere, 250 000 Franken pro Jahr, habe er verbraucht.

«Mit 20 000 Franken pro Monat haben Sie sich aber einiges geleistet», fragt der polizeiliche Sachbearbeiter nach. «Vermutlich nicht nur Telefonrechnungen und Krankenkasse!»

«Ja, das stimmt», erklärt Giacchetta. «Nachtessen, Barbesuche, Mietautos. Ferien.»

«Wenn man beispielsweise einen Monat nach Italien fährt, dann lässt man sich verwöhnen.» Auch habe er seiner Freundin einmal eine Halskette für 12 000 Franken gekauft.

Was die «Freundin» in Winterthur nicht ahnte, geht aus dem Verlauf der Vernehmung hervor: «Ich weiss, es tönt unglaublich! Ich muss Ihnen aber sagen, dass ich auch zu anderen Frauen noch eine Beziehung hatte», so der Italiener:

• Von Juni 1999 bis März 2006 war es Ernestine K. (56) aus Zürich.

• Die dritte Glückliche, von Februar 2001 bis Anfang 2008, hiess Elisabeth O. Sie lebt in Deutschland.

• Cosima A.(38) aus Wettingen AG, Dame Nummer vier, liebte er von April 2004 bis Dezember 2008.

• Antoni R. (53) aus dem Zürcher Oberland schloss von Mai 2005 bis Anfang 2009 als Fünfte den Reigen.

Insgesamt habe er den Damen gegen 170 000 Franken ausgehändigt, allein 95 000 davon gingen an Ernestine K.

«Schon möglich», meint Frau K. zu BLICK. «Ich habe ihm rund sieben Jahre die Wäsche und vieles anderes gemacht.» Dann sagt sie: «Ich kann seinen Namen nicht mehr hören – ich musste mehrfach zur Polizei.»

Auch Cosima A. ist nicht mehr gut auf Giacchetta zu sprechen. «Schreiben Sie, dass er ein Arschloch ist. Eine Kollegin von mir hat er um 200 000 Franken geschädigt. Das Schlimme ist, dass ich ihn noch empfohlen hatte. Ich habe sogar seine Parkbussen bezahlt.» Eine richtige Beziehung sei es dennoch nicht gewesen. «Er hatte ja gar nie Zeit. Er musste immer zu Besprechungen.» Man könnte auch sagen: zu einer seiner anderen Gespielinnen.

Wenn man Giacchetta Glauben schenkt, beehrte er neben seinem Damen-Quintett «von Mitte 2004 bis Ende 2007» regelmässig einen Sex-Salon im Zürcher Niederdorf. «Das waren sicher 500 bis 800 Franken pro Woche. Ich ging wöchentlich Dienstag, Donnerstag, Freitag und Samstag über Mittag.» Die 45-jährige Dominikanerin Maria habe ihm speziell gefallen. «Waren Sie verliebt in diese Frau?», hakt der Vernehmungsbeamte nach. Giacchetta trocken: «Nein, nur Sex-Betrieb, keine vernetzten Gefühle.»

Gefühllos aber sei er keineswegs. So habe er neben seinem Vater unter anderem auch seine krebskranke Schwester unterstützt, damit sie sich die Operation leisten konnte. Seiner Mutter habe er 9000 Euro nach Italien geschickt – für die Familienkapelle auf dem Friedhof.

Das Comitato Difesa Famiglie, eine Vereinigung der Geschädigten, glaubt das alles nicht. Marco Tommasini, ihr Präsident: «Ich bezweifle Giacchettas Angaben. Ich schliesse nicht aus, dass er irgendwo noch Geld bunkert.»

Staatsanwalt Hanno Wieser will sich da nicht festlegen: «Bislang liegt mir von etwa hundert zu untersuchenden Fällen ein Drittel der Rapporte vor. Ich kann weder zur genauen Deliktsumme noch zu beschlagnahmten Vermögenswerten etwas sagen.»

Eigentlich hätte es Giacchetta gar nicht nötig gehabt, seine Landsleute zu hintergehen. 1997 gewann er 911 000 Franken im Lotto!

Weder er noch sein Anwalt wollten Stellung nehmen.

*Namen der Redaktion bekannt

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