Weil sie sonst wie Abfall entsorgt werden
Mütter bestatten heimlich ihre Fehlgeborenen

Stirbt ein Kind vor der 22. Schwangerschaftswoche, erhält es keinen Registereintrag. Für Eltern kann das schwerwiegende Folgen haben. Jetzt reagiert der Bundesrat.
Publiziert: 03.04.2017 um 11:56 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:40 Uhr
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Engelfiguren und eine Kerze erinnern an das fehlgeborene Kind von Martina Ulrich.
Foto: Sabine Wunderlin
Roland Gamp

Im Garten von Julia ­Müller*, geschützt von einem Baum, liegt ein kleines Grab. Eigenhändig hat sie dort ihr fehlgeborenes Baby bestattet: «Damit es einen Ort hat, an dem es ruhen kann», sagt sie. «Mir war wichtig, dass es in unserer Nähe bleiben kann.» Angehörige waren nicht dabei. «Auch bei der Gemeinde habe ich die Bestattung nicht gemeldet», so Müller. «Sonst hätte ich Probleme bekommen.»

Tatsächlich ist es in vielen Kantonen unmöglich, fehlgeborene Kinder zu ­bestatten. Man darf ihnen auch keinen Namen geben. Und der Eintrag ins Personenstandsregister bleibt den toten Babys verwehrt. Möglich ist all dies nur, wenn der Fötus mindestens 22 Wochen gelebt oder ein Gewicht von 500 Gramm erreicht hat.

«Das war schon ein Kind – mein Kind»

Die Grenze ist willkürlich gesetzt. Und ignoriert die Gefühle einer Mutter, die ihr Kind verloren hat, komplett. Das erfuhr auch Martina Ulrich (31). Ihr Baby war in der 18. Woche. «Ich hatte bereits seinen Herzschlag gehört, sah auf dem Ultraschallbild die kleinen Fingerchen», erzählt sie. «Das war schon ein richtiges Kind – mein Kind.»

Doch die Spitalleitung hält sich an die fixe Grenze. Eine Bestattung sei erst ab 22 Wochen möglich. «Also wollte ich zumindest die Asche meines Kindes in ­einer Urne aufbewahren», so Ulrich. Doch auch dies geht laut Spital nicht. «Man schrieb uns, dass die Asche den Eltern nicht zustehe.»

Für sie sei eine Welt zusammengebrochen, als sie ihr «Engelchen» verlor. «Dass ich mein Kind aber nicht einmal bestatten durfte, machte die Trauer fast unerträglich.»

Anna Margareta Neff Seitz (48) kennt etliche solche Schicksale. Sie leitet die Fachstelle kindsverlust.ch – die einzige Anlaufstelle, die in der Schweiz Beratungen für betroffene Fami­lien und Fachpersonen anbietet. «Jedes Jahr melden sich Eltern bei uns, die ihr fehlgeborenes Kind nicht bestatten können», so Neff Seitz.

Etwas, das bleibt

Sie weiss aus Erfahrung: «Das zu früh geborene Kind beizusetzen, ihm einen Namen zu geben, es offiziell im Register einzutragen, wäre für viele Mütter und Väter enorm wichtig bei der Verarbeitung der Trauer.» Nur so hätten die Eltern etwas, was bleibe.

Dieser Meinung ist auch das Bundesamt für Justiz (EJPD). Vor einem Monat legte es einen Bericht zur «Verbesserung der zivilstandsamtlichen Behandlung Fehlgeborener» vor. Demnach gibt es jedes Jahr bis zu 50 Fälle, in denen Eltern der Wunsch einer Beurkundung verwehrt bleibt.

Was dann mit dem fehlgeborenen Kind passiert?  Dazu schreibt das EJPD: «Sofern die Frage der Bestattung im kantonalen oder kommunalen Recht nicht spezifisch geregelt ist, wird der Embryo oder der Fötus wie die Plazenta und andere humane Teile als medizinischer Sonderabfall behandelt.»

Vielen Betroffenen sei das nicht bewusst, sagt Neff Seitz. «Die Betreuung nach einer Fehlgeburt ist in den meisten Spitälern inexistent», sagt sie. Angehörige erfahren deshalb oft erst im Nachhinein, dass ihr Kind wie Abfall entsorgt wurde. «Alleine diese Vorstellung wirkt traumatisierend.»

Die Wissenschaftler des EJPD haben sich im Ausland nach Alternativen umgeschaut. In Frankreich oder Deutschland dürfen Eltern ihr fehlgeborenes Kind auf Wunsch beurkunden lassen – unabhängig von Alter und Gewicht. Dies soll jetzt auch in der Schweiz möglich werden: «Der Bericht schlägt vor, dass die Eltern ihr Fehlgeborenes auf Wunsch im Personenstandsregister beurkunden lassen können», heisst es.

Anpassungen so bald wie möglich

So wäre es auch erlaubt, den Verstorbenen einen Namen zu geben. Und es gäbe keine Probleme mehr, sie zu bestatten. Nötig wären dazu eine Änderung der Zivilstandsverordnung und technische Anpassungen des Personenstandsregisters. «Der Bundesrat beabsichtigt, Anpassungen bei nächster Gelegenheit in Angriff zu nehmen.»

Julia Müller begrüsst die geplanten Änderungen des Bundes. «So dürfen die ­Eltern endlich selber entscheiden, was für ihr verstorbenes Kind am besten ist.» Dieser Meinung ist auch Martina Ulrich.

Sie fand schliesslich ein privates Krematorium, das ihren Wunsch erfüllte. «Die Asche von unserem Engel haben wir in einer Urne beigesetzt.» Den Ort hält sie geheim. «Die Bestattung führten wir heimlich durch – und fühlten uns dabei wie Verbrecher», sagt sie. «Zum Glück müssen andere Mütter dieses Gefühl künftig nicht mehr erleben.»

*Name geändert

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