Jeden Morgen das gleiche befremdliche Ritual: Kurt Hosner (61) steht auf, läuft zum Kühlschrank und öffnet ein Bier. Er ext die Büchse, trinkt sie auf leeren Magen. «Das beruhigt meine Nerven, nur so funktioniere ich», sagt er. Ein Tag ohne? Für ihn undenkbar. Sechs bis sieben 0,5-l-Dosen trinkt er täglich. Das Tell-Bier von Coop – am liebsten auf Vorrat: «Meine kosten 75 Rappen das Stück.»
Der Luzerner ist Alkoholiker. Seit Jahren bestimmt die Sucht sein Leben. Wann seine Abhängigkeit angefangen hat, weiss er nicht mehr genau. «Es kam schleichend.» Nur eins weiss er mit Sicherheit: «Wenn ich neu anfangen könnte, würde ich das Saufen lassen.»
Alles verloren: Job, Familie, Lebensmut
Wegen des Alkohols verlor Hosner Job und Perspektive. Das harte Leben hinterliess Spuren: tiefe Falten, langes verfilztes Haar, schwielige Hände. Seine abgetragene Lederjacke komplettiert das Bild. Er lebt von der Hand in den Mund, hat aber ein Dach über dem Kopf. Dank einer kleinen IV-Rente kann er sich eine 2½-Zimmer-Wohnung in der Agglomeration leisten.
Die Sucht traf Hosner schon als Bub – indirekt. «Mein Vater griff jeden Tag zur Flasche», sagt er. «Er war Schichtarbeiter und trank, sobald er nach Hause kam.» Die Mutter dagegen habe nichts angerührt. Er stellt sein Bier ab und überlegt: «Vermutlich habe ich die Sucht vom Vater geerbt.»
Heute hat er keine Familie mehr. Die Eltern und seine Ehefrau Mariella (†61) sind in den letzten Jahren gestorben. Auch sie war Alkoholikerin. Mit der Zeit machte ihr Herz nicht mehr mit. Kinder hatten sie keine. «Eigentlich habe ich noch zwei Brüder», erzählt er. Doch: «Die wollen nichts von mir wissen.»
Schlechte Noten, dennoch 30 Jahre auf dem Bau
Hosner wuchs in Luzern auf. Bis zur 7. Klasse absolvierte er die obligatorische Schule. Dann musste er wegen schlechter Noten auf die Hilfsschule. «Danach fand ich keine Lehre», sagt er. «Also fing ich direkt auf dem Bau an.» Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Er betont nicht ohne Stolz: «30 Jahre arbeitete ich als Eisenleger. Die körperliche Arbeit machte mir Freude, der Lohn war gut.»
Damals fing er an, tagsüber zu trinken. «Auf der Baustelle hatten alle ihr Bier. Da war es ja noch erlaubt.» Doch der exzessive Konsum forderte seinen Tribut. «Mit der Zeit konnte ich keine Leistung mehr erbringen», sagt er. Heisst konkret: Er kam zu spät, machte Fehler und wurde langsam. Hosner verlor Job um Job. «Die Chefs sagten jeweils, entweder du oder der Alkohol.»
Erfolglose Entzugsversuche
Drei Mal machte er einen Entzug. Der längste war ein sechs Monate langer Aufenthalt in der Klinik St. Urban in Pfaffnau LU. Gebracht hat es nichts. «Gleich nach der Entlassung holte mich die Sucht wieder ein», sagt er. Vor sechs Jahren lief er im Suff auf die Strasse. «Ein Auto rammte mich», sagt er. «Das war ein Tiefpunkt für mich. Danach trank ich zwei Monate nichts.»
Doch ohne Alkohol geht es nicht – bis heute. «Ich habe Entzugserscheinungen, bin nervös, zittere, kann nicht schlafen.» Entsprechend bescheiden sind seine Zukunftswünsche: ein schönes Essen an Weihnachten, mit Freunden zum Kegeln gehen. Der Alkohol wird auch dann sein Begleiter sein, denn Illusionen hat er keine: Die Sucht hat Kurt Hosner fest im Griff.