Vermögende wehren sich gegen den Bau von Wohnungen für Familien und Senioren
Aufstand der Reichen

Die Gemeinde will günstige Wohnungen bauen. Doch reiche Zuzüger bangen um ihre Aussicht. Ob sie am Ende die Wiese kaufen?
Publiziert: 08.10.2013 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:18 Uhr
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Mauro Bernasconi fürchtet den Bau vor seinem Chalet.
Foto: Arnaud Delalande
Von Myrte Müller

Eine Kirche, eine Handvoll Bauern- und Patrizierhäuser aus dem 16. Jahrhundert, dazu der Inn und die OberengadinerBergkulisse. Die Idylle von La Punt GR gefällt Millionären aus aller Welt. Die Modeschöpfer Giorgio Armani (79) und Gimmo Etro (73) kauften sich hier typische Chesas, «grad wegen des schönen Dorfbildes», sagt Gimmo Etro.

800 Zweitwohnungsbesitzer taten es ihm gleich. Mit ihnen hat die Gemeinde nun Zoff. Modezar Etro klagt: «Direkt am Ortseingang soll ein zehn Meter hoher und 36 Meter langer hässlicher Wohnklotz entstehen, der uns die ganze Sicht auf das hübsche Dorf raubt.» Er ist überzeugt: «Das lockt keine Gäste in den Ort. Das stösst ab. Dieses Projekt muss verhindert werden.»

Die Betuchten protestieren

Die Promi-Rebellion beginnt Mitte August, als die Gemeinde zu einem Brückengespräch lädt, um ihr Vorhaben zu präsentieren. «Es kamen etwa 30 Leute», erzählt Andrea Manzitti (69). Der Mailänder ist Broker für Rückversicherungen und besitzt in La Punt eine Zweitwohnung: «Am Ende des Info-Abends waren alle dagegen.» Die Aufständischen sammeln Unterschriften. 62 Ferienhaus-Besitzer unterzeichnen – auch die Modezaren Armani und Etro.

Besonders betroffen ist der Tessiner Unternehmer Mauro Bernasconi (59). Sein Chalet liegt direkt neben der geplanten Baustelle: «Wenn die den Block wie geplant hochziehen, habe ich eine Mauer vor der Aussichtsterrasse.» Gemeinsam mit einem Nachbarn rekurrierte er gegen den Beschluss. Falls nötig will er bis vor Bundesgericht gehen.

Gemeindepräsident Jakob Stieger (62) erklärt: «Wir brauchen bezahlbare Wohnungen für unsere Bürger, damit wir das Dorf – also Post, Schule, Kindergarten und Dorfladen – am Leben erhalten können. Diese geplanten neuen Wohnungen sind in erster Linie für Fami­lien und Senioren bestimmt.»

Günstiger Wohnraum für Familien

Die 631 Quadratmeter Bauland kaufte die Gemeinde für 800 000 Franken von der Kirchgemeinde. «Die Fläche müssen wir maximal ausnutzen», sagt Gemeindepräsident Stieger. Geplant sind vier 4,5-, zwei 3,5- und zwei 2,5- Zimmerwohnungen zu Monatsmieten zwischen 1400 und 2000 Franken inklusive Nebenkosten.

«Nichts gegen neue Wohnungen», meint Andrea Manzitti. «Warum baut man die nicht anderswo? Oder wenigstens im Stil der alten Chesas? Geld wäre da, das Budget von La Punt zeigt einen Überschuss von 1,7 Mio. Franken.»

Bauunternehmer Bernasconi stellt fest: «Wir Touristen haben mehr Sensibilität für die Schönheit des Ortes als die Einheimischen.»

Kaufen sich die Bonzen die Aussicht frei?

Die Reichen generieren einen Drittel der Steuereinnahmen La Punts. Ihr Ärger zeigt Wirkung. Gemeindepräsident Jakob Stieger wäre zu einem Kompromiss bereit: «Wir verzichten auf den Bau, wenn die Opponenten die Parzelle für eine Million Franken als unverbaubare Grünfläche kaufen.»

Um bezahlbare Wohnungen für Einheimische zu bauen, müsste Stieger dann halt einen neuen Ort suchen.

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