Wiler Mädchenschule
«Das Urteil war ein Schock»

Das Bundesgericht hat die Sekundarschule St. Katharina in Wil SG als diskriminierend eingestuft. Wie soll es nun weitergehen? Und wie geht es den Schülerinnen? Ein Besuch vor Ort.
Publiziert: 02.02.2025 um 12:09 Uhr
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Aktualisiert: 02.02.2025 um 13:29 Uhr
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Die Sekundarschule St. Katharina besuchen ausschliesslich Mädchen.
Foto: Kim Niederhauser

Auf einen Blick

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Die Glocke läutet. Grosse Pause an der Sekundarschule St. Katharina – oder «Kathi», wie sie liebevoll genannt wird – in Wil SG. Es ist der zweite Tag nach den Winterferien, ein neblig-grauer Januarmorgen. Schülerinnen rennen durch die Gänge, kreischen, lachen. Ein paar wenige von ihnen trotzen der Kälte auf dem Pausenplatz. Von Buben keine Spur, denn das Kathi ist eine reine Mädchenschule. «Manchmal werde ich gefragt, ob es nicht voll langweilig ist ohne Buben», sagt eine der Schülerinnen. «Aber wir haben es megalustig, auch wenn wir alles Mädchen sind.» Eine ihrer Freundinnen fügt hinzu: «Am Kathi muss sich niemand schämen oder verstellen, jede kann so sein, wie sie ist.» Mit Jungs wäre das anders, glaubt sie.

Rund 150 Mädchen aus Wil und der Umgebung besuchen die Schule – auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter (61) gehört zu den Absolventinnen. Trotz grossen Andrangs dürfte mit der reinen Mädchenschule bald Schluss sein. Denn diese sei diskriminierend. Zu diesem Urteil kam das Bundesgericht vor rund zwei Wochen. Zudem entschied es, dass der Betrieb nicht mit dem Gebot der konfessionellen Neutralität von öffentlichen Schulen vereinbar sei. Beim Kathi handelt es sich zwar um eine Privatschule, aber sie hat einen Leistungsvertrag mit der Stadt Wil. Dem Urteil geht ein jahrelanger Rechtsstreit voraus.

Es ist ein Urteil, das landesweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Und das die Frage aufwirft, wie eine zeitgemässe Schule zu sein hat.

Die Schülerinnen auf dem Flur.
Foto: Kim Niederhauser

Das Schicksal der Schule, es ist Thema auf den Gängen. «Wir haben viel darüber geredet, was aus uns wird», sagt eine der Schülerinnen. «Unsere grösste Angst war, dass wir das Kathi nicht fertig machen können.» Am Vortag hatte die Schulleitung sie informiert, dass sie die Schule abschliessen können.

Bei den Lehrerinnen und Lehrern, die im Pausenraum um einen grossen ovalen Holztisch sitzen, stösst das Urteil des Bundesgerichts auf Unverständnis. Zum Beispiel bei Musiklehrer Michael Sarbach, der seit 16 Jahren an der Schule unterrichtet. «Glaube wird einem am Kathi nicht aufgedrängt», sagt er. «Wenn das der Fall wäre, würde ich hier nicht arbeiten.» Buchhalterin Monika Hürsch pflichtet ihm bei: «Das Gegenteil ist der Fall, hier gibt es eine ganze Palette an Kulturen, das Zusammenleben funktioniert gut.»

Viele Religionen und Kulturen

«Peace», «Pace», «Paz»: Frieden ist in Dutzenden von Sprachen in verschiedenen Farben auf Kärtchen geschrieben, die im Gang im ersten Stock an der Wand hängen. Ein Mädchen mit Kopftuch huscht vorbei. «Die Religion der Schülerinnen ist nicht das Wesentliche, sondern sie anzunehmen, wie sie sind. Mit ihren Stärken und Schwächen, Interessen und Bedürfnissen», sagt Schulleiterin und Deutschlehrerin Corinne Alder (50) und nimmt in einem hellen Sitzungszimmer mit holzvertäfelten Wänden Platz. Sie zählt die verschiedenen Glaubensrichtungen auf, die am Kathi vertreten sind, darunter: Islam, Hinduismus und Buddhismus.

Schulleiterin Corinne Alder und Stiftungsratsmitglied Roman Gehrer wissen noch nicht, wie es weitergehen soll.
Foto: Kim Niederhauser

Alder ist selbst am Kathi zur Schule gegangen und unterrichtet hier seit 26 Jahren. Zurzeit steht bei ihr Debattieren auf dem Programm. Die Schülerinnen sollen lernen, Argumente zu sammeln, sich ein Bild von etwas zu machen. Etwas, was das Bundesgericht nicht zur Genüge getan habe, wie sie findet. «Hier ist ein Urteil gefällt worden, ohne wirklich hinzuschauen oder nachzufragen.» Neben Alder sitzt Roman Gehrer (46), Mitglied des Stiftungsrats, der für die strategische Ausrichtung der Schule verantwortlich ist. Eine seiner Töchter ging ans Kathi, die andere besucht aktuell eine der gemischten Schulen in Wil. «Das Urteil war ein Schock», sagt er. «Aber Aufgeben ist keine Option.»

Vereinzelte Kruzifixe

In einigen Schulzimmern hängen noch Kruzifixe an den Wänden. Ansonsten ist vom katholischen Erbe der Schule in den Räumlichkeiten nicht mehr viel zu erkennen. Gleich neben dem Schulgebäude liegt das Dominikanerinnenkloster St. Katharina. Das Kloster, das die Mädchenschule vor über 200 Jahren gründete. Es war eine Zeit, in der Klostergemeinschaften eine wichtige Rolle in der Bildung von Mädchen einnahmen, von denen dazumal viele nicht zur Schule gingen. Seit 2012 wird das Kathi aber von einer Stiftung geführt. Nonnen unterrichten hier schon lange keine mehr.

Vor allem das Argument, dass die Schule gegen die konfessionelle Neutralität verstosse, kann Alder deshalb nicht nachvollziehen. «Man könnte meinen, dass wir jede Woche eine Wallfahrt machen oder einen Gottesdienst veranstalten.» Gottesdienste gibt es drei pro Jahr. Hinzu kommt eine Pilgerwanderung in der ersten Schulwoche und eine «Kunst- und Kulturwoche» in Assisi (I). Sie erzählt von einem Fall, in dem ein Gottesdienst auf Ramadan gefallen sei. «Ein paar Schülerinnen hatten gefragt, ob sie ein Getränk mitnehmen können. Selbstverständlich haben wir das erlaubt.» Die Schülerinnen könnten sich auf Wunsch auch von den Anlässen dispensieren lassen. «In den 26 Jahren, in denen ich unterrichte, ist das äusserst selten vorgekommen.»

Wertevermittlung ist am Kathi wichtig.
Foto: Kim Niederhauser

Es sind sogenannte «wertebildende» Anlässe. «Werte». Es ist ein Wort, das die Schulleiterin an diesem Morgen mehrmals wiederholen wird. Denn das Kathi definiert sich unter anderem als «Werteschule». Dieses Jahr liegt der Schwerpunkt auf dem Thema «Vertrauen schenken». Die Werte seien zwar nicht auf eine bestimmte Konfession ausgerichtet, «aber klar basieren sie auf einem christlichen Fundament», sagt Alder.

Neben den Werten spielt auch die Musik eine wichtige Rolle am Kathi, das ein musisches Profil anbietet. Immer wieder klingt im Hintergrund Gesang aus den Klassenzimmern. In einem grossen Musikzimmer sitzen die Schülerinnen jetzt auf Bänken. An den Wänden hängen Schwarz-Weiss-Fotos von Nina Simone oder Tina Turner, Gitarren und Ukulelen. Die Schülerinnen singen «Free Fallin’» von Tom Petty and the Heartbreakers. Die Musiklehrerin begleitet sie auf dem Klavier. Auch in der kleinen Pause geht das Singen weiter. Ein paar Schülerinnen brechen spontan in einen mehrstimmigen Chor aus. «What if God was one of us?», singen sie. «Was, wenn Gott einer von uns wäre?»

Musikunterricht am Kathi.
Foto: Kim Niederhauser

Nach dem Bundesgerichtsentscheid sind bei der Schulleitung und der Stiftung viele Fragen offen. Corinne Alder macht ein Beispiel: «Darf man noch Weihnachtslieder singen oder Weihnachtsgeschichten vorlesen?» Und die Weihnachtsferien: Sollten die in «Jahresendferien» umbenannt werden? «So verbannen wir doch unsere westliche Tradition», findet Alder.

Ungewisse Zukunft

Jetzt heisst es am Kathi: Warten auf das schriftliche Urteil des Bundesgerichts. Dann werde man weiterschauen. Punkto Gleichstellung ist man jedoch offen. Roman Gehrer vom Stiftungsrat stellt klar: «Wir wollen auch eine Knabenschule.» Eine solche wäre eigentlich – zusammen mit einer Realschule für Mädchen – geplant gewesen. Doch das Stadtparlament hatte den Vertrag, den Stadtrat und Stiftung gemeinsam ausgearbeitet hatten, im November knapp abgelehnt.

Deutschlehrerin Patricia Caspari sagt, dass ihre Schülerinnen offen für Veränderungen seien.
Foto: Kim Niederhauser

Auch die Schülerinnen sind der Idee gegenüber nicht komplett abgeneigt. Deutschlehrerin Patricia Caspari schätzt es so ein: «Die Mädchen geniessen das Kathi zwar so, wie es ist, aber sie sind offen für Veränderungen.» In ihrem Klassenzimmer haben die Schülerinnen sich gerade für eine Gruppenarbeit aufgeteilt, sitzen um Tische und diskutieren. Auf Knaben angesprochen, sagt eine von ihnen: «Es wäre eine grosse Umstellung. Anders, aber nicht schlecht.» Ihre Mitschülerinnen nicken. Und dann sagt eine ihrer Klassenkameradinnen: «Es wäre cool, aber die Klassen würde ich nicht mischen wollen.» Dann wäre das Kathi einfach nicht mehr das Kathi.

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