Es ist raus. Ein Hiesiger! Ein Feuerwehrmann! Vor einer Woche nahm die Polizei einen Verdächtigen fest, nach 13 Bränden innerhalb von zwei Monaten. In einem sozial so eng verflochtenen Dorf, wo man seit Jahrzehnten Garten an Garten wohnt, fiel sofort auf, dass einer fehlt: einer aus Kriegstetten. «Katastrophe» – sagt nun ein Rentner in leuchstiftgelber Montur bei einem Stopp mit seinem E-Bike. Mehr bringe er momentan nicht heraus. Im Wasseramt ist man sprachlos.
Im «Kreuz» wird spekuliert
Dabei hofften sie hier bis zuletzt. Mittwochabend vor der Festnahme in Kriegstetten, wie immer vor einem freien Tag und wenns nicht Katzen hagelt, sitzen an der Bar im Garten des «Kreuz» die Männer vor ihrer Feldschlösschen-Stange, im Hintergrund dudelt «Love the Way You Lie» von Eminem und Rihanna. Das Thema ist gesetzt: das Feuer. Am Warum studiert hier keiner mehr herum, man hat sich dem Schicksal ergeben. Am Wer dafür umso mehr.
Vielleicht war der «Fotzelcheib» doch ein Auswärtiger. «Einer aus dem Bernbiet», werweisst einer in Überhosen. «Oder ein Umwelt-Spinner, der noch nie gearbeitet hat», dröhnt es vom Tresennachbarn im karierten Kurzarm-Hemd.
Im «Kreuz» steht fest: Das Böse mag überall wuchern, aber nicht hier. Und doch kann keiner leugnen: Das Feuer macht etwas mit den Dörfern. Ihre Bewohner liegen auf der Lauer. Machen zu.
Der Ruhrpott der Schweiz
Seit Wochen beherrschen die Brände die Schlagzeilen. Plötzlich ist eine Gegend auf dem Radar aufgetaucht, die die Restschweiz nicht auf dem Schirm hatte: der Bezirk Wasseramt im Kanton Solothurn. Früher eine Art Ruhrpott der Schweiz. Der Kanton lebte von der Industrie. Kriselte es in einem Zweig, pfiff halb Solothurn aus dem letzten Loch. Allein der Niedergang der Uhrenbranche rund um Grenchen in den Achtzigern katapultierte ihn an die Spitze der Arbeitslosenstatistik. Lange galt er als «Krisenkanton». Auch wegen der Fabriken im Wasseramt.
Früher arbeitete man entweder im Stahlwerk der Von Roll in Gerlafingen, in den Werkshallen der Scintilla oder von Sulzer in Zuchwil oder in der Papierfabrik in Biberist. Noch in den Neunzigern kamen zwei Drittel des Schweizer Stahls aus dieser Region. Gäbe es einen Schweizer Bruce Springsteen, käme er von hier.
Heute sind die meisten der Industriekolosse samt Jobs verschwunden. Doch ihre Spuren sind noch da. Trennen das Wasseramt in zwei Teile: den Osten, mit Kriegstetten, Halten, Oekingen, Subingen oder Recherswil, über die sich ein Flickenteppich aus Getreidefeldern, Bauernhöfen und Einfamilienhäusern zieht. Und den Westen, mit Gerlafingen, Derendingen, Biberist oder Zuchwil, wo Platten-Wohnblöcke ganze Quartiere füllen und heute noch Arbeiter mit Eisenbahnwagen rangieren. Was die beiden Teile trennt: der Asphaltstreifen der A1. Und das Image, die «Weltwoche» kürte Gerlafingen vor zehn Jahren zur unattraktivsten Gemeinde der Schweiz. Was sie verbindet: der Industrieschnee im Winter. Und die Autobahnbrücke zwischen Gerlafingen und Kriegstetten.
Stahl, Russ und Lärm
Über diese fährt der Solothurner SP-Ständerat Roberto Zanetti (67) an Auffahrt. In Kriegstetten auf der Terrasse des «Sternen» legt er ein Päckchen Parisienne Verte auf den Tisch, bestellt eine Apfelschorle. Zu Hause wartet ein Stapel Papiere auf ihn, in ein paar Tagen beginnt die Session. «Item, ich will nicht jammern.»
Zanetti ist Gerlafinger, war während der Neunziger Gemeindeammann. Lange Haare, unrasiert, Turnschuhe, Jeans und Che-Guevara-Poster im Büro – er passte nicht ins Bild, das man hier von einem Politiker hatte, doch die italienischen Stahlarbeiter mit Schweizer Ehefrauen wollten ihn, der Italienisch sprach, unbedingt.
Zwischen zwei Zigaretten sagt er nun: «Westlich der Autobahn lag früher das Rückgrat des Kantons.» Zu diesem gehörte die Von Roll. Mit ihr wurde er gross. Sein Vater war im Stahlwerk Schlosser. Er selber arbeitete zwischen Matur und RS kurz im Werk, holte sich in der Fabrikkantine «eine Überdosis Gnagi», sah, wie die Männer mit Gesichtern «voller Metallstaub» ihre «Knochenbrecherjobs» verrichteten. Und begann seine politische Karriere damit, dass er 1972 vor den Fabriktoren Flugblätter für die Waffenausfuhrverbots-Initiative verteilte, weil die Von Roll damals noch Kanonenrohre schmiedete.
Das Stahlwerk durchdrang das Dorf. Donnerte in der grossen Schmitte der tonnenschwere Eisenhammer runter, zitterte halb Gerlafingen. Die Arbeiter, die den Zahltag alle zwei Wochen bekamen, wohnten in firmeneigenen Wohnblöcken. Daneben gab es die sogenannte «Bundesgasse», wo die Kaderleute lebten, die im Monatslohn angestellt waren – so wie jene beim Bund. Oft büezten Vater und Grossvater als Dreher, Giesser oder Stahlkocher, die Mutter in der Buchhaltung, und die Kinder richteten ihren Tag nach der Fabriksirene aus. Zanetti erinnert sich: «Wenn am Mittag das Horn ging, mussten beim Eisenhammer kurz danach alle Autos anhalten, weil Hunderte von Arbeitern mit ihren Velos daherkamen.»
Auch wenn der Staub, der Russ, der Lärm westlich der A1 blieben, strahlten die grossen Fabriken auch ins ländliche Wasseramt aus. Wo die sogenannten «Rucksackburli» herkamen, erzählt Zanetti, die vielen Bauern, die ein Heimetli mit zwei, drei Kühen hatten und jeden Tag mit dem Velo und einem gefüllten Rucksack mit Käse und Brot zur Schicht pedalten.
Die Leute mauern
Genau hier legte ein Brandstifter bis vor kurzem Feuer um Feuer. Ausgerechnet hier, wo Rasenmäher-Roboter in den Gärten manisch ihre Runden drehen. Wo viele Haustüren nicht mal in der Nacht verriegelt sind. Wo die alten Traditionen jeden neumodischen Furz überdauern: das haushohe Maitannli, das die Jungbürger in der Nacht vom 1. Mai zu ihren Ehren aufgestellt haben, ragt stolz in den Himmel. Im Sommer verpulvert die ganze Region Sackgeld und Zahltag an der Krebs-Kilbi. Und in jedem Ort steht ein Hornusserhüttli, aus dem in Recherswil vor Jahren auch schon ein Schlägerkönig hervorging: der Walther René.
Dieser Gegend hat der Kantonsschullehrer Reto Stampfli (52) ein Buch gewidmet, er sagt. «Die Wasserämter sind offene Leute.» Es gebe keine Berge und Täler, wo man sich verstecken könne, die Dörfer lägen frei da.
Das änderte sich während der letzten beiden Monate. Die Feuer töteten etwas ab in den Menschen. Sie zogen eine Mauer hoch.
Die Bauern blieben nun abends zu Hause bei ihrem Vieh. Rentner standen in der Nacht mehrmals auf, gingen einmal ums Haus. Andere patrouillierten die Quartierstrassen auf und ab. Und die Feuerwehrleute, die sonst ein ganzes Jahr lang kaum ausrücken mussten, waren jetzt jedes Wochenende die ganze Nacht lang auf den Beinen. Brauchten ein Careteam. Der oberste Feuerwehrmann im Kanton erklärte dem Lokalradio weshalb. Mit dem Einsatz sei es eben nicht gemacht, das ganze Wochenende sei kaputt. «Und am Montag müssen sie wieder auf der Matte stehen, und jetzt fängt auch noch die Familie an zu reklamieren. Alle sind hässig.»
Auch auf die Presse. Noch vor kurzem posierten die Obergerlafinger Hornusser für die Zeitung vor ihrem Clubhaus, das sie bei Bier und Grillwurst bewachten. Brandopfer berichteten offen von ihrem Verlust. Das ist jetzt anders. Bei den Gemeindepräsidenten, den Feuerwehrkommandanten, vor der Thoma-Metzgerei, beim Müller-Beck – überall tönt es gleich: Kein Kommentar. Die Hornusser sagen einen weiteren Interviewtermin per SMS ab, «die Angst, jemanden so reizen zu können, ist momentan zu gross». Hin und wieder murmelt einer doch etwas vor sich hin, «aber nicht namentlich erwähnen!». Ein früheres Gemeinderatsmitglied poltert: «Der ist ein Arschloch. Für den ist es nur interessant, zu zünseln, wenn er Reaktionen und Lärm hat. Wenn man den Mund hielte und die Sache nicht in der Zeitung an die grosse Glocke hängen würde, wäre er weg.»
Aber nicht aus den Köpfen, dort hat sich der Feuerteufel längst eingenistet. Ist es einer aus Oekingen, das verschont wurde? Ein Feuerwehrmann? Ein Nachbar? Ein Freund, in Gottes Namen? «Das Gschnorr nimmt kein Ende», sagt ein Beizer. Die Leute trauten sich nicht mal mehr, Brennmaterial für den Grill einzukaufen. Roberto Zanetti will nichts Konkretes dazu sagen, nur so viel: «Die Sache schafft ein unglaubliches Misstrauen, gopfertelli.»
Die grosse Enttäuschung
Jetzt, wo die Polizei einen Verdächtigen hat, könnte man aufatmen.
Auf den ersten Blick wirkt alles so wie früher: Die Spitex-Frau radelt auf ihrem E-Bike von Dorf zu Dorf, ein Plakat kündigt die Derendinger Pfingstchilbi an. Doch Vorfreude mag keine aufkommen. Die Leute haben den Kopf voll. Verkriechen sich in ihre Häuser. Nun ist das eingetroffen, was viele befürchtet haben: Hat die Polizei den Richtigen, ist es ein Kriegstetter, aufgewachsen im Nachbardorf. Top integriert im Dorf. In der Musik, in der Feuerwehr, in der Zunft – überall machte er mit. Einer, der dazu noch in der Nähe von Bauer Hänggärtner wohnt, dessen Scheune er an Ostern anzündete – und wo er beim Löschen half.
Ein einziges Interview nur mag der enttäuschte Bauer in diesen Tagen geben. In die Kamera eines Lokalsenders sagt er mit ausdrucksloser Miene: «Er kam nach dem Brand zu mir und gab mir die Hand. Er entschuldigte sich, es tue ihm leid, was mir da passiert sei.» Der Mann sei immer zur Stelle gewesen, wenn man Hilfe brauchte. «Es ist völlig unverständlich.»
Nicht nur für ihn. Die Gegend ist traumatisiert. Angesprochen auf das Thema, schiessen vor der Metzgerei einer Frau Tränen in die Augen. Eine andere klammert sich vor dem Coop an das Einkaufswägeli, so sehr sorgt sie sich um die Eltern des mutmasslichen Brandstifters: «Die armen Leute können nichts dafür!» Und ein Rentner mit Holzhaus hofft jeden Tag darauf, dass «es eine Fehldiagnose ist» und die Polizei ihn wieder nach Hause bringt. Der «arme Teufel» tut ihm leid. «Sein Leben ist jetzt verkachelt.»
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