Darum gehts
Der Tod hat mich mein Leben lang beschäftigt. Er hat mich auch immer berührt. Und mir Angst gemacht. Ich fürchtete nicht die Schmerzen, sondern das Gefühl, das Leben verpasst zu haben, wenn ich sterbe. Ich finde das Leben so spannend. Es gibt unendlich viel zu lernen, Neues zu entdecken. Werde ich das Leben gelebt haben, das ich wirklich wollte?
Schon früh wurde mir bewusst, wie kurz das Leben sein kann. Einmal war ich an einem Abendessen, und neben mir fiel eine Frau zu Boden und starb plötzlich. Ich konnte sie sanft begleiten. Persönliche Katastrophen erlebte ich zum Glück keine. Aber in meiner Familie gab es einige Todesfälle, die ich nah erlebte.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
So ist das Thema Sterben zu einem ständigen Begleiter in meinem Leben geworden. Vielleicht auch wegen meines unerfüllten Kinderwunsches. Ich fragte mich: Welchen Sinn hat das Leben, wenn ich als Frau keine Kinder bekomme? Ich musste den Sinn meines Lebens neu finden.
Der Tod war immer dabei
Früher war ich als Rechtsanwältin tätig. Ich setzte mich mit Nachlässen, Testamenten und Erben auseinander. Nebenberuflich durfte ich immer wieder Menschen begleiten, am Lebensende, in der Trauer, als Beistand oder Willensvollstreckerin.
Auch da war die Auseinandersetzung mit dem Thema Endlichkeit. Mein ganzes Leben lang habe ich Weiterbildungen besucht, die mit dem Lebensende und der Trauerbegleitung zu tun hatten. Schliesslich fand ich über die Schweizer Pionierin Rosette Poletti zur Tätigkeit einer Lebensende-Doula.
Doulas kennt man eigentlich aus der Geburtshilfe. Der Begriff steht altgriechisch für Dienerin der Frau. Sie steht der schwangeren Frau beiseite, vor, während und nach der Geburt. Ich finde es sehr stimmig, dass es Doulas nun auch für das Sterben gibt. Sobald wir geboren werden, ist klar, dass wir sterben werden. Dazwischen steht die ganze Möglichkeit des Lebens.
Inzwischen habe ich gemeinsam mit anderen Fachpersonen einen Verein gegründet, der diese Ausbildung in der Deutschschweiz ab 2026 anbietet. Dort sind wir erst am Anfang. In der Romandie gibt es bereits 260 ausgebildete Doulas.
Unsere Begleitung der sterbenden Person ist niederschwellig: Wir bieten praktische, soziale, emotionale und spirituelle Hilfe an. Wir gehen einkaufen, schreiben Briefe, helfen mit Patientenverfügungen, begleiten Personen zum Arzt, wachen in der Nacht. Wir sind keine Therapeutinnen oder Pflegefachpersonen. Unser Job ist, einfach da zu sein und Zeit zu haben. Einige Menschen haben keine Angehörigen oder nur solche, die im Ausland leben – oder überfordert sind mit der Situation.
Der Sohn eines Sterbenden zog mich hinzu, weil er wollte, dass sein Vater eine Möglichkeit hat, mit jemandem ausserhalb der Familie zu sprechen. Ich versuche, das Wunderbare an der sterbenden Person zu sehen und es ihr zurückzuspiegeln. Damit sie selbst das Gute an sich sieht.
Keine Masken
Für unsere Arbeit nehmen wir ein Entgelt. Damit können wir unser Leben aber nicht finanzieren. Viele Doulas haben Mühe, dieses einzufordern. Für die Betroffenen kann ein Honorar aber auch eine Entlastung sein. Damit unser Dienst für alle erschwinglich ist, ist unser Verein dabei, einen Hilfsfonds einzurichten.
Es mag seltsam klingen, aber ich fühle mich am lebendigsten, wenn ich mich mit der Endlichkeit beschäftige oder mir dessen bewusst bin. Vielleicht auch, weil die Menschen im Angesicht des Todes am wenigsten eine Maske tragen. Es geht nur noch ums Essenzielle. Wenn ich jemanden am Lebensende begleite und mich getraue, auch wirklich hinzuschauen, bin ich immer wieder mit meinem eigenen Leben konfrontiert. Ich überlege dann: Was will ich? Was ist wertvoll? Was zählt?
Es ist ein Geschenk, dass ich in diesen bedeutsamen Momenten präsent sein darf. Menschen in den letzten Stunden, Tagen, Wochen, Monaten begleiten zu dürfen, hat meinem Leben einen tiefen Sinn gegeben.
Heute habe ich immer noch Angst vor dem Tod. Um mir Mut zu machen, denke ich: Ich bin ja schon geboren, das habe ich «geschafft», ich hoffe, dass ich dann auch den letzten Schritt «schaffen» kann.