Kurz zusammengefasst
- Marlis Chanton musste nach 12 Jahren aus der Pension in den Job zurückkehren
- Technische Veränderungen und Selbstzweifel erschwerten ihren Wiedereinstieg
- Die Suche nach einer Nachfolgerin ist sehr schwierig
Mit Wein und Reben kennt Marlis Chanton sich bestens aus. 1986 begann sie in der Kellerei der Familie ihres Mannes zu arbeiten, der Chanton Weine AG in Visp VS. Im Betrieb mit rund 12 Angestellten war sie vor allem für die administrativen Bereiche zuständig. Buchhaltung, Bestellungen, Verkauf. Ihr Mann und später ihr Sohn kümmerten sich um den Rebbau, die Produktion des Weines. 2011 ging Marlis Chanton in Pension, ganz normal. Doch dabei blieb es nicht. Chanton ist zurück im Arbeitsleben – gezwungenermassen!
Niemals hätte sie sich damals träumen lassen, dass sie über zehn Jahre später wieder zurück in den Job kehren würde. Nicht als Aushilfe, sondern in einem 50-Prozent-Pensum. Die Pensionärin musste den Familienbetrieb retten, von einem auf den anderen Tag. «Ich bin doch pensioniert, Himmel nochmal!», sagt sie.
Angestellte war plötzlich weg
Die Misere beginnt im Herbst 2023. Die Angestellte, die Chantons Job seit zwei Jahren macht, ist von einem auf den anderen Tag weg. Die Frau geht aus gesundheitlichen Gründen. «Es war vorher teilweise schon schwierig, aber der Abgang ohne Kündigungsfrist war dann schon ein sehr grosses Problem.»
Der Grund: Ersatz gibt es nicht. Die Rentnerin muss gezwungenermassen wieder an den Schreibtisch zurückkehren.
Vieles war neu
Der Wiedereinstieg in den Job kommt für Chanton abrupt und ist alles andere als leicht. «Das war eine sehr harte Rückkehr, aber es musste sein», sagt sie zu Blick. Das Hauptproblem: Seit ihrem Abgang hat sich vor allem technisch viel verändert. Chanton sagt: «Die Buchhaltungsprogramme waren komplett neu, das musste ich alles innert kürzester Zeit lernen. Auch Rechnungen mit QR-Codes gab es bei meiner Pensionierung noch nicht, heute ist dies Standard.»
Die 75-Jährige verbringt eine sehr belastende Zeit, schläft schlecht. «Ich hatte Selbstzweifel und Existenzängste», sagt sie. Doch zu sagen, dass ihr Sohn allein klarkommen müsse, kommt für sie nicht infrage. «Man bleibt immer irgendwie Mutter, versucht sein Kind so gut wie möglich zu unterstützen», sagt Chanton. Und es geht auch darum, die Jobs der anderen Angestellten zu sichern.
Schwierige Suche
Da ihre Rückkehr in den Beruf nur als Übergangslösung gedacht ist, sucht Marlis Chanton wieder einmal nach der eigenen Nachfolgerin. Die Suche ist jedoch schwierig. «Die Lohnvorstellungen der jungen Leute sind teilweise jenseits von Gut und Böse», sagt Chanton. Manche der ohnehin wenigen Bewerber wollen mehr Geld, als ihr Sohn als Geschäftsführer der Kellerei verdient. «Andere schreckte der Umstand ab, dass man ohne Team klarkommen muss», so Chanton. Sie ortet eine zunehmende Sensibilität und eine sinkende Leistungsbereitschaft bei den Bewerberinnen und Bewerbern.
Dennoch findet Chanton Anfang Jahr eine qualifizierte neue Angestellte. Doch die Freude währt nur kurz. «Die Frau hatte auf eignen Wunsch einen auf Ende Mai befristeten Arbeitsvertrag», erzählt sie. Drei Tage vor Ablauf des Vertrags erklärte die Frau, dass sie nun doch eine andere Stelle angenommen habe. Auch Monate später spürt man Chantons Enttäuschung. «Das war ein Schlag ins Gesicht, denn wir hatten wirklich mit einer langfristigen Zusammenarbeit gerechnet.» Und es wird nicht besser. Die nächste Bewerberin hält gerade einmal einen Tag durch. «Am Nachmittag des ersten Tages war klar: Das wird nichts», so Chanton.
Also macht die 75-Jährige weiter, chrampft, als wenn sie nie weg gewesen wäre. Dann kommt ein kleiner Lichtblick. Seit August arbeitet wieder jemand für die Kellerei, aber nur in einem 35-Prozent-Pensum. «Das reicht natürlich nicht, deshalb bin ich weiterhin jede Woche mehrere Tage im Dienst», so die alte, neue Chefin.
Inzwischen hat sich die Pensionärin auch wieder an ihren alten Job gewöhnt, der Druck hat etwas nachgelassen. Eine Nachfolgerin sucht sie trotzdem. «Irgendwann muss es auch einmal gut sein, und ich werde auch nicht jünger», sagt Chanton und lacht. Doch bis sich eine Lösung abzeichnet, bleibt die 75-Jährige auf ihrem Posten. «Eine andere Wahl habe ich wegen des Fachkräftemangels scheinbar nicht.»