Mathieu Biselx (30) strahlt in die Kamera, neben ihm halten seine drei Freunde die Biergläser hoch. Sie lächeln, lehnen sich ins Bild. Ein unbeschwerter Moment, festgehalten im Pub in Fort William, Schottland. Doch es sollte eines der letzten Fotos sein, das die vier Freunde gemeinsam zeigt.
Nur einen Tag später lassen drei der Männer am Ben Nevis, dem höchsten Berg Grossbritanniens, ihr Leben. Mathieu Bislex überlebt. Er liegt im Spital in Glasgow, hat Prellungen im Arm, der Schulter und dem rechten Bein. Zu BLICK sagt er: «Ich verstehe nicht, wie ich noch am Leben sein kann.»
Durch Zufall trug er einen Helm
Die Katastrophe passierte am Dienstag. Biselx und seine Kollegen möchten den Ben Nevis besteigen, mit 1345 Metern der höchste Berg des Vereinigten Königreichs. Die vier sind geübte Bergsteiger, gehören dem Schweizer Alpen-Club (SAC) an. Doch der Berg hat schroffe Steilhänge und eisige Felsen.
Biselx ist Präsident der SAC-Sektion Monte Rosa in Sion. Am Abend vor dem Unglück hatte der schottische Wetterdienst noch gewarnt: Hohe Lawinengefahr! Die Gruppe fragt deshalb einen lokalen Bergführer: «Er sagte uns, Route fünf sei unter diesen Bedingungen sicher. Wir vertrauten ihm.»
Am Morgen bricht die Gruppe auf. Ihre Helme tragen die Männer am Rucksack, setzen sie nur an gefährlichen Stellen auf. «Mich hat es gestört, dass der Helm an meinem Rücken baumelte. Deshalb habe ich ihn angezogen», so der Walliser. Eine Entscheidung, die ihm vielleicht das Leben rettete.
«Es war wie in einer Waschmaschine»
Gegen Mittag hören die Bergsteiger plötzlich ein Donnern. Sie drehen sich zum Berg um. «Von ganz oben donnerten die Schneemassen auf uns zu», sagt Biselx. Ob er sich rechtzeitig von der Lawine wegdrehen konnte, damit sie nicht sein Gesicht trifft – daran kann er sich nicht mehr erinnern.
Der Schnee reisst die vier Bergsteiger mit, über Felsen Richtung Tal. «Es war wie in einer Waschmaschine. Der Schnee wirbelte mich herum. Ich verlor das Bewusstsein.» Als er wieder zu sich kommt, sieht er mit dem Kopf knapp über die Schneedecke. Sein Helm ist zerbrochen. «Ich schrie nach meinen Freunden. Doch es herrschte Totenstille», erzählt er.
Böses Erwachen im Spital
Einer seiner Arme sei nicht verschüttet gewesen. «Damit habe ich mich aus dem Lawinenkegel befreit», sagt er. Dann seien schon bald die Rettungskräfte eingetroffen. Biselx erinnert sich: «Sie haben einen meiner Freunde ausgegraben und sein Herz massiert. Doch es war schon zu spät.»
Schliesslich bringen die Bergretter den Überlebenden weg. «Sie haben mich fast bis ins Tal tragen müssen, weil der Helikopter nicht landen konnte.» Dann wird Biselx ins Spital geflogen. Allein. Zwei seiner Kollegen sterben noch im Lawinenkegel, der dritte auf dem Weg ins Tal. Davon kriegt Biselx nichts mit – erst als er am Abend im Spitalbett aufwacht, wird ihm die schreckliche Nachricht überbracht. «Ich konnte es nicht fassen. Es waren Familienväter, geliebte und geschätzte Menschen. Eine Tragödie, dass sie nicht mehr am Leben sind.»
«Der Berg hat entschieden»
Auch er selbst ist verheiratet und hat eine kleine Tochter (1). Wann er seine Liebsten wiedersehen kann, weiss er noch nicht. Doch eine andere Frage quält ihn viel mehr. Immerzu denke er sich: «Warum habe gerade ich überlebt?»
Seine Kollegen seien viel erfahrenere Bergsteiger gewesen. Das meiste, was er übers Bergsteigen wisse, habe er von ihnen gelernt. Biselx sagt: «Jetzt glaube ich, am Ende hat halt der Berg die Entscheidung getroffen. Dagegen waren wir als Menschen machtlos.»