Nach Gletscherabbruch im Wallis starben 88 Menschen
Katastrophe von Mattmark ist 60 Jahre her

Vor 60 Jahren, am 30. August 1965, starben auf der Baustelle der Mattmark-Staumauer bei Saas-Almagell VS 88 Menschen. Die Zunge des Allalin-Gletschers brach ab und begrub das Barackenlager der Arbeiter unter sich.
Publiziert: 09:34 Uhr
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Bergungsarbeiten am Tag nach dem Gletscherabbruch von Mattmark, also am 31. August 1965. (Archivbild)
Foto: JOE WIDMER
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Keystone-SDADie Schweizer Nachrichtenagentur

Es war laut dem Landesmuseum Zürich eine der grössten Katastrophen der Schweizer Baugeschichte. Das Museum widmet derzeit dem Bau von Staudämmen in der Schweiz eine Videoinstallation und thematisiert darin auch die Mattmark-Baustelle im Walliser Saas-Tal.

56 Italiener, 23 Schweizer, vier Spanier und fünf Menschen aus anderen Nationen starben bei der Katastrophe. Vor allem Gastarbeiter bauten den Staudamm auf fast 2200 Metern über Meer. Zwei Millionen Kubikmeter brachen ab. Bis zu 50 Meter hoch türmten sich auf der Baustelle stellenweise die Eiskegel.

Auch 60 Jahre nach dem Ereignis gedenkt man der Katastrophe: Am Samstag findet beim Mattmark-Stausee ein Gedenkanlass statt. Die Bischöfe von Sitten und Belluno-Feltre I leiten einen Gedenkgottesdienst. Nach Reden wird ein Gedenkkranz niedergelegt.

Der Walliser Staatsratspräsident Mathias Reynard wird präsent sein, ebenso Italiens Oppositionschefin Elly Schlein sowie weitere Amtsträgerinnen und -träger. Das organisierende Komitee Mattmark 2025 lud für Freitag in Naters VS auch zu einem Rundtischgespräch zu Unfallverhütung und zu einer weiteren Gedenkfeier.

Die Katastrophe von Mattmark sei eine Zäsur in der Geschichte der Schweiz und in der Geschichte der Migration gewesen, sagte vor zehn Jahren Toni Ricciardi vor den Medien. Der Genfer Forscher stellte damals - zum 50. Jahrestag des Unglücks - zusammen mit Co-Autoren eine soziohistorische Analyse zur Katastrophe von 1965 vor.

Nach dem Gletscherabbruch sei in der Schweiz und in Europa eine Debatte über das Schicksal der Migranten entbrannt, schrieben die Autoren im Buch «Mattmark, 30. August 1965. Die Katastrophe». In den 1960er-Jahren sei in der Schweiz offener Rassismus gegenüber Italienern an der Tagesordnung gewesen.

Mattmark habe zu einem «Aufwachen» geführt, sagte ein anderer der Genfer Autoren, Sandro Cattacin, damals vor den Medien. Die verunglückten «Fremdarbeiter» seien plötzlich als Menschen wahrgenommen worden, die Mitgefühl erregten und Wiedergutmachung verdienten.

Auch wurden die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter zum Thema - sie arbeiteten laut dem Landesmuseum 59 Stunden pro Woche, auch an Sonn- und Feiertagen. Nach dem Unglück kam es zu Solidaritätsaktionen von Gewerkschaften und die Glückskette sammelte 2,3 Millionen Franken.

Gross war die Empörung bei den Angehörigen der Opfer, als 1972 in Visp VS ein Gericht alle 17 Angeklagten freisprach. Darunter befanden sich Ingenieure und Direktoren der Firma Elektrowatt und zwei Angestellte der Schweizerischen Unfallversicherung Suva. Die Klägerfamilien mussten die Hälfte der Prozesskosten tragen. In Genf demonstrierten nach dem Urteil tausend Personen.

Der Abbruch des Birchgletschers oberhalb von Blatten VS im Mai dieses Jahres habe aufgezeigt, wie unerlässlich ein professionelles Monitoring der Berge sei, schreibt das Landesmuseum in seiner Pressemitteilung von dieser Woche. Blattens Bewohnerinnen und Bewohner konnten evakuiert werden. Eine Person kam ums Leben.

Bei Saas-Almagell gab es keine Überwachung des Allalingletschers und Warnungen wurden in den Wind geschlagen, wie es vor zehn Jahren hiess.

In der Videoinstallation des Landesmuseums Zürich sind noch bis Anfang November Aussagen von Zeitzeuginnen und -zeugen der Mattmarker Katastrophe zu sehen und hören. So berichtet eine Oberwalliserin vom Tod ihres Vaters und Onkels und ein Saisonnier aus Italien von der Arbeit auf der Baustelle.

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