Weil sie nach Vorschriften der Detailhändler zu gross sind
Bauer bleibt auf seinen Kartoffeln sitzen

Fast die Hälfte seiner Süsskartoffeln kann Bauer Stefan Krähenbühl den Supermärkten nicht verkaufen. Nun wehrt er sich.
Publiziert: 07.12.2019 um 23:38 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2019 um 11:55 Uhr
Diese Kartoffeln kann Stefan Krähenbühl den Detailhändlern nicht verkaufen: Sie sind zu gross.
Foto: Peter Gerber
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Camilla Alabor

Das Problem betrifft alle Bauern, dennoch spricht fast keiner darüber: Einen grossen Teil ihrer Ernte werden die Landwirte nicht los. Zwar sind ihre Äpfel, Kartoffeln oder Kürbisse geschmacklich einwandfrei. Aber sie entsprechen nicht genau den Normen der Detailhändler. Sie sind also etwas zu gross oder zu klein oder herzförmig statt rund. Das Resultat: Migros, Coop und Co. akzeptieren die Produkte nicht. So landet ein grosser Teil der Ernte nicht bei den Konsumenten, sondern wird den Kühen verfüttert, zu Biogas verarbeitet oder auf den Feldern liegen gelassen.

Biobauer Stefan Krähenbühl (41) aus der Region Murtensee geht das gegen den Strich. Als einer der wenigen traut er sich, seinen Ärger öffentlich zu machen. «Diese Normen sind absurd», sagt Krähenbühl. «Es ist ein Frust zuzuschauen, wie einem die Grossverteiler lediglich die Hälfte der Süsskartoffeln abnehmen – obwohl die Produkte einwandfrei sind. Die Fehlmenge wird danach aus Übersee importiert.»

So wie Krähenbühl denken viele Bauern. Doch mit den Grossverteilern will es sich niemand verscherzen. Krähenbühl aber findet: «Wir müssen das System überdenken. Wenn alle schweigen, passiert nie etwas.» Seiner Meinung nach sollte der Konsument die Wahl haben, im Supermarkt auch nicht standardisierte Produkte zu kaufen.

Konsumenten greifen lieber zu blitzblanken Äpfeln

Sind die Detailhändler also verantwortlich für die Lebensmittelverschwendung? So einfach ist es nicht. Tatsächlich greifen die meisten Konsumenten eher zu den blitzblanken Äpfeln als zu jenen, die mit Schorf bedeckt sind. Auch verweist die IG Detailhandel im Namen von Coop und Migros darauf, dass die Normen «von der Branche gemeinsam erarbeitet und getragen» werden: «Einseitige Vorgaben des Detailhandels gibt es keine.»

Überdies verkaufen Migros und Coop durchaus Produkte, die ihren eigenen Normen nicht entsprechen: Die Migros tut das mit dem M-Budget-Label; Coop mit der Ünique-Linie. Wie die Zahlen zeigen, nimmt die Nachfrage nach solchen Produkten zu.

Fabienne Thomas vom Schweizerischen Bauernverband begrüsst den Effort der Detailhändler. Sie sagt aber auch: «Die krummen Rüebli und Kartoffeln sind in den Läden relativ versteckt. Wenn es den Detailhändlern ernst wäre, müssten sie diese Produkte viel prominenter platzieren.» Die Tatsache, dass die Konsumenten nur zu den «schönen» Äpfeln griffen, sei das Resultat einer fehlgeleiteten Politik, nicht deren Ausgangspunkt: «In der Schweiz ­haben die Detailhändler die Konsumenten dazu erzogen, dass alle Rüebli gleich aussehen müssen.» Doch, fügt sie an: «In der Natur wachsen nun einmal keine Standardäpfel.»

Berner «Gmüesgarte» rettet 80 Tonnen Lebensmittel pro Jahr

Überdies zeigen verschiedene Initiativen, dass auch krumme Rüebli oder zu grosse Tomaten Käufer finden. So läuft das Geschäft im «Gmüesgarte» ausgezeichnet: Der Berner Laden verkauft Früchte und Gemüse, die von den strikten Normen der Detailhändler abweichen. Pro Jahr werden so über 80 Tonnen Lebensmittel gerettet, die sonst als Biogas enden würden. Auch in Zürich gibt es mit Grassrooted eine Organisation, die regelmässig Aktionen startet, um ­kiloweise nicht genormtes Gemüse zu verkaufen – mit grossem Erfolg.

Und so liegt es auch an den Konsumenten selbst, Food Waste zu bekämpfen, findet Thomas: Indem sie lokale Initiativen unterstützen oder direkt auf dem Bauernhof einkaufen. Oder im Supermarkt auch einmal zum lädierten Apfel greifen.

*Nach zahlreichen Leseranfragen: Hier geht's zur Webseite von Bauer Stefan Krähenbühl. Oder kontaktieren Sie den Bauer in Ihrer Region - das Problem mit den Normen stellt sich allen Landwirten.

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