Der Alarm erreicht Leutnant Jona Amrhein (21) kurz nach 8 Uhr: Zwei Bergsteiger sind am Klettersteig Fürenwand bei Engelberg OW abgestürzt. Sie leben noch, sind aber schwer verletzt und bewegungsunfähig.
Der junge Offizier, der in den letzten Tagen höchstens eine halbe Stunde am Stück geschlafen hat, muss eine schwierige Entscheidung treffen: Wen schickt er los, damit möglichst schnell Hilfe vor Ort ist? Mit welcher Ausrüstung?
Amrhein wirft einen Blick auf die Führungswand im Kommandoposten. Hier sind seine Leute mit ihrem jeweiligen Standort aufgeführt, aber auch, wie lange sie bereits im Einsatz stehen. Sein Entscheid: Ein Voraustrupp soll Erste Hilfe leisten und die Lage erkunden. Wo genau sind die Bergsteiger abgestürzt? Wie schwer sind ihre Verletzungen? Amrhein blickt nach draussen. Der Himmel ist wolkenverhangen, es regnet in Strömen. Unterstützung von einem Heli kann er kaum erwarten. «Das Wetter ist zu schlecht zum Fliegen.»
Bei solchen Wetter- und Geländeverhältnissen kommen die Gebirgsspezialisten der Schweizer Armee zum Einsatz. Die Elitetruppe fürs Gebirge unterstützt zivile Behörden wie Polizei oder die Alpine Rettung Schweiz, wenn besonders schwierige Hilfseinsätze oder Bergungen zu leisten sind.
Berufsmilitärs kommen zur Hilfe
Stationiert ist die Truppe in Andermatt UR – ihre Basis mitten in den Alpen. Der Chef, Oberst im Generalstab Marco Mudry (44), hat sogar beim Schlafen das eingeschaltete Handy neben sich – ein Hilferuf kann ihn jederzeit erreichen: «Kommen zivile Retter an ihre Grenzen, etwa bei einem langen Rettungseinsatz am Wochenende, dann unterstützen wir sie.» Insgesamt 350 Mann unterstehen Mudrys Kommando. Dazu gehören Berufsmilitärs und jeweils 50 Rekruten, die ihre Ausbildung in Andermatt absolvieren und anschliessend der Gebirgsspezialistenabteilung oder dem Gebirgsbereitschaftsverband zugeteilt werden. Auch Mudry stellt sich häufig die Frage, die Amrhein inzwischen beantwortet hat: «Kommt ein Unterstützungsgesuch der zivilen Behörden, gilt es zu entscheiden: Welche Leute kommen für diesen schwierigen Einsatz infrage?»
Der Voraustrupp erreicht den Fuss des Klettersteigs. Die Männer tragen Goretex-Jacken, doch die sind längst durchweicht, wenn sie hoch zum Unfallort blicken, peitscht ihnen der Regen seitwärts ins Gesicht. Nur der untere Teil der Wand ist sichtbar, weiter oben verschwindet die 600 Meter hohe Felswand im Nebel. Die Gruppe klettert etwa 150 Meter hoch, den ersten Teil des Klettersteigs. Dann ist sie bei den Abgestürzten. Einer der beiden ist von einem Metalltritt durchbohrt worden und blutet stark. Der zweite Verunglückte kann nach dem Aufprall nicht mehr laufen, ist aber nicht so schwer verletzt.
Die Ausbildung zum Gebirgsspezialisten dauert 18 Wochen – und ist hochbegehrt: Für die 50 Plätze in der RS bewerben sich jeweils doppelt so viele Stellungspflichtige. «Darunter die Richtigen zu finden, ist gar nicht so einfach», sagt Oberst Mudry.
Kletterer und Skifahrer auf Topniveau
Viele Rekruten, die sich für die Ausbildung interessieren, seien sehr gute Kletterer oder sehr gute Skifahrer. Bloss: «Was wir brauchen, sind gute Allrounder, Leute die sich im Sommer wie im Winter sicher in den Bergen bewegen können.» Bei einer zweitägigen Prüfung werden gebirgstechnische Kenntnisse und Ausdauer geprüft. «Den Rekruten alles nötige Wissen in 18 Wochen beizubringen, wäre gar nicht möglich», sagt der Chef Fachausbildung, Hauptadjutant Peider Ratti.
Inzwischen ist am Klettersteig Verstärkung eingetroffen. Die Verletzten sind erstversorgt, ihre Blutungen gestoppt. Doch der Regen strömt unaufhörlich weiter, verwandelt die hohe Felswand in einen Sturzbach. Rund ein Dutzend Soldaten sind nun vor Ort, ausgerüstet mit Bahren und Sicherungsmaterial, darunter mehrere Seile.
Bevor der schwerer Verletzte abgeseilt werden kann, muss die Metallstange, die sich durch seinen Körper gebohrt hat, mit einer Trennscheibe abgesägt werden. Anschliessend lassen die Soldaten die beiden Männer mithilfe eines Flaschenzugs ab. Am Fuss der Wand geht es für den einen mit der Jelk-Bahre weiter, die mit einem Rad versehen ist. Den zweiten Verunglückten nimmt ein Soldat huckepack und seilt sich mit ihm entlang der Steilwand ab.
Wenn zivile Retter im Hochgebirge an ihre Grenzen kommen, dann werden die Gebirgsspezialisten der Schweizer Armee zu Hilfe gerufen. Zuletzt wurde am Schwyzer Mythenmassiv ein junger Mann vermisst. Seine Überlebenschancen tendierten gegen null, zudem mussten die Freiwilligen der Alpinen Rettung wieder ihrer Arbeit nachgehen. Daher haben die Gebirgsspezialisten die Suche weitergeführt. Der Vermisste wurde schliesslich gefunden – leider tot.
Die Gebirgsspezialisten sind das Kompetenzzentrum der Armee für alpine Einsätze. Die Truppe leistet auch im Auftrag ziviler Behörden wichtige Dienste – dabei kommt sie vor allem für Suchaktionen in schwierigem Gelände und bei schlechtem Wetter zum Einsatz. Pro Jahr werden in Andermatt UR zwei Rekrutenschulen mit je 50 Personen durchgeführt. Das Angebot ist sehr beliebt: Nur etwa die Hälfte der Stellungspflichtigen, die zu den «Geb Spez» möchten, besteht die Eignungsprüfung.
Die Gebirgsspezialisten sind das Kompetenzzentrum der Armee für alpine Einsätze. Die Truppe leistet auch im Auftrag ziviler Behörden wichtige Dienste – dabei kommt sie vor allem für Suchaktionen in schwierigem Gelände und bei schlechtem Wetter zum Einsatz. Pro Jahr werden in Andermatt UR zwei Rekrutenschulen mit je 50 Personen durchgeführt. Das Angebot ist sehr beliebt: Nur etwa die Hälfte der Stellungspflichtigen, die zu den «Geb Spez» möchten, besteht die Eignungsprüfung.
Die beiden Verletzten aus dem Klettersteig sind mittlerweile geborgen. Leutnant Amrhein, der nun auch vor Ort ist, zeigt sich zufrieden mit der Arbeit seiner Leute. Für ihn und die Rekruten der Gebirgsspezialisten RS 15/2 geht dieser Test im Rahmen der Durchhalteübung am Ende ihrer RS weiter. Kommandant Mudry: «Damit sie bereit sind, wenn mein Telefon klingelt.»