Von Windturbine erschlagen
Darum ist der Tod des Steinadlers nicht nur ein schlechtes Zeichen

Einst war der Steinadler stark bedroht, nun leben wieder 360 Paare in den Schweizer Alpen. Dass ein Exemplar durch eine Windturbine im Jura getötet wurde, beunruhigt Tierschützer. Doch der Vorfall beweist auch, dass Vogelschutz funktioniert.
Publiziert: 26.01.2022 um 18:04 Uhr
Ein Spaziergänger sah, wie der Adler in ein Rotorblatt einer Turbine flog. Er fand das tote Tier und fotografierte es.
Foto: zVg
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Karin A. Wenger

Am Dienstag veröffentlichte Birdlife Schweiz ein Bild eines geköpften Steinadlers. Er flog in ein Rotorblatt einer Turbine des Windparks Mont-Soleil im Berner Jura. Die Organisation vermutet, dass der ausgewachsene Adler zum Paar gehörte, das regelmässig rund um den Chasseral brütete.

Es ist das erste Mal, dass in der Schweiz ein solcher Fall dokumentiert wurde. Birdlife Schweiz warnt davor, dass sich der Vorfall in Zukunft wiederholen werde. In den USA seien solche Kollisionen gar die häufigste Todesursache für den Steinadler.

Paradoxerweise zeigt der Tod des Tieres im Jura, dass Vogelschutz in der Schweiz funktioniert. Im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfolgten Menschen fleischfressende Wildtiere. Die Anzahl Steinadler schrumpfte bedrohlich, der Bartgeier wurde 1913 ausgerottet, Rotmilan und Uhu standen kurz vor dem Aussterben. «Das Verständnis der Natur war damals ganz anders», sagt der Biologe Livio Rey (31) von der Vogelwarte Sempach. «Man glaubte, dass die Raubtiere andere Arten ausrotten würden, zum Beispiel Murmeltiere oder Rehe.» Erst später habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Zusammenhänge in der Natur komplexer seien. Denn jagende Tiere sind auf ihre Beute angewiesen und rotten sie deshalb nicht aus.

Abschüsse angeordnet bis in die 60er-Jahre

Schleichend fand ein Wandel in der Gesellschaft statt, das Bild des bösen Greifvogels begann sich zu ändern. Dank des 1926 eingeführten Jagdschutzes konnten sich mehrere Arten wieder verbreiten – der Steinadler aber ist erst seit 1953 geschützt. Trotzdem gab es bis in die 60er-Jahre vereinzelt behördlich erlassene Adlerabschüsse, die mit dem Schutz von Schafen begründet wurden. Seit rund 40 Jahren äussern sich Ornithologen optimistischer zur Anzahl der Adler in der Schweiz.

Heute ziehen rund 360 Paare im Schweizer Alpenraum ihre Kreise am Himmel. «Der Bestand konnte sich von der intensiven Verfolgung erholen», sagt Rey. Da in den Alpen fast jedes verfügbare Revier von einem Paar besetzt ist, begannen die Jungvögel, sich neue Lebensräume zu suchen. Zum ersten Mal nach 200 Jahren brütete der Steinadler 2009 im Jura.

Obschon der tote Vogel unter der Turbine deshalb auch ein Zeichen für funktionierenden Vogelschutz ist, bedauert Rey den Vorfall. Denn die Population im Jura sei noch sehr klein. Und für Arten, die meist nur einen Jungvogel pro Jahr aufziehen, sei bereits der Tod eines einzelnen Exemplars ein herber Rückschlag.

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