Die bizarre Todesanzeige von Philipp W. (†30) sorgte am Mittwoch schweizweit für Schlagzeilen: Die Familie des Toten nutzte die Anzeige, um die St. Galler Staatsanwaltschaft öffentlich zu kritisieren. Grund: Die Behörden hatten den Tod des Ärztesohns als Suizid gedeutet. Die Familie ist allerdings nach wie vor davon überzeugt, ihr Philipp W. sei im August 2015 Opfer eines Verbrechens geworden.
Gestern in der «NZZ» ein ähnlicher Fall: Die Familie der kleinen Ann-Sophie (†13) nimmt Abschied. «Du warst ein kerngesundes, fröhliches Mädchen», heisst es darin. Und dann: «Du warst in der Schweizerischen Skischule mit der Klasse unterwegs und bist auf der Skipiste in einen tiefverschneiten, nicht abgesperrten Bach gefallen und ertrunken.»
Auch die Eltern von Ann-Sophies Eltern halten mit Kritik nicht zurück: «Niemand war da, um dich zu retten! Menschen sind einfach vorbeigefahren. Wo war eigentlich dein Skilehrer?»
Die Todesanzeige als Anklage!
BLICK fragte Psychotherapeut Christian Weiss (63), weshalb Menschen sich auf diese Weise den Frust von der Seele schreiben. «Das Vorgehen ist ein Ventil, eine direkte Art der Trauerbewältigung», sagt der Winterthurer. «Andere hadern mit Gott, diese Familien suchen die Schuld bei den Behörden beziehungsweise beim Skilehrer.» Es sei ein natürlicher Reflex, auf den Überbringer schlechter Nachrichten loszugehen.
Der Gang an die Öffentlichkeit sei dabei Ausdruck des Zeitgeists: «Heute teilen wir unser ganzes Leben auf Facebook. Jeder soll sehen wie es uns geht und was uns beschäftigt.» Die Anklage via Todesanzeige habe für die Trauernden einen weitern positiven Aspekt: «Der damit erzeugte Shitstorm auf die vermeintlich Schuldigen hilft den Familien, das unermessliche Leid nicht alleine tragen zu müssen."
Ganz nach dem Motto: Geteiltes Leid, ist halbes Leid. Für Christian Weiss ist klar: Die Familien von Philipp und Ann Sophie haben den Tod ihrer Liebsten noch nicht verarbeitet.