Es war eine hochdramatische Kettenreaktion. Als ein Lieferwagenfahrer vor drei Jahren durch den Hardwald von Bülach ZH in Richtung Eglisau ZH fuhr, blickte er zu einem Streifenwagen, der wegen eines Unfalls am Strassenrand abgestellt war. Zu spät erkannte der Fahrer, dass die Kolonne vor ihm ins Stocken geraten war. Er knallte in das Heck eines vor ihm stehenden Ford Kuga.
Am Steuer des Ford sass Nenad T.* (42), auf dem Beifahrersitz seine hochschwangere Frau Sanja T.* (†38). Der Ford wurde in das vor ihm fahrende Auto geschoben und dann auf die Gegenfahrbahn geschleudert. Ein entgegenkommender LKW knallte mit rund 70 km/h in die Beifahrerseite. Sanja hatte keine Chance: Sie starb noch auf der Unfallstelle. Auch ihr Baby, das Tara hätte heissen sollen, konnte nicht mehr gerettet werden.
Die werdenden Eltern waren unterwegs, um eine Babybadewanne zu kaufen. Sanja T. war bereits zwei Tage über dem Geburtstermin. Der Lieferwagenfahrer muss sich am Freitag in Bülach vor Gericht verantworten.
«Ich träumte oft vom roten Lastwagen»
Der tragische Sommertag von Ende Juni 2017 veränderte viele Leben. Vor allem das von Sanja T.s Ehemann und jenes ihrer Eltern.
«Der Himmel war blau», erzählt Branko Ivanovic (68), der Vater der Verstorbenen. «Kurz nach Mittag starb meine Tochter und unsere ungeborene Enkelin. Seither ist nichts mehr, wie es war.» Die Trauer sei immer noch so gross wie am ersten Tag. Er vermisse seine Tochter so sehr.
Auch Witwer Nenad T. kann das Geschehene nur schwer verarbeiten. Ihm ging es lange Zeit so schlecht, dass er Psychopharmaka und Schlafmittel nahm. «Ich träumte oft vom roten Lastwagen, wie er auf uns zufährt.» Auf seinen Rücken liess er sich zwei riesige Engelsflügel tätowieren.
Papa glaubt an Justizfehler
Der Unfall entfachte einen bitteren Zwist innerhalb der Familie. Es kam zum Bruch zwischen den Schwiegereltern und Nenad T., deren Beziehung schon vorher angespannt war.
Branko Ivanovic ist überzeugt: Sein Schwiegersohn hat seine Tochter auf dem Gewissen. Ihn empört, dass nicht Nenad T., sondern der Lieferwagenfahrer am Freitag auf der Anklagebank sitzen wird. Sein Vorwurf: Nenad habe zu stark gebremst. Jener Teil des Verfahrens, der sich gegen den Schwiegersohn richtete, wurde letzten Frühling eingestellt. «Ein Justizirrtum! Meine Argumente wurden nicht angehört», sagt Ivanovic. «Für mich ist er der Hauptschuldige.»
Schwiegersohn soll zu stark gebremst haben
Die Wut auf Nenad T. frisst ihn, seine Frau und seine beiden Söhne fast auf. «Er transportierte ja keine Kartoffeln, sondern eine hochschwangere Frau. Wieso bremst man dann so stark? Klar, dass der Hintermann reinfährt.» Ivanovic ist sich sicher: «Ihre Ehe war sehr schlecht. Und er hat uns gedroht, dass wir das Kind nie sehen würden – das hat er nun geschafft. Zudem hat er den Unfall auch provoziert, um finanziell davon zu profitieren.»
So bleibt der Ehemann auf der Trauertafel in Bülach unerwähnt. Sanja Ivanovic wird die Verstorbene genannt – der Nachname ihres Mannes, den sie trug, ist nicht aufgeführt. «Die Tafel haben schliesslich wir bezahlt, genauso wie die Beerdigung in Montenegro», sagt der Vater.
Grabstein ohne Name des ungeborenen Mädchens
Aus der Sicht von Nenad T. klingt die Geschichte ganz anders. «Ich werde von Sanjas Familie bedroht und beschuldigt. Dabei bin ich es ja, der Frau und Kind verloren hat.» Die Ehe sei gut gewesen – bis auf die dauernde Einmischung seiner Schwiegereltern. «Die Vorwürfe, die sie mir seit dem Unfall machen, sind absurd.»
Der Serbe fühlt sich von der Familie seiner verstorbenen Frau hintergangen. «Ich bin ihnen sogar noch entgegengekommen, dass sie Sanja in Montenegro beerdigen dürfen. Und dann schrieben sie auch dort den falschen Nachnamen auf den Grabstein. Und Tara ist gar nicht aufgeführt.»
Die Tafel im Hardwald wurde ebenfalls ohne sein Wissen errichtet. «Eines Tages war der Zaun aufgeschnitten und sie stand dort.» Er besuche den Unfallort nur nachts. «Sonst treffe ich noch Sanjas Familie. Und wer weiss, wozu die fähig ist.» Alle Blumen oder Engel, die er aufstellt, würden entfernt. «Aber ich trage meine Frau und meine Tochter im Herzen und auf der Haut – das kann mir niemand nehmen.»
* Name der Redaktion bekannt