Schwach, von seiner Krebskrankheit gezeichnet, liegt Toni B.* auf seiner Wohnzimmercouch. Er leidet an einem bösartigen Tumor im Brustfell. «Es ist Asbestkrebs», erklärt der Höllenengel BLICK. Er hängt am Sauerstoffgerät. Auf eine Chemotherapie hat er aufgrund der Unheilbarkeit verzichtet. «Ich habe mich für eine reine Schmerztherapie entschieden.»
Das Gutachten des Zürcher Institutes für Rechtsmedizin (IRM) spricht eine deutliche Sprache: «Die verbleibende Überlebensspanne dürfte nur noch eine kurze Zeit (geschätzt in Monaten) betragen.» Einvernahmen, maximal 30 Minuten, seien nur noch an seinem Wohnort im Beisein einer medizinischen Hilfsperson möglich.
Doch Bundesstaatsanwältin Lucienne Fauquex (49) ist das egal. Sie nahm zum Gutachten nicht einmal Stellung. Was sie weiter ermitteln will, bleibt auch darum rätselhaft, weil es den Bundesbehörden in fünf Jahren nicht gelungen ist, im «Fall Hells Angels» über das Stadium der Voruntersuchung hinauszukommen. Eine Anklageerhebung ist nicht abzusehen, geschweige denn ein Prozess.
Ein medizinisch attestiertes Todesurteil
Und sicher, im wahrsten Sinn todsicher, ist, dass Toni B. nie vor einem irdischen Richter stehen wird. Das hat auch das Untersuchungsrichteramt eingesehen und verzichtet auf weitere Befragungen von Toni B. Nur die Bundesanwaltschaft hält am unergiebigen Verfahren fest. Toni B. empört: «Die Bundesstaatsanwältin lässt mich nicht einmal in Frieden sterben!»
Jetzt hat er ihr einen achtseitigen Brief geschickt. Darin steht: «Ich weiss nicht, was Sie genau wollen. Sie haben ein medizinisch attestiertes Todesurteil von der besonders grausamen Art in den Händen, dessen Vollzug zudem in vollem Gange ist.»
Und: «Ich verlange kein Mitleid noch Mitgefühl für mein elendiges Abkratzen. Ich erbitte mir auch keinen Gnadenakt. Das ist nicht der Stil der Hells Angels. Ich verlange ganz einfach mein Recht auf einen würdigen Tod. Stellen Sie dieses unsägliche, bösartige Verfahren wegen organisierter Kriminalität, das wie Feuer in mir brennt, endlich ein.»
Erfolglose Bundesanwaltschaft
Tatsächlich schafften es Fauquex und ihre zwei Vorgänger nicht, Toni B. und seine 16 Kollegen als «kriminelle Organisation» anzuklagen.
Einzelnen Hells Angels werden Hanfhandel, Körperverletzung Förderung der Prostitution vorgeworfen.
Doch Nationalrat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch kommt in einem Gutachten zum Schluss, dass der Tatbestand der organisierten Kriminalität bei den Hells nicht erfüllt ist. Selbst dann wenn ihnen die einzelnen Tatbestände nachgewiesen werden könnten.
Der Zuercher Rechtsanwalt Bruno Steiner hat die Bundesanwaltschaft sogar angezeigt. Sie hätten ohne einen genügenden Anfangsverdacht unter anderem die Telefone der Hells Angels abgehört. Deshalb seien die daraus erfolgten Erkenntnisse gar nicht verwertbar, da die angeordneten Überwachungsmassnahmen illegal gewesen seien.
Die Ermittler sind offenbar zunehmend verzweifelt: Im Frühling beantragte die Bundesanwaltschaft gar, gegen einen Geschäftspartner der Höllenengel ermitteln zu dürfen. Dummerweise entging ihr dabei, dass dieser bereits auf dem Friedhof lag.
Dort wird wohl auch Toni B. spätestens in ein paar Monaten sein. Er sagt: «Vor dem Tod habe ich keine Angst. Nur dass man mich nicht in Frieden sterben lässt, macht mich unglaublich wütend.» Und er fordert auch seine beschlagnahmte Harley zurück: «Sie soll, bevor ich gehen muss, noch einmal vor meiner Türe stehen, dort, wo sie immer stand.»
Dies kümmert die Bundesanwaltschaft nicht: «Verhandlungsunfähigkeit führt grundsätzlich nicht zur Einstellung eines Verfahrens.»
*Name der Redaktion bekannt