Auch gestern Samstag suchten Taucher im Vierwaldstättersee weiter nach Jessica (†11) und Nils (†6 Monate) – erfolglos. Nur den Nuggi des kleinen Buben fanden die Retter. Die Kinder ertranken am Freitag vor einer Woche in den Fluten des Gerlibachs (siehe Box rechts). Doch was genau geschah in den Stunden vor ihrem Tod? Und was führte zu dem Drama?
Freitag, 17. Juli. Nachmittag. Eine Nachbarin beobachtet, wie Esther S. (46) mit Tochter Jessica und den beiden Ferienkindern Rahel (4) und Nils die Wohnung verlässt. Es regnet in Strömen. Die Mutter trägt Minirock und Cowboystiefel. Sie schiebt den Kinderwagen. Jessica hält Rahel an der Hand. Als die vier in Grafenort NW den Zug nach Luzern besteigen, sind alle durchnässt.
Nach einer Schifffahrt auf dem See schickt Esther S. die drei Kinder auf den 19.11-Uhr-Zug zurück nach Grafenort. Jessica ist mit Rahel und Nils allein. Kurze Zeit später passiert das Drama.
Aber wo steckte die Mutter? SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Esther S. vergnügte sich mit ihrer Internet-Liebe, während die Kinder durch den Regen marschierten und schliesslich in den Fluten versanken. Der zuständige Verhörrichter Alexandre Vonwil will die Informationen weder «bestätigen noch dementieren». Er lässt aber durchblicken, dass er den Bekannten der 46-Jährigen befragen will.
Hoch oben im Engelbergertal kann immer noch niemand fassen, was geschehen ist. Zum Beispiel Jessicas beste Freundin Silvia (12) und deren Mutter Manuela M.* (40). Silvia streicht zärtlich über ein Bild der Toten. Mit Tränen
in den Augen sagt sie: «Wir werden nie mehr zusammen spielen können.»
Die Nacht vor dem Unglück, nachdem ihre beiden Familien in der Badi gewesen waren, verbrachte sie bei Jessica. Ihre Mutter Manuela hat das Drama vom nächsten Tag hautnah miterlebt: Samstagmorgen um 1.15 Uhr klingelte ihr Telefon. «Esther wollte wissen, ob Jessica bei mir sei. Da wusste ich, dass etwas Schreckliches passiert sein musste», so die Mutter. Am Morgen dann die schreckliche Bestätigung: «Im Radio hörte ich, was am Gerlibach passiert war.»
Manuela kann eins und eins zusammenzählen. Sie bestätigt: Esther hat vor einigen Wochen im Internet einen Mann aus dem Solothurnischen kennengelernt. Der schien es ihr angetan zu haben: «Wenn er sich meldete, liess sie alles stehen und liegen.» War Esther am Freitag wieder bei ihm – wie jeden Freitag? «Ich bin mir 100 Prozent sicher», sagt Manuela.
Sogar an Jessicas erstem Ferientag vor zwei Wochen verbrachte ihre Mutter die Zeit lieber mit ihrem neuen Freund.
Manuela holt tief Luft: «Das mit Nils hätte auch meinem Baby Marina passieren können». Das kleine Mädchen war letzten Sommer allein bei Esther S. in den Ferien.
Babys, immer wieder Babys: Verschiedene Personen schildern SonntagsBlick, dass Esther S. einen regelrechten Baby-Tick hatte. So oft es ging, habe sie sich bemüht, fremde Kinder zu hüten. Seit sie unterbunden ist, kann sie selbst keine mehr kriegen. Um das Vertrauen fremder Mütter zu gewinnen, brachte sie Geschenke mit und zeigte sich hilfsbereit. So etwa, als sie um Marina zum Hüten abzuholen jeweils 90 Minuten den Berg hinauflief. Dass sie IV bezog, erziehungsunfähig war und einen Beistand hatte, verschwieg sie.
Dass Esther S. sich mit ihrem Freund vergnügte, während die Kinder ertranken, wird Manuela der früheren Freundin nie verzeihen. Sie hofft, dass man die Leichen bald findet – um wenigstens Abschied nehmen zu können.
Gegen Esther S. läuft inzwischen ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung und Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Sie wird in einer psychiatrischen Klinik stationär behandelt.
* Namen der Redaktion bekannt