Gletscherabbruch in Saas-Grund VS
«Ich kam mir vor wie die Musikkapelle auf der Titanic»

Saas-Grund wurde von der Mega-Eislawine verschont. BLICK hat sich bei Bewohnern und Touristen im Walliser Bergtal umgehört.
Publiziert: 11.09.2017 um 00:03 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 22:35 Uhr
Michael Sahli

Die Bevölkerung von Saas-Grund VS ist mit dem Schrecken davongekommen. In den frühen Morgenstunden des Sonntags ist eine riesige Eislawine Richtung Tal gedonnert. Rund zwei Drittel der instabilen Gletscherzunge des Triftgletschers sind weggebrochen, haben Dorf und Seilbahn aber verschont.

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Bäckerin Marianne Burgener (70) verkauft trotz der Evakuierung vieler Nachbarn weiter ihre Gipfeli.
Foto: Isabelle Favre

Das Zerstörungspotenzial der Eislawine wäre enorm gewesen: Bis zu 300’000 Kubikmeter Material sind von der Gletscherzunge abgebrochen! Am Samstag wurde der Dorfteil in der roten Zone evakuiert. 220 Bewohner mussten ihre Häuser verlassen. Nach dem Abgang der Lawine durften sie gestern wieder zurück.

Eine Naturkatastrophe mit Ankündigung

Gemeindepräsident Bruno Ruppen (63) ist ein Stein vom Herzen gefallen, dass weder Mensch noch Tier verletzt wurden: «Wir sind sehr zufrieden, dass der Abbruch geordnet verlaufen ist. Besser hätte es nicht gehen können», sagt Ruppen, während er sich aus dem Helikopter einen Überblick über die Situation verschafft.

Bei der Gemeinde musste man den Notfallplan nur aus der Schublade ziehen. Denn: Die Glaziologen sahen den Abbruch seit Jahren kommen, überwachten die Eismassen mit Radar. Und konnten anhand der Fliessgeschwindigkeit des Eises bis auf wenige Stunden genau sagen, wann der Gletscher ins Rutschen käme.

Dorfbäcker hat gut verdient

Bäckerin Marianne Burgener (70) hat so etwas noch nie erlebt. «Viele unserer Nachbarn wurden evakuiert, aber uns hat man gesagt, wir seien hier sicher.» Trotzdem: «Als ich am Abend in der Backstube stand und den Nachbarn bei der Evakuierung zusah, fühlte ich mich ein bisschen wie die Musikkapelle auf der Titanic. Aussen bricht die Welt zusammen – und wir machen hier normal weiter», lacht sie. Schliesslich hat die 70-Jährige sogar von der Eislawine profitiert: «Die Zivilschützer kamen immer bei mir ihre Gipfeli kaufen», so die Geschäftsfrau.

Für die Ferienhaus-Vermieterinnen Irene Ramseier (63) und Erika Zurbriggen (51) war der Zwischenfall weniger förderlich fürs Geschäft: «Unsere deutschen Gäste sind am Samstag Hals über Kopf abgereist, hatten wohl ein bisschen Panik», sagt Ramseier, während sie den Putzlappen schwingt. «Sie hatten nicht einmal mehr die Zeit, die Wohnung zu putzen. Das müssen jetzt halt wir machen», sagt Zurbriggen.

Ein Drittel der Eismassen ist noch oben

Tom (68) und Roelie Termaten (66) aus den Niederlanden nahmen die Sache etwas lockerer. «Zwar mussten wir uns evakuieren lassen – aber so haben wir zu Hause immerhin etwas zu erzählen. Die Ferien lassen wir uns davon nicht vermiesen.» Und weiter: «Die Schweizer haben wirklich sehr gut für uns gesorgt. Wir haben überhaupt keine Angst gehabt. Prima!»

Es gibt auch kritische Stimmen. Anwohner Gustav Burgener (80) wettert: «Nie hätte ich mein Haus verlassen. Ich bin jetzt mein Leben lang hier, und das ist schon ein bisschen übertrieben. Nur weil irgendwer in Zürich Alarm schlägt, muss ich doch nicht gleich davonspringen!»

Für Saas-Grund ist die Sache damit ausgestanden. Zumindest fast: Experten gehen davon aus, dass auch das verbleibende Drittel Gletscherzunge in den nächsten Tagen abbrechen könnte. Aber es besteht keine Gefahr, dass eine so kleine Eislawine das Dorf erreicht.

So cool reagiert Saas-Grund

BLICK: Die Bewohner sind nun zurück in den Häusern, die Gefahr ist gebannt. Was ist Ihr Fazit?
Bruno Ruppen:
Eindeutig: Wir sind zufrieden. Der Gletscher ist abgebrochen, ohne Schäden zu hinterlassen. Besser hätte es nicht laufen können.

Einige Anwohner meinten, die Evakuierung sei übertrieben gewesen.
Das sind eben diese ein oder zwei angeblichen Experten, die wir hier im Dorf haben. Wir beobachten den Gletscher seit 2014. Seither hat sich die Fliessgeschwindigkeit von 20 Zentimetern pro Tag auf 3,5 Meter pro Tag erhöht. Die ETH Zürich kann fast auf die Stunde genau sagen, wann es zu einem Abbruch kommt. Eine beeindruckende Präzision.

Ein Teil des Eises ist aber noch oben. Besteht keine Gefahr mehr?
Das Dorf ist mit den etwas mehr als 100’000 Kubikmetern, die noch oben sind, nicht mehr gefährdet. Wegen unseres Skigebiets müssen wir aber doch ein Auge darauf haben. Ich hoffe, der Rest bricht in den nächsten Tagen auch ab.

Wer trägt die Kosten?
Wir hoffen, dass uns der Kanton unterstützt. Aber unter dem Strich haben wir als Gemeinde sogar profitiert, denke ich. Die internationale Aufmerksamkeit, die wir bekamen, hätten wir gar nicht bezahlen können. So viele Journalisten hatten wir noch nie im Dorf.

BLICK: Die Bewohner sind nun zurück in den Häusern, die Gefahr ist gebannt. Was ist Ihr Fazit?
Bruno Ruppen:
Eindeutig: Wir sind zufrieden. Der Gletscher ist abgebrochen, ohne Schäden zu hinterlassen. Besser hätte es nicht laufen können.

Einige Anwohner meinten, die Evakuierung sei übertrieben gewesen.
Das sind eben diese ein oder zwei angeblichen Experten, die wir hier im Dorf haben. Wir beobachten den Gletscher seit 2014. Seither hat sich die Fliessgeschwindigkeit von 20 Zentimetern pro Tag auf 3,5 Meter pro Tag erhöht. Die ETH Zürich kann fast auf die Stunde genau sagen, wann es zu einem Abbruch kommt. Eine beeindruckende Präzision.

Ein Teil des Eises ist aber noch oben. Besteht keine Gefahr mehr?
Das Dorf ist mit den etwas mehr als 100’000 Kubikmetern, die noch oben sind, nicht mehr gefährdet. Wegen unseres Skigebiets müssen wir aber doch ein Auge darauf haben. Ich hoffe, der Rest bricht in den nächsten Tagen auch ab.

Wer trägt die Kosten?
Wir hoffen, dass uns der Kanton unterstützt. Aber unter dem Strich haben wir als Gemeinde sogar profitiert, denke ich. Die internationale Aufmerksamkeit, die wir bekamen, hätten wir gar nicht bezahlen können. So viele Journalisten hatten wir noch nie im Dorf.

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