Kurz zusammengefasst
- Oswald Sigg beauftragte den beschuldigten Verein Incop bei zwei Initiativen mit dem Sammeln von Unterschriften
- Der Ex-Bundesratssprecher glaubt an die Unschuld von Incop-Chef Franck Tessemo
- Ehemalige Mitarbeitende und Bewerber lassen in Onlinebewertungen kein gutes Haar an Incop
Die Schweiz gilt weltweit als Vorzeigedemokratie. Doch in den letzten Jahren wurden Tausende von Unterschriften für eidgenössische Volksinitiativen erfunden, gefälscht oder doppelt eingereicht. Im Zentrum des mutmasslichen «Unterschriften-Bschisses» steht laut Recherchen von Tamedia-Journalisten der in Lausanne VD ansässige Verein Incop. Es geht um ein Dutzend Volksinitiativen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt.
Die Vorwürfe gegen Incop und dessen Chefsammler Franck Tessemo (28) sind happig: Im Juni 2023 reichte das Komitee der Service-Citoyen-Initiative Strafanzeige wegen Verdacht auf Wahlfälschung im grossen Stil ein. Die von Incop eingereichten Unterschriften sollen eine extrem hohe Ungültigkeitsquote aufgewiesen haben. Das beklagt auch das Komitee der Initiative «Blackout stoppen», das nun ebenfalls eine Strafanzeige gegen Incop prüft.
«Das Ganze scheint mir aufgebauscht»
Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» wies Franck Tessemo die Vorwürfe in vollem Umfang zurück – und erhält nun Unterstützung von einem schweizweit bekannten Polit-Prominenten. Oswald Sigg (80) verteidigt den Waadtländer: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Anschuldigungen gegen ihn stimmen», sagt der frühere Bundesratssprecher (2005–2009). «Das Ganze scheint mir aufgebauscht worden zu sein.»
Sigg hat selbst mehrere Volksinitiativen initiiert. Für zwei beauftragte er Incop mit der Sammlung von Unterschriften: 2021 für die Mikrosteuer-Initiative, 2022 bei der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Beide scheiterten bereits im Sammelstadium. Anders als die Macherinnen der Service-Citoyen- und der Blackout-stoppen-Initiative berichtet Sigg, er habe mit Tessemo keine schlechten Erfahrungen gemacht.
«Tessemo hat immer gesagt, dass er Mitarbeitende, die Unterschriften fälschen, sofort entlässt», sagt Sigg. Zwar liegt seine Zusammenarbeit mit Incop zwei Jahre zurück, doch der Ex-Bundesratssprecher steht gelegentlich noch immer in Kontakt mit dem Chefsammler. Diese Woche hat er wieder mit ihm gesprochen.
Er sei weder Polizist noch Richter, betont der ehemalige Spitzenbeamte Sigg. Solange er aber keine konkreten Beweise für die systematische Fälschung von Unterschriften sehe, glaube er Tessemo. Der Ex-Bundesratssprecher verweist dabei auch auf die Bundeskanzlei: Die sehe keine belastbaren Indizien dafür, dass über Vorlagen abgestimmt worden sei, die nicht rechtmässig zustande gekommen sind.
Vernichtende Bewertungen
Einen weniger guten Eindruck als bei Sigg hat Tessemo jedoch offenbar bei ehemaligen Mitarbeitenden und Bewerbern hinterlassen. Die Google-Bewertungen für Incop sind vernichtend. Es geht dabei um zu spät oder gar nicht gezahlten Lohn, um falsche Angaben zum Arbeitsvertrag und um den respektlosen Umgang mit Personal.
«Die schlimmste Erfahrung aller Zeiten» hiess es vor einem Jahr in einer der Stellungnahmen. In mehreren Bewertungen ist die Rede von Lügen über die Anstellungsbedingungen bei Incop. Ein Kommentarschreiber berichtete, dass der Rekrutierer einfach aufgelegt habe, als er Fragen zum Arbeitsvertrag stellte. Ein anderer empfahl jedem, der Wert auf finanzielle Stabilität lege, sich so weit wie möglich von diesem Unternehmen fernzuhalten. Sogar von Betrug ist die Rede. Sämtliche Kommentare wurden vor Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Incop verfasst.
Die Jobangebote von Incop sind inzwischen von den Inserateseiten verschwunden, die Website des Vereins ist nicht mehr online. Franck Tessemo reagierte nicht auf Anfragen zu den in den Bewertungen erhobenen Vorwürfen.