Ganz in Schwarz sitzt Myriam Schaller (52) aus Glovelier JU unter einem Baum in ihrem Garten. Eine weisse Engelsfigur steht auf dem Boden, daneben rosafarbene Blumen.
Hier liegt ihr Sohn Mike (†23) begraben. Der junge Mann starb an Herzversagen. Sein Fitnesswahn kostete ihn das Leben!
«Mike war süchtig nach Training und sehr stolz auf seine Muskeln», sagt Myriam Schaller. Er posierte fast täglich vor dem Spiegel, machte Bilder von seinem muskelbepackten Körper.
Mit 20 fing er an, regelmässig Gewichte zu stemmen. Im Kraftkeller fand er Gleichgesinnte. Durch einen von ihnen kam er mit den Pillen in Berührung.
Den Pillen, die ihm zum Verhängnis wurden.
«Mit der Zeit hat er sich die Medikamente selbst im Internet bestellt», sagt Myriam Schaller. «Er wollte damit seine Muskeln aufbauen.»
Ende Mai passiert das Unfassbare. Mike trainiert bei seiner Mutter auf dem Hometrainer, eine Stunde lang tritt er in die Pedale. Als er aufhört, klagt er über Schmerzen in der Brust.
«Ich dachte mir nichts dabei», sagt die Mutter. «Er ging nach Hause, legte sich ins Bett – und wachte nie mehr auf.» Am nächsten Morgen fand die Polizei Mike tot in seinem Bett. «Die Anabolika haben meinen Sohn umgebracht.»
Bodybuilding-Exzess bis in den Tod: Zehntausende Jugendliche stählen ihren Körper in Fitnessstudios. Die Zahl der Schweizer, die regelmässig trainieren, hat in den letzten Jahren um mehr als acht Prozent zugenommen.
Schwungvoller Handel
«Praktisch alle Jungen, die eine Lehre machen, betreiben Bodybuilding», sagt die Zürcher Erziehungswissenschaftlerin Christine Schumacher (26). «Ihr Körper ist ihnen sehr wichtig.»
Die jungen Männer wollen sich gegenseitig imponieren – und Frauen beeindrucken. Die gefährlichen Mittel, die ihre Muskeln schneller wachsen lassen, werden in Fitnesscentern unter der Hand angeboten.
Besonders grosse Sorgen machen den Experten Substanzen, bei denen unklar ist, woraus sie genau bestehen. Auf einschlägigen Internetseiten machen seit einiger Zeit sogenannte Xenoandroge Furore – oft als harmlose Nahrungszusätze getarnt.
Versprochen wird ein Muskelaufbau ohne Nebenwirkungen – obwohl es sich dabei um Anabolika handelt. Wer davon schluckt, wird aggressiv – ganz abgesehen von den gesundheitlichen Risiken.
Diese schrecken Jugendliche kaum ab. Der Zoll fing allein im letzten Jahr mehr als 300 Sendungen mit illegalem Muskeldoping ab. 2008 waren es noch 110 Pakete gewesen. Erwischt wird aber nur ein Bruchteil der Sendungen.
Verboten ist in der Schweiz nur der Handel von Anabolika, nicht aber der Konsum – obwohl die Einnahme tödlich sein kann. Der deutsche Allgemeinmediziner Luitpold Kistler (40) warnt: «Die Zahl der Todesfälle nimmt durch den Fitnessboom ganz klar zu.»
Kistler hat seine Doktorarbeit über die verheerenden Folgen von Anabolika geschrieben. Er fordert: «Wenn ein äusserlich topfitter Jugendlicher plötzlich stirbt, muss das auf jeden Fall untersucht werden.»
Das ist heute nicht der Fall. Auch bei Mike ordnete der Amtsarzt keine Autopsie an. Das hält Kistler für fahrlässig, eine Autopsie sei zwingend. Und: Auch der Konsum von Anabolika müsse verboten werden.
Polizei gefordert
Dies fordert auch Matthias Kamber (59), Direktor von Antidoping Schweiz. Die Politik hierzulande habe den Dopingmissbrauch im Breitensport «nicht als grosses Problem erkannt». Das müsse sich ändern.
Sein Vorbild ist Schweden. Dort ist nicht nur der Handel, sondern auch der Konsum von Anabolika verboten. Kamber: «Deshalb kann die Polizei stärker dagegen vorgehen als bei uns.»
Zudem habe Antidoping Schweiz ein viel zu kleines Budget, um auch den Breitensport zu kontrollieren: «Unsere 4,7 Millionen Franken kommen vor allem zur Dopingkontrolle im Spitzensport zum Einsatz.»
Dass die Polizei künftig härter gegen den Dopingsumpf in Fitnessstudios vorgehen kann, hofft auch Myriam Schaller. «Der Tod meines Sohnes soll nicht sinnlos bleiben. Ich will dieses Schicksal anderen Müttern ersparen.»